Seewölfe Paket 9. Roy Palmer

Seewölfe Paket 9 - Roy Palmer


Скачать книгу
nach Plymouth aufbreche. Aber er soll kein Wort darüber verlauten lassen. Niemand braucht zu wissen, daß ich vorzeitig zurückkehre. Ist das klar?“

      „Aye, aye, Sir“, antwortete Stopforth unterwürfig. Dann begann er, unschlüssig von einem Bein auf das andere zu treten.

      „Auf was wartest du noch!“ fauchte Drake.

      Stopforth zuckte zusammen, drehte sich hastig um und zog sich mühsam in den Sattel. Dann riß er das Pferd herum und trieb es zum Galopp an.

      Drake sah ihm einen Moment nach, bevor er sich abwandte und zum Haus ging. Daran, daß der Sailor stundenlang unterwegs gewesen war, daß man ihm Essen und Trinken und eine kurze Rast hätte anbieten können – daran verschwendete der ehrenwerte Admiral nicht einmal den Anflug eines Gedankens.

      Er hatte schließlich andere Sorgen. Und es war noch nie seine Art gewesen, an einen einfachen Mann übertriebene Fürsorglichkeit zu verschwenden.

      Im Haus brüllte er nach dem Kutscher. Verdammt noch mal, es wurde Zeit, daß er endlich einmal mit der Faust auf den Tisch schlug. Und zwar so nachhaltig, daß sich gewisse Leute davon nicht mehr erholten.

      „Ich habe Hunger“, sagte Philip Junior.

      „Ich habe Hunger und Durst“, erklärte Hasard Junior energisch.

      Sein Zwillingsbruder starrte ihn entrüstet von der Seite an.

      „Spinnst du? Glaubst du, ich habe keinen Durst?“

      Hasard Junior feixte.

      „Was du hast oder nicht hast, ist für mich völlig unwichtig. Mich interessieren nur mein eigener Hunger und mein eigener Durst. Du hast doch selbst einen Mund, um zu sagen, was du willst.“

      „Das tue ich auch!“ ereiferte sich Philip Junior. „Aber du brauchst dich nicht in den Vordergrund zu spielen. Wenn ich sage, daß ich Hunger habe, ist es klar, daß ich auch Durst habe. Aber du mußt natürlich wieder so tun, als ob du der perfektere von uns beiden bist.“

      „Bin ich auch“, trumpfte Hasard Junior auf.

      Sein Zwillingsbruder versetzte ihm einen Boxhieb in die Seite. Hasard klappte zusammen, stieß einen zornigen Schrei aus und setzte zum Gegenangriff an. Im Nu war die schönste Rangelei im Gange, und die weich gefederte Kutsche geriet in Schlingerbewegungen.

      „Jetzt reicht es aber“, sagte Doc Freemont, der den Söhnen des Seewolfs gemeinsam mit Bill, dem Schiffsjungen, gegenübersaß. „Wollt ihr wohl aufhören! Es vergehen keine fünf Minuten, ohne daß ihr irgend einen Anlaß findet, eure Fäuste zu gebrauchen.“

      „Soll ich sie zur Vernunft bringen?“ fragte Bill, der sich in Situationen dieser Art den Zwillingen gegenüber eher als Erwachsener fühlte. Manchmal dagegen, wenn er mit den Jungen allein war, juckte es ihm allerdings in den Fingern, bei den kleinen Streichen mitzumischen, die sie immer wieder ausheckten.

      Nach einer Weile schienen sie sich an den Anlaß ihrer Auseinandersetzung zu erinnern und ließen die braungebrannten kleinen Fäuste sinken.

      „Noch einmal“, sagte Philip Junior, und dabei blickte er Doc Freemont an. „Hasard und ich haben Hunger und Durst.“

      „So klingt das schon viel besser“, sagte ihr väterlicher Betreuer lächelnd. „Es ist ohnehin Zeit, eine Rast einzulegen.“ Er drehte sich um und gab dem Kutscher ein Zeichen.

      Drei Wegbiegungen weiter fanden sie einen geeigneten Platz für eine Pause. Die Hecke wich an dieser Stelle nach rechts von den ausgefurchten Räderspuren weg, und Furchen und Hufspuren zeigten, daß das Halbrund am Wegesrand offenbar ein beliebter Rastplatz war. Bis nach Plymouth würden sie noch etwa zwei Stunden brauchen. Grund genug also, auch ein wenig an das leibliche Wohl zu denken. Denn sie waren in den frühen Morgenstunden aufgebrochen.

