Seewölfe - Piraten der Weltmeere 98. Kelly Kevin
Impressum
© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-422-7
Internet: www.vpm.de und E-Mail: [email protected]
Inhalt
1.
Dumpf rollte Kanonendonner über das Wasser.
Stimmen schrien durcheinander. Schwere Eisenkugeln klatschten in die Klippen, rissen Felsbrocken los und ließen einen Steinschlag auf den schmalen Sandstreifen prasseln. Brüllend ging ein Spanier zu Boden. Immer noch peitschte in Abständen eine Muskete auf, doch der Schütze mußte den Verstand verloren haben, er konnte gar nicht treffen.
Weit draußen vor der Insel, die die Spanier „Sala-y-Gomez“ nannten, lagen drei Galeonen wie schwarze, unheilvolle Schatten.
Fahl leuchteten die Segel, blähten sich im Ostwind und trugen die drei Schiffe näher. Jetzt war es die mittlere Galeone, an deren Bordwand eine Reihe strahlender Feuerblumen aufzublühen schien. Wieder rollte der Kanonendonner, wieder krachten die Einschläge, und die Luft schien zu erzittern vom Dröhnen der Breitseite und den Schreien der Spanier.
Einer der Männer wurde voll von einer Kugel getroffen und gegen die Felsen geschmettert.
Fünf, sechs andere warfen sich verzweifelt zu Boden, sprangen Sekunden später wieder auf und hasteten blindlings am Strand entlang. Eine sich überschlagende Stimme kreischte Befehle. Schon im nächsten Augenblick wurde sie von neuerlichem Krachen verschlungen.
„Ach, du meine Fresse!“ flüsterte Edwin Carberry, der Profos der „Isabella“.
Philip Hasard Killigrew, Seewolf genannt, kniff die Augen zusammen. Gemeinsam mit dem Großteil seiner Männer kauerte er oberhalb des Steilhangs, den die drei spanischen Galeonen beschossen – in sicherer Deckung, wie sich von selbst verstand.
Unter ihnen am Strand war die Hölle los. Für die spanischen Meuterer kam diese Wendung der Dinge genauso überraschend wie für die Seewölfe: ein Verband von Kriegsgaleonen, der wie aus dem Nichts aufgetaucht war! Er war an der Ostseite der Insel entlanggesegelt, bis er die Männer dort gesichtet hatte. Jetzt war er drauf und dran, Sala-y-Gomez kurz und klein zu schießen.
„Dan?“ rief der Seewolf leise.
„Aye, aye, Sir“, ertönte die aufgeregte Stimme des jungen O’Flynn aus dem Halbdunkel.
„Bist du sicher, daß die Waschzuber da drüben Spanier sind?“
„Ganz sicher, Sir“, sagte Dan. Und wenn der Junge mit den Luchsaugen „ganz sicher“ sagte, konnte man sich im allgemeinen darauf verlassen.
Hasard zog die Unterlippe zwischen die Zähne. Ben Brighton schob sich neben ihn, einer der fünf Männer, die in die Hände der Meuterer gefallen und zusammen mit Luana, der polynesischen Häuptlingstochter, für eine Weile auf der Insel gefangengehalten worden waren, bis Hasard und der Rest der Crew sie herausgehauen hatten.
Nicht viel länger als eine halbe Stunde war das jetzt her. Als die Spanier die Flucht ihrer Gefangenen bemerkten, hatten sich die Seewölfe bereits in eine Höhle zurückgezogen, in die die Meuterer ihnen nicht zu folgen wagten. Dort nämlich spukte – angeblich – der Geist des toten Kapitäns, der nach der Meuterei mit zwei anderen Offizieren ohne Wasser und Proviant in einem winzigen Boot ausgesetzt worden war. Tatsächlich war dieser Kapitän zwar wahnsinnig, aber höchst lebendig gewesen. Jedenfalls bis zu dem Augenblick, in dem er sich selbst und den Großteil der Höhle mit Schwarzpulver in die Luft sprengte und die Seewölfe zur Umkehr zwang.
