Seewölfe Paket 7. Roy Palmer
Hasard am meisten Kopfzerbrechen. Aber er bewahrte seine Ruhe und Berechnung. Mit einem feinen Lächeln ließ er die Offiziere und die beiden anderen Soldaten erst einmal über den Rand des Schanzkleides klettern und auf Deck treten.
Der Wortführer des kleinen Trupps, offenbar ein Teniente oder sogar noch mehr, blieb stehen und schaute sich verwundert um. „Sand? Holzkohlefeuer?“ sagte er verblüfft. „Por Dios, Senores, haben Sie zum Krieg gerüstet?“
Hasard trat dicht vor ihn hin und nahm zur Kenntnis, daß der gute Mann wirklich eine Weinfahne hatte. Das war es. Manila wiegte sich bereits im Taumel der Silvesterfreuden. Wenn ein Korsar das nicht ausnutzte!
„Wir haben Angst, angegriffen zu werden“, entgegnete der Seewolf mit Verschwörermiene. „Mein Name ist Diaz de Veloso, ich bin Kapitän auf diesem Schiff, und Sie können mir glauben, wir haben Entsetzliches hinter uns.“ Diaz de Veloso – so hatte er sich gelegentlich schon drüben, in der Neuen Welt, genannt. Fiel auch dieser Don darauf herein?
Hasard schielte zum Schanzkleid hinüber – auch die Soldaten befanden sich nun auf Deck. Hasard nickte, zog die Faust von unten herauf und setzte sie dem leicht angeheiterten Teniente rammbockartig unters Kinn. Die anderen „Senores“ von der „Isabella“ waren neben den vier weiteren Dons und fällten sie mit ein paar Hieben, die auch der hohen Schule des Sun Lo entstammten.
Kein Warnruf, kein verräterisches Stöhnen oder Poltern war zur Scharluppe hinuntergedrungen. Noch schöpften die beiden Soldaten unten keinerlei Verdacht. Hasard beschloß, das kaltblütig auszunutzen. Er hatte seine Abgeklärtheit immer noch nicht verloren.
„Bueno!“ rief er im edelsten Kastilisch aus. „Gut, dann entere ich jetzt in die Schaluppe ab, Teniente. Ganz wie Sie wünschen. Selbstverständlich habe ich nichts dagegen einzuwenden, mit Ihnen und Ihren Männern an Land zu gehen und persönlich beim Hafenkapitän vorzusprechen.“ Während er pausenlos weiterredete, glitt er über die Handleiste des Backbordschanzkleides, stieg an den Sprossen der Jakobsleiter abwärts, gelangte in die Schaluppe und wandte sich den etwas verdutzten Soldaten zu.
„Meine Freunde“, sagte er in öligem Tonfall. „Treten Sie näher, ich möchte auch Sie begrüßen und Ihnen einen Gruß der Nation überbringen.“ Sie rückten tatsächlich näher. Den einen brachte er mit einem Faustschlag zu Fall, dem anderen hieb er den linken Fuß unter die Kinnlade. Als sie ohnmächtig wurden, ergänzte der Seewolf: „Einen Gruß der englischen Nation natürlich.“
Er blickte sich um.
Vom Hafen aus konnte der Zwischenfall unmöglich beobachtet worden sein. Vor der Bordwand und auf der Kuhl der „Isabella“ war es viel zu dunkel, um ein Verfolgen von Land aus zuzulassen. Boote befanden sich auch nicht in der unmittelbaren Nähe – die Luft war rein.
Hasard schaute auf und gab seinen grinsenden Männern einen Wink.
Sie fingen daraufhin an, den wakkeren Teniente, die anderen beiden Offiziere und die Soldaten an der Jakobsleiter hinunterzuschaffen.
Sieben Mann stark war die Besatzung der einmastigen Schaluppe gewesen – sieben Mann stark wollte Hasard sie auch erhalten. Er hatte seine Gruppe rasch zusammengesetzt: Ferris Tucker, Ed Carberry, Smoky, Gary Andrews, Jeff Bowie und Bob Grey begleiteten ihn.
Neun Mann blieben nun noch an Bord der „Isabella“ zurück. Ben Brighton übernahm das Kommando von Hasard, Ihm zur Seite standen Big Old Shane, Batuti, der Kutscher, Pete Ballie, der alte O’Flynn, Will Thorne, Stenmark und Bill.
Nicht viel Zeit war verstrichen, und die Schaluppe löste sich wieder von der Bordwand der „Isabella“. Hasard ließ von seinen Männern das Großsegel und die Fock setzen, wählte raumen Kurs und steuerte auf die Halbinsel im Süden zu.
Unterwegs waren sie rege damit beschäftigt, den Spaniern die Kleidungsstücke auszuziehen und sich selbst damit auszustaffieren. Nicht alles wollte passen, aber darüber gingen die Seewölfe großzügig hinweg.
