Seewölfe - Piraten der Weltmeere 422. Roy Palmer
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Impressum
© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-830-0
Internet: www.vpm.de und E-Mail: [email protected]
Roy Palmer
Sir Johns Galgenvögel
Sie sind beutegierig wie ihr Kapitän – aber an dem Gold klebt Blut
Der Plan, den Sir Robert Monk ausgeheckt hatte, war sehr einfach gewesen – nämlich im Schutz der Dunkelheit und nach Mitternacht mit der Jolle in die Bucht zu segeln, die „Isabella“ zu entern, in die Kapitänskammer vorzudringen und den angeschossenen Philip Hasard Killigrew als Geisel zu nehmen. Hatte man ihn in seiner Gewalt, dann war alles andere ein Kinderspiel. Mit der Wolfshündin auf der „Isabella“ hatte Sir Robert nicht gerechnet. Und Plymmie war es, von der die heransegelnde Jolle gewittert wurde. Da war es mit dem „Kinderspiel“ vorbei. Aus Sir Roberts einfachem Plan wurde ein blutiges Drama, vor allem für ihn selbst, denn eine Kugel fegte ihn außenbords. Und auch das Profos-Ungetüm Joe Doherty landete im Wasser. Da gab’s nur noch eins: Fersengeld …
Inhalt
Die Hauptpersonen des Romans:
Charles Stewart – der frühere Kommandant der „Dragon“ überspannt den Bogen und landet gefesselt in einer Hütte.
O’Leary – der Bootsmann des alten Killigrew verfügt nur kurz über zwei Goldkisten.
Gregorio de la Cuesta – befehligt zwei spanische Kriegsgaleonen und schießt mit Kanonenkugeln nach Spatzen.
Mark Corbett – der Erste Offizier der „Orion“ zeigt auch an Land, daß er zu kämpfen versteht.
Siri-Tong – die Rote Korsarin läßt die Breitseiten sprechen, und da fliegen wieder einmal die Fetzen.
1.
Ein milchig-blasser Mond erhellte um zwei Uhr am Morgen des 24. August 1594 matt die Insel- und Wasserwelt der Bahamas. Nur eine flache Dünung kräuselte die See. Der Wind wehte handig aus Südwesten und verursachte ein feines Säuseln in den Wipfeln der Palmen und Mangroven. Zikaden zirpten im Dickicht des Eilandes, in dessen Südbucht die „Isabella IX.“ und die „Caribian Queen“ ankerten. Hin und wieder war das monotone Quaken der Frösche zu vernehmen.
Das waren um diese Zeit die einzigen Geräusche, sonst herrschte Grabesruhe an Bord der beiden Schiffe, die durch die lange Wartezeit bedingt war. Der Kutscher hatte den Seewolf operiert und ihm die Kugel aus dem Rücken geholt, die ihm Sir Andrew Clifford heimtückisch verpaßt hatte. Jetzt konnten die Crews der Galeone und des Zweideckers nur abwarten und hoffen, daß sich alles wieder zum Besten wendete.
Hasard lag in der Krankenkammer des Vorschiffs der „Isabella“ – mit hohem Fieber, über dessen Ausgang sich niemand im klaren war, auch der Kutscher und Mac Pellew nicht.
Der Kutscher hatte an Bord der „Isabella“ gewissermaßen das Regiment übernommen und klipp und klar erklärt, wenn auf dem Schiff keine Ruhe gehalten werde, könne er für nichts garantieren. Und doch hatte es eine jähe Unterbrechung und Störung gegeben: durch wildes Musketengeknatter. Eine Jolle, voll besetzt mit wilden Kerlen, hatte sich in die Bucht geschlichen. Sie hatten die Männer der „Isabella“ überrumpeln wollen. Daraufhin hatten die Arwenacks das Feuer auf sie eröffnet und sie in die Flucht geschlagen.
Doch wie nahm der Seewolf diesen Versuch eines Überfalles auf? Hatte er etwas davon bemerkt – oder nahm er Geräusche zur Zeit kaum noch wahr? Nicht einmal der Kutscher wußte darauf eine Antwort zu geben. Alles war dem Zufall überlassen – und dem Schicksal. Wenn Hasard großes Glück hatte, überlebte er die Folgen des Eingriffs. Hatte er Pech, starb er. Sein Leben hing an dem sprichwörtlichen seidenen Faden, der zur Zeit erschreckend dünn war und jeden Augenblick reißen konnte.
Noch während der Fahrt von den Grand Cays zu den Pensacola Cays hatte der Kutscher am 22. August das unmögliche gewagt. Er hatte die Pistolenkugel, die in den Rücken des Seewolfes eingedrungen und dicht vor dem Herzen steckengeblieben war, mit Unterstützung von Mac Pellew und den Zwillingen herausgeholt.
Unter der Hand war ihm Hasard also nicht gestorben, wie er befürchtet hatte. Aber über den Berg war er noch lange nicht, denn seit dem Vormittag hatte das Fieber eingesetzt, und sie hatten ihn anschnallen müssen. Zwar war er noch bewußtlos, aber er bewegte sich hin und her und war unruhig. Sein Gesicht war fahl und schweißüberströmt.
Immer wieder legten ihm die Zwillinge nasse Leinen zur Kühlung über die Stirn. Mit Mac Pellews Hilfe hatte ihm der Kutscher einen Sud eingeflößt, der das Fieber herabmindern und die Abwehrkräfte des Körpers gegen eine Blutvergiftung mobilisieren oder stärken sollte.
Genau das war es, was der Kutscher insgeheim befürchtete. Aus diesem Grund wachten sie alle vier bei Hasard. Die Männer auf den Decks der „Isabella“ bewegten sich auf den Zehenspitzen und verständigten sich in der Zeichensprache miteinander. Sie konnten nichts, absolut gar nichts tun – nur warten und hoffen und beten oder die Hände zu Fäusten ballen. Diese Situation ging ihnen erheblich ans Gemüt, denn sie stellte eine Geduldsprobe ersten Ranges dar, weil die Männer zur völligen Untätigkeit verdammt waren.
Aber nach Mitternacht hatte es dann eine völlig unerwartete, nicht herbeigesehnte Abwechslung gegeben, eine Überraschung übelster Art. Plymmie, die Wolfshündin, hatte als erste etwas davon gespürt – und dann hatte Smoky von der Back aus die heransegelnde Jolle erspäht. Ein leiser Zuruf voraus zur Landzunge hatte genügt, und die dort postierten Wächter aus der Mannschaft Siri-Tongs waren alarmiert. Kurze Zeit darauf waren auch alle Arwenacks an Deck der „Isabella“ gewesen und hatten sich mit schußbereiten Musketen und Tromblons hinter das Schanzkleid gekauert. Auch auf der „Caribian Queen“ hatten sich die Männer in Deckung gehockt.
Als die fremde Jolle auf den Zugang der Bucht zusegelte, brüllte einer der Posten auf der Landzunge: „Halt? Wer da?“
Das Gefluche, das daraufhin in der Jolle einsetzte, war eindeutig. Außerdem schien es sich dem Klang der Stimmen nach um die Kerle der „Lady Anne“ zu handeln, also die Besatzung von Sir John Killigrew.
Sofort eröffneten die Männer der „Isabella“ das Feuer, und sie erzielten auch Treffer. Deutlich war zu sehen, wie von der Jolle zwei Gestalten ins Wasser kippten. Daraufhin drehte die Jolle ab und ergriff die Flucht. Ein paar Schüsse pfiffen noch hinter ihr her, dann trat wieder Stille ein.
Die Rote Korsarin hatte ein Boot abfieren lassen. Juan und Mike Kaibuk, die beiden Bootsgasten, versuchten, die beiden im Wasser der Bucht schwimmenden Toten zu bergen, doch einer war bereits untergegangen.