Zu diesem Zeitpunkt war bei den Spaniern die Panik abgeklungen.
Sie hatten sich wieder gesammelt und waren aufgebrochen, um die Boote zu finden und zu zerstören, mit denen die verhaßten Engländer an Land gekommen waren. Vermutlich hätten sie es sogar geschafft, da den Seewölfen der Weg durch das unterirdische Labyrinth versperrt war. Hasard und die Seinen hatten sich bereits darauf vorbereitet, die Meuterer ins Meer zu jagen und sich in den Besitz ihres Schiffes zu setzen, der „Maria Mercedes“, doch dann hatte sich alles ganz anders entwikkelt.
Ben Brighton wartete, bis der rollende Nachhall der nächsten Breitseite verebbt war.
„Ich glaube, ich weiß, wer das ist, Hasard“, sagte er leise. „Während wir an den verdammten Felsblock gekettet waren, hatten wir ziemlich oft Gelegenheit, die Gespräche der Spanier mitzuhören. Sie waren erregt und am Ende ihrer Nerven …“
„Weiter, zum Teufel!“
In Hasards Stimme vibrierte Ungeduld wie sooft, wenn Ben Brighton in seiner ruhigen, zuweilen etwas bedächtigen Art an die Dinge heranging.
Der Bootsmann lächelte.
„Sie fürchteten sich nicht nur vor dem vermeintlichen Geist“, fuhr er ungerührt fort. „Sie fürchteten sich auch vor der Rache ihrer Landsleute. Je mehr sie darüber nachgrübelten, desto wahrscheinlicher erschien es ihnen, daß vielleicht doch einer der ausgesetzten Männer am Leben geblieben sei. Carlos Ingarra tat das alles als Unsinn ab. Aber die anderen stritten sich oft über die Frage herum, ob man wohl schon nach ihnen suchte und sie eines Tages alle am Galgen enden würden.“
„Und du glaubst, die drei Galeonen da drüben haben den Auftrag, Ingarras Meuterer-Bande aufzuspüren?“
Ben zuckte mit den Schultern. „Hast du eine andere Erklärung?“
Nein, Hasard hatte keine andere Erklärung für die unerwarteten Ereignisse. Niemand konnte wissen, daß er und seine Männer auf der Nachbarinsel, der „Insel der Steinernen Riesen“, bei den Polynesiern zu Gast waren. Genauso wenig, wie jemand wissen konnte, daß es auch den schwarzen Segler mit Siri-Tong und Thorfin Njal bei einem endlosen, knüppelharten Sturm weit nach Westen in diese abgelegene Gegend verschlagen hatte.
Jedenfalls nahm Hasard an, daß sich die Rote Korsarin und der Wikinger irgendwo in der Nähe aufhielten. Nicht zuletzt deshalb waren sie auf der „Insel der Steinernen Riesen“ geblieben. Auch noch, nachdem sie den Schatz bereits gefunden hatten, der dort vor zehn Jahren von Bills Vater vergraben worden war.
Hasard lächelte unwillkürlich, als sein Blick zu dem fünfzehnjährigen Schiffsjungen hinüberwanderte.
Für den Jungen waren die letzten Tage aufregend gewesen. Sie hatten wohl auch Erinnerungen aufgerührt und alte Wunden wieder aufgerissen. Bills Vater war auf Jamaica gestorben, in der Karibik, auf der anderen Seite des riesigen südamerikanischen Kontinents. Er hatte Philip Hasard Killigrew seinen Sohn anvertraut, und er hatte ihm die Schatzkarte gegeben, die die geheimnisvolle „Insel der Steinernen Riesen“ zeigte. Ernsthaft rechnete damals wohl keiner der Seewölfe damit, diese Insel jemals zu finden. Und als sie dann nach dem Sturm vor ihnen auftauchte, erschien sie ihnen