Seewölfe Paket 24. Roy Palmer

Seewölfe Paket 24 - Roy Palmer


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Verständlich – sie waren geradezu süchtig auf alles, was den Schleier des Geheimnisvollen hatte.

      „Kutscher, erzähl uns mehr“, drängte Hasard junior. „Alles, was du über die Insel-Geister weißt.“

      Da legte der Kutscher so richtig los und packte an eigener Phantasie einiges dazu. „Ach, wißt ihr, ich habe ja nicht nur den einen dicken Wälzer gelesen. Es gibt noch mehr Bücher, die sich mit den Gespenstern und den Mächten der Finsternis in der Neuen Welt befassen. Beispielsweise habe ich in einem lateinischen Werk, das ein spanischer Geistlicher verfaßt hat, höchst Erstaunliches gelesen.“

      „Was, du kannst Latein?“ fragte Martin Correa. „Was kannst du eigentlich noch alles, Kutscher?“

      „Dies und jenes“, erwiderte der Kutscher bescheiden. „Aber ich habe ja bei Doc Freemont so einiges gelernt. Das zahlt sich manchmal aus.“

      „Der Geistliche“, sagte Philip junior. „Was war mit dem Geistlichen und seinem lateinischen Buch?“

      „Der Geistliche segelte seinerzeit mit Kolumbus in der Karibik herum“, erklärte der Kutscher. Er registrierte Old O’Flynns betroffene Miene und Carberrys irritiertes Gesicht und wußte, daß er mit seinen Anekdoten auf dem richtigen Kurs lag. „Und da hat er natürlich einiges gesehen, unter anderem auch Andros. Na ja, und er schreibt eben, daß es hier Geister gäbe: Flugdrachen mit feurigen Augen, Elfen mit Bärten, drei Zehen und drei Fingern, die mit ihren Schwänzen an den Bäumen hingen und boshafte Streiche verübten.“

      „Toll“, sagte Hasard junior. „Was für Streiche denn?“

      „Dem Menschen, der sie auslacht, drehen sie den Hals um“, erwiderte der Kutscher. „Oder sie ziehen ihm die Ohren so lang, daß der Betreffende sie als Schal um den Hals tragen kann. Jawohl, das stand in dem lateinischen Wälzer.“

      Old Donegal begann zu ächzen. Er trank noch einen Schluck Rum, aber die Flasche war schon wieder leer. Außerdem nutzte der Rum gegen das Gruseln wenig.

      „Rum her“, sagte Carberry. „Kutscher, die Flasche ist leer.“

      „Hasard“, sagte der Kutscher. „Würdest du die Güte haben, noch eine Flasche zu holen?“

      „Klar, Sir, ich weiß auch, wo sie ist“, sagte Hasard junior. „Aber warte mit dem Weitererzählen, bis ich wieder hier bin.“

      „Ja, das geht in Ordnung“, sagte der Kutscher.

      Hasard junior lief zur Pantry. Old O’Flynn stieß indessen noch einen Ächzer aus. Dann legte er los: „Kutscher, halt jetzt die Klappe, verflucht noch mal, das genügt!“

      „Ich berichte doch nur, was ich …“

      „Davon will ich nichts mehr hören!“ tobte der Alte. „Schnickschnack! Warum hast du mir das mit den Geistern nicht schon auf Great Abaco gesagt?“

      „Ich wußte ja nicht, ob es dich interessiert“, sagte der Kutscher gelassen.

      Old O’Flynn stieß einen schnaufenden Laut aus. „Du wußtest es ganz genau, du Halunke! Du kennst mich lange genug, um es zu wissen! Wenn ich von diesen Chickcharnie-Dingern rechtzeitig was vernommen hätte, hätte ich mich geweigert, hierherzusegeln!“

      „Man muß den Dingen wie ein Mann ins Auge sehen“, sagte der Kutscher ungerührt. „Was sollen uns ein paar Schattenwesen anhaben können? Wir sind erwachsene Männer. Und keiner von uns glaubt, daß die Biester richtig angriffslustig sind, nicht wahr?“

      „Ach was“, entgegnete der Profos. „Wer glaubt schon sowas?“

      „Ich“, sagte Old O’Flynn. „Und ihr habt alle keine Ahnung. Aber ihr werdet euch noch wundern. Ganz gehörig werdet ihr euch wundern.“

      „Ist ja gut, Donegal“, sagte Nils Larsen. „Wir gehen eben gewissenhaft Wache und passen auf.“

      „Nichts ist gut“, brummte der Alte. Er war nun doch zutiefst erschüttert. Daß die „Empress“ auf einer Sandbank saß, kratzte ihn nicht weiter, aber vor Geistern hatte er einen heillosen Respekt. Einen Heidenrespekt, wie man sagt. Und wenn schon ein Geistlicher solche Sachen über Chickcharnies und Flugdämonen verfaßt hatte, hatte die ganze Geschichte noch mehr Gewicht.