Unter dem schützenden Dunkel der Nacht fanden sie einen Platz am Ufer der Halbinsel, der recht üppig mit Büschen und Bäumen bewachsen war. Außerdem hatte dieser Ort den unschätzbaren Vorteil, daß sich niemand Ungebetenes an ihm herumtrieb.
Rasch hatten Hasard und seine Begleiter die bewußtlosen Spanier an Land geschafft. Ebenso flink hatten sie sie gefesselt und geknebelt. Danach kehrten sie zu der Schaluppe zurück und segelten weiter.
Ihr Ziel war die größte, dickste und tiefliegendste aller Handelsgaleonen im Hafen von Manila.
Sie enterten die Galeone unter dem offiziellen Siegel eines Kontrollbesuchs. Die Besatzung der Galeone nahm ihnen dies unbesehen ab, sie hielt die Seewölfe auch dann noch für Abgeordnete des Hafenkapitäns, als sie gemächlich auf die Kuhl kletterten.
Ben Brighton und die anderen an Bord der „Isabella“ standen unterdessen an den Geschützen bereit, um jederzeit eingreifen zu können. Ihre Anspannung wuchs fast ins Grenzenlose, sie mußten die größte Selbstkontrolle aufbringen und sich immer wieder beherrschen – was nicht einfach war, weil sie ja nicht wußten, wie es Hasard und den sechs anderen erging.
„Santa Elena“ hieß die stolze, prächtige Galeone mit dem erstaunlichen Tiefgang. Hasard schritt auf die Spanier zu, die mit gemischten Gefühlen zu ihm blickten. Nur ein Teil der Mannschaft befand sich an Bord, der Rest hatte Landgang, stellte der Seewolf fest. Ein junger, nach allem Dafürhalten noch unerfahrener Offizier der unteren Rangklasse stelzte gewichtig auf Hasard zu.
„Wer sind Sie, und was wünschen Sie?“ begann er. „Ich kenne Sie nicht. Was will der Hafenkapitän zu dieser Stunde von uns? Die Formalitäten sind doch erledigt.“
Hasard tat schnell zwei Schritte auf ihn zu und drückte ihm die Mündung seiner doppelläufigen Reiterpistole gegen den Bauch.
„Nur eine kleine Aufmerksamkeit verlangen wir“, sagte er leise und drohend. „Das kostet Sie nichts, mein Freund. Es sei denn, Sie wollen heute, am Silvesterabend, den Helden spielen.“
„Ich – nein …“
„Rufen Sie die Wachen. Alle. Sie sollen herkommen. Wird’s bald?“
Der junge Offizier tat, wie ihm befohlen wurde. Er fuhr auf einem Handelsschiff, nicht auf einem Kriegssegler. Sein Schneid war knapp bemessen. Außerdem stand er dem drohenden Tod zum erstenmal auf du und du gegenüber, und das war keine angenehme Sache für ihn.
Ferris, Carberry und die anderen traten in Aktion, als die komplette Decksmannschaft versammelt war. Urplötzlich gingen sie auf die Spanier los und streckten sie nieder. Nein, Gewissensbisse hatten sie dabei nicht, denn sie wandten ja immer Schläge und Griffe an, die einem Menschen nur Besinnungslosigkeit, nicht den Tod bescherten.
Hasard schickte den jungen Offizier mit einem der bewährten Handkantenschläge ins Reich der Träume. Er gab Smoky durch eine Gebärde zu verstehen, er solle die Ohnmächtigen bewachen, dann schlich er mit Ferris, Ed, Gary, Jeff und Bob durch das Schiff.
Kurze Zeit darauf hatten sie den Frachtraum entdeckt, in dem das Gesuchte lagerte. Hasard zündete ganz ungeniert zwei Öllampen an. Sie begutachteten die Ladung und öffneten immer neue Kisten, Truhen, Säcke.
„Gold- und Silberschmuck, mit Diamanten besetzt“, flüsterte Ferris Tucker. „Reines Gold und Silber in Barren. Mann o Mann, das Zeug kann doch wohl nur aus der Neuen Welt stammen. Vielleicht ist es vorgestern oder erst gestern eingetroffen und wartet darauf, gelöscht zu werden.“
Hasard schloß eine der größten Truhen wieder zu. „Zweifellos haben wir eine zweite Manila-Galeone vor uns. Sie ist aus Acapulco oder aus Panama eingetroffen und bringt die Bezahlung für die Güter, die von hier aus nach Neu-Spanien hinübergeschafft worden sind.“
Carberry rieb sich die schwieligen Pranken. „Das ist einfach zu schön, um wahr zu sein. Fangen wir an?“
„Ja“, sagte Hasard und grinste.
Sie mannten die Kisten und Truhen, die ihnen am ertragreichsten erschienen, an Oberdeck und hievten sie von dort aus in die Schaluppe hinab. Nur das Beste vom Besten,