      Bill hatte im Hause Doc Freemonts übernachtet, und bis in den späten Abend hinein hatte er den Zwillingen zuvor schildern müssen, was sich an Bord der „Isabella“ ereignet hatte, seit Philip und Hasard wegen der bevorstehenden Auseinandersetzung mit den Spaniern in sichere Obhut gebracht worden waren. Mit leuchtenden Augen hatten die beiden Jungen zugehört, und Bill hatte gespürt, daß sie ein Interesse an allen seemännischen Dingen entwickelten, das geradezu einer Besessenheit ähnelte. Morgens waren Philip und Hasard als erste auf den Beinen gewesen. Die Aufregung hatte sie nicht mehr ruhen lassen. Ihren Vater und die „Isabella“ bald wiederzusehen, war Anlaß genug zu überschwenglicher Vorfreude.

      Durch die Zweige der Hecke am Wegesrand war der River Tavy zu sehen, der Fluß, an dessen Ufer sich auch der Landsitz Doc Freemonts befand. Hier, nahe Plymouth, wand sich der Fluß jedoch schon mit imposanter Breite durch die grüne Landschaft.

      Der Kutscher versorgte die Pferde, während Doc Freemont und Bill eine Decke auf dem Grasboden ausbreiteten und den Proviantkorb öffneten. Gemeinsam ließen sie sich auf der Decke nieder. Die Haushälterin des Doktors hatte einige schmackhafte Happen mit selbstgebackenem Brot zubereitet und außerdem zwei Tonflaschen eingepackt, in denen der Fruchtsaft herrlich kühl geblieben war. Philip und Hasard entwikkelten einen Appetit wie hungrige Wölfe und beanspruchten den größten Teil des Freßkorb-Inhalts für sich.

      Doc Freemont ließ sie gewähren und beobachtete sie mit einem stillen Schmunzeln. Er wußte, daß sie ihren Weg gehen würden, den ihr Vater für sie ausersehen hatte. Sie waren aus dem gleichen Holz geschnitzt wie Philip Hasard Killigrew, dessen Ruhm als Seewolf mittlerweile ganz England erfaßt hatte. Doc Freemont ahnte, daß jetzt der Zeitpunkt gekommen war, an dem der Seewolf eine endgültige Entscheidung getroffen hatte. Seine Söhne sollten bei ihm an Bord bleiben und das Leben als Seefahrer führen, wofür sie sich schon jetzt auf so stürmische Weise begeisterten.

      Die Zwillinge ähnelten sich wie ein Ei dem anderen. Beide waren schlank und schwarzhaarig und geschmeidig wie Katzen. Ihre ernsten und scharfgeschnittenen Gesichter trugen die Züge ihres Vaters. Sie würden bald acht Jahre alt werden. Sicherlich ein Alter, in dem sie dem rauhen Leben an Bord eines Segelschiffes schon gewachsen waren.

      Die Zeit verging wie im Flug. Dieses Gefühl hatte Doc Freemont wieder einmal, während ihn diese Gedanken bewegten. Die Erinnerung an Gwendolyn drängte sich in sein Bewußtsein, die Trauer um Hasards junge Frau und Mutter dieser beiden Söhne, die auf so tragische Weise ums Leben gekommen war. Dann die langen Jahre, in denen die Jungen verschollen gewesen waren. Und jener wundersame Zufall, durch den die Seewölfe während ihres Aufenthalts in Tanger plötzlich diese beiden gewitzten Burschen entdeckt hatten, die niemand anders waren als die schon totgeglaubten Söhne Philip Hasard Killigrews.

      Ja, Doc Freemont hoffte, daß für sie und ihren Vater nun bessere Zeiten anbrechen würden. Zeiten gemeinsamer Abenteuer und gemeinsamen Glücks, wie es sich alle Väter und Söhne dieser Welt erhofften. Der Seewolf und diese beiden aufgeweckten Jungen hatten solche guten Zeiten mehr als verdient.

      Philip Junior und Hasard Junior leerten ihre Saftkrüge und hielten sich den Bauch. Doc Freemont, Bill und der Kutscher mußten lachen.

      „Auch das werdet ihr noch lernen“, sagte Doc Freemont, „die Augen haben immer größeren Hunger als der Magen.“

      „Wie kommt das?“ fragte Philip Junior. „Ich bin so vollgefressen, daß ich platzen könnte.“

      Sein Bruder knuffte ihn.

      „Dann beweg dich, du faules Stück.“ Hasard Junior sprang auf und floh vor seinem Ebenbild.

      „Das ist die menschliche Natur“, erklärte Doc Freemont.

      Aber Philip Junior hörte schon nicht mehr hin. Nach dem einstudierten Ritual hatte er jetzt die Pflicht und Schuldigkeit, sich für den Knuff zu revanchieren – wenn er nicht Gefahr laufen wollte, von seinem Bruder als Hasenfuß eingestuft zu werden.

      Die beiden Jungen begannen eine rasante Verfolgungsjagd rings um die Kutsche. Beide waren flink wie Wiesel und von unerschöpflicher Ausdauer. So hatte Philip vorerst keine Chance, seinen Bruder zu erwischen.

      Plötzliches Hufgetrappel und das Mahlen von Wagenrädern unterbrachen ihren Wettlauf.

Скачать книгу