      „Die Frage ist nur, wer die zweite Nachtwache übernimmt“, sagte Martin Correa. „Um Mitternacht ist schließlich Geisterstunde.“

      „Ich melde mich freiwillig“, sagte der Kutscher.

      „Und ich übernehme freiwillig die erste Wache“, sagte Old O’Flynn. Daß die anderen amüsiert grinsten – bis auf Carberry – störte ihn nicht weiter.

      Eine Stunde vor Mitternacht setzten die Lucayaner vom Stamm der Arawaks in ihren Kanus zur „Empress of Sea II.“ über. Coanabo leitete das Unternehmen selbst, er saß in dem vordersten der fünf Kanus. Er hatte vor, das fremde Schiff auszuschlachten und die Weißen seinerseits als Sklaven zu nehmen – als Rache für das, was man ihm zugefügt hatte. Er war immer noch überzeugt, daß es sich um Spanier handelte. Wer sonst konnte wagen, mit einer Karavelle in das Inselreich von Andros einzudringen?

      Das erste, was Coanabo an Bord der „Empress“ vernahm, als er mit seinem Kanu längsseits ging, war ein tiefes, sattes Schnarchen. Etwas verwundert hob er den Kopf. Dann stand er auf und spähte über das Schanzkleid. Eigentlich hatte er erwartet, daß der Wachtposten Alarm schlug und sie das Schiff im Kampf nehmen müßten. Doch der Wachtposten schlief. Es war der alte Kerl mit dem weißen Haar.

      Old Donegal Daniel O’Flynn war auf Wache eingenickt. Das Mahl war zu üppig gewesen, und der Rum trug natürlich erheblich zur Müdigkeit bei. Schließlich war er nicht mehr der Jüngste – auch als werdender Vater. So schlief er denn und träumte von Elfen und Dämonen. Er sah nicht die Gestalten, die über das Schanzkleid an Bord stiegen, und er hörte auch nicht Plymmies Knurren.

      Coanabo kniete sich neben den Alten und hielt ihm das Messer an die Gurgel. Die anderen Indianer huschten zu den schlafenden Gestalten, die sie nach und nach entdeckten. Plymmie sprang auf. Ihr Kopf war gesenkt, ihr Nackenhaar sträubte sich. Sie knurrte lauter, dann gab sie ein kurzes, scharfes Bellen von sich.

      Old O’Flynn fuhr, unsanft geweckt, aus seinen Geisterträumen hoch. Er sah die Gestalt des Indianers neben sich und grunzte: „O Hölle, ein Chickcharnie!“

      Daß es aber doch kein Chickcharnie, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut war, begriff er erst beim nächsten Lidschlag, so benommen und verbiestert war er noch.

      Im Handumdrehen hatten die Indianer auch die anderen Schläfer überwältigt. Sie bedrohten sie mit Messern, Speeren, Pfeil und Bogen.

      Carberry wollte aufspringen und seine Gegner packen, doch Coanabo stieß einen zischenden Warnlaut aus. Da sah der Profos, daß er Old O’Flynn als Geisel bedrohte, und er konnte nur noch „Ach, du dicke Eiche“, sagen.

      Plymmie wollte sich auf die Indianer stürzen.

      „Achtung!“ sagte Hasard junior, aber sowohl er als auch sein Bruder waren zu weit von der Wolfshündin entfernt.

      Der Kutscher war es, der Plymmie gerade noch rechtzeitig genug packen konnte. Er hielt sie am Halsband zurück. Wäre sie vorgestürmt, hätte es zweifellos ein Blutbad gegeben. Sie knurrte immer noch und fletschte die Zähne. Schließlich aber näherten sich auch die Zwillinge – bedroht von den Arawaks – und halfen ihm, das wütende Tier festzuhalten.

      Sir John flatterte hin und her und krakeelte, daß es nur so hagelte. „Hurensöhne“ und „matschäugige Seegurken“ gehörten noch zu den nettesten Ausdrücken, mit denen er die Arawaks bedachte.

      „He!“ rief Nils Larsen. „Was ist los? Warum werfen wir diese Kerle nicht einfach über Bord, Donegal?“

      „Ich hab’ ein Messer am Hals“, sagte Old O’Flynn.

      „Ja, leider“, sagte der Kutscher. Er behielt die Nerven und ließ sich nicht aus der Fassung bringen. „Laßt uns lieber die Flagge streichen. Es hat keinen Zweck, daß wir


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