Seewölfe Paket 9. Roy Palmer

Seewölfe Paket 9 - Roy Palmer


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Es ging nicht mehr um kleine Zwistigkeiten. Viel mehr stand auf dem Spiel. Der gute Ruf der gesamten königlichen Flotte nämlich. Denn für Parsons gab es nur eine Mannschaft, die wirklich berechtigt war, eben jene Flotte zu repräsentieren – die Crew der „Revenge“ unter ihrem ruhmreichen Kapitän, dem hochverehrten Admiral Drake.

      Ein Emporkömmling vom Schlage eines Killigrews sollte es nicht länger wagen dürfen, an diesem Ruhm zu kratzen.

      Parsons steigerte sich in diese Überzeugung, je mehr er diese Gedanken wälzte.

      Schließlich verließ er seine Kammer und stapfte über die Kuhl zum Mannschaftslogis. Sein Entschluß stand fest. Es mußte gehandelt werden. Sofort.

      Der Regen der zurückliegenden Nacht hatte das Land mit einer funkelnden Pracht überzogen. Im satten Grün der Gräser und Büsche, der Hecken und Bäume glitzerten die Regentropfen wie Millionen von kostbaren Diamanten. Die Morgensonne stieg vor einem wolkenlosen Himmel empor, der schon bald von den letzten Dunstschwaden befreit sein würde. Noch lagen Nebelbänke wie riesige Wattebäusche in den Bodensenken. Aber schon jetzt zeigte sich die rasch wachsende Kraft der Sonnenstrahlen.

      Es würde ein herrlicher Tag werden.

      Sir Francis Drake pumpte die frische Luft tief in seine Lungen. Die Hände auf den Rücken gelegt, spazierte er mit gemessenen Schritten am Rand des kleinen Weihers entlang, der zu seinem Anwesen gehörte. Das fröhliche Zwitschern der Vögel beflügelte seine Sinne und verscheuchte die düsteren Gedanken, die ihn nach dem Erwachen noch bewegt hatten.

      Für seinen Morgenspaziergang auf dem eigenen Grund und Boden hatte Sir Francis Drake geruht, nur leichte Kleidung anzulegen. Flache Schuhe, weite Pluderhosen und ein bauschiges Seidenhemd, das von einem breiten, aber butterweichen Ledergürtel zusammengehalten wurde. Um diese Jahreszeit waren die Temperaturen in Cornwall meist noch sehr mild, manchmal sogar sommerlich, wenn die Sonne an wolkenlosem Himmel ihre immer noch beträchtliche Kraft ausspielen konnte – wie an diesem Tag.

      In Größe und Gestaltung ähnelte der Garten einem Park. Rasenflächen, Ziersträucher, Blumenrabatten und Hecken gruppierten sich wirkungsvoll um verschlungene Spazierwege. Der Weiher war von Trauerweiden umrahmt, die sich wie ein schützendes grünes Dach über die stille Wasserfläche bogen.

      Drake ließ sich auf einer Bank am Rande des künstlichen Teiches nieder. Die Bank, mit Schnörkeln und Putten verziert, war aus gemahlenem weißen Marmor gegossen, eine Spezialanfertigung, die der vorigen Eigentümer des Anwesens direkt aus Italien importiert hatte.

      Das idyllisch gestaltete Grundstück war wie eine Oase in der unberührten Landschaft und fügte sich dennoch harmonisch in die menschenleere Umgebung ein.

      Francis Drake hatte nicht lange gezögert, als ihm das Zwanzig-Zimmer-Haus angeboten worden war. Das Gebäude bot allen Komfort, der für einen Mann seines Standes nicht nur zu persönlichen, sondern auch zu Repräsentationszwecken angemessen war. Schließlich mußte er auch an seine Zukunft denken. Die Jahre auf See würden eines Tages zu Ende gehen. Dann brauchte er einen beschaulichen Platz zum Ausruhen. Schon jetzt genoß er einen Vorgeschmack davon. Er sagte zu sich selbst, daß es sich an einem Ort wie diesem durchaus leben ließ.

      Die wildromantische, unberührte Landschaft Cornwalls hatte etwas von der unendlichen Weite der See. Und die Stadt Plymouth war nur eine halbe Tagesreise entfernt. Einen Mangel würde es also nicht geben, in keiner Beziehung.

      Der vorherige Eigentümer des herrschaftlichen Hauses war ein wohlhabender Kaufmann gewesen, der seinen Firmensitz von Plymouth nach Bristol verlegt hatte. Deshalb hatte sich auch der private Wohnsitz in Cornwall nicht länger aufrechterhalten lassen. Drake hatte sofort zugegriffen. Der erste Eindruck von dem Anwesen hatte ihm genügt. Er hatte seine Entscheidung auf der Stelle getroffen, ohne langes Hin und Her. Schließlich war er ein wohlhabender Mann, der sich ein solches Objekt leisten konnte.

      Plötzliches Hufgetrappel zerstörte die beschauliche Stille.

      Stirnrunzelnd wandte sich Drake um und spähte zum Gartenportal. Wegen der hohen Hecken, die hier alle Wege säumten, konnte man Besucher erst hören, wenn sie das Grundstück bereits fast erreicht hatten.

      Es war ein einzelner Reiter, der seinen Braunen aus flottem Trab in den Schritt fallen ließ und das offene Portal passierte. Auf dem mit groben Steinen ausgelegten Hauptweg verursachten die Pferdehufe ein rhythmisches Klakken.

      Drake mußte nicht zweimal hinsehen, um festzustellen, daß der Mann alles andere als ein geübter Reiter war. Mit krummem Rücken hing er im Sattel und wurde mehr durchgeschüttelt, als es notwendig war. Die Kleidung des Mannes verdeutlichte überdies, daß er im Normalzustand daran gewöhnt war, Schiffsplanken unter seinen Füßen zu spüren.

      Der Admiral bequemte sich, dem Ankömmling entgegenzugehen und ihn abzufangen. Dies war niemand, dessen Rang es gebot, ihn im häuslichen Salon zu empfangen.

      Sir Francis Drake witterte nichts Gutes, als er seine kurz geratenen Beine zu weit ausgreifenden Schritten streckte. All die Erinnerungen an das Debakel im Rathaus von Plymouth wurden plötzlich wieder in ihm wach.

      Er fing den Reiter ab, bevor dieser dem Haus entgegenstreben konnte.

      Beim Anblick des Admirals schwang sich der Mann ungelenk aus dem Sattel und straffte sich.

      Obwohl er eine dumpfe Ahnung gehabt hatte, zog Drake überrascht die Augenbrauen hoch.

      „Guten Morgen, Sir“, sagte der Mann, „ich bitte um Vergebung, wenn ich Sie stören muß. Aber …“

      „Stopforth!“ sagte Drake entgeistert. „Was, in aller Welt, ist jetzt schon wieder passiert? Was kann so wichtig sein, daß man mir auch noch meine Erholung verleidet?“ Stopforth, ein untersetzter Bursche mit sandfarbenen Haaren, gehörte zu den Mittschiffsleuten auf der „Revenge“.

      „Der erste Offizier schickt mich mit einer dringenden Nachricht, Sir.“ Stopforth bemühte sich, standhaft zu bleiben und sich mit keiner Miene das schlechte Gewissen anmerken zu lassen. Wenn der Admiral von den erlittenen Niederlagen in allen Einzelheiten erfuhr, war mit Sicherheit einer seiner gefürchteten Tobsuchtsanfälle die Folge.

      „Heraus damit“, drängte Drake mit einer ungeduldigen Handbewegung.

      „Mister Parsons läßt ausrichten, Sir, daß Ihrem Schiff äußerste Gefahr droht.“ Stopforth konnte den gehobenen Tonfall nicht länger beibehalten. Er war kein Mann von gepflegter Sprache. „Diese elenden Bastarde von Killigrews und Ribaults Schiffen wollen uns wieder mit ihren hinterhältigen Tricks ans Leder, Sir! Deshalb bittet Mister Parsons Sie, so schnell wie möglich nach Plymouth aufzubrechen.“

      Admiral Drake lief rot an. Allein der Name Killigrew war geeignet, ihn zum Platzen zu bringen. Und dann auch noch die Nachricht, daß der Dreckskerl schon wieder Schwierigkeiten bereitete! Erst jetzt ließ sich Drake herab, den Boten von der „Revenge“ näher zu betrachten. Stopforths breitflächiges Gesicht war von mehreren Schwellungen verunziert, eine frische Schramme verlief quer über seine linke Wange.

      Er ahnte die Gedanken des Admirals und schlug verlegen den Blick zu Boden.

      „Stopforth“, sagte Drake gefährlich leise, „was ist los gewesen in Plymouth? Rede, Mann, oder ich lasse dich kielholen, sobald ich an Bord bin!“

      „Es – es war – es war so, Sir“, stotterte der Mittschiffsmann beschämt, „wir hatten Landgang und sind in einer der Hafenschenken zufällig auf diese Killigrew-Bastarde und die Franzosenmeute gestoßen. Die Kerle waren in der Überzahl, und natürlich haben sie das ausgenutzt. Wir konnten nichts ausrichten. Es waren einfach zu viele.“

      Die Schlacht auf der Mill Bay mochte Stopforth nicht erwähnen. Schließlich mußte man nicht alles auf einmal erzählen, und es war ja auch Parsons Idee gewesen, die „Isabella“ und die „Le Vengeur“ zu versenken. Also sollte er gefälligst selbst dem Admiral darüber berichten!

      Sir Francis Drake knirschte mit den Zähnen. Er begann, nervös auf den Zehenspitzen zu wippen. Seine rote Gesichtsfarbe näherte sich einem purpurnen Ton. Aber er beherrschte sich. Es waren nicht genügend Zuschauer


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