Das willst Du nicht wissen. Ulrich Weibler
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Das willst Du nicht wissen
und 9 weitere Kurzgeschichten aus dem prallen Leben
von
Ulrich Weibler
Impressum:
Titel: Das willst Du nicht wissen
Autor: Ulrich Weibler
ISBN: 978-3-9592-4761-0
Alle Rechte vorbehalten.
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Inhaltsverzeichnis
Wolfi - Erlebnisse eines Wortmachers aus der Steinzeit
Kai-Uwe
Kai-Uwe, fünfunddreißig, blasse Haut, stand an der Reling.
Er holte tief Luft.
Es war vollbracht.
Die düsteren Gedanken, die ihn ein Leben lang begleitet hatten, verflüchtigten sich wie hauchfeiner Nebel in der Sonne. Zum ersten Mal in seinem verkorksten Leben konnte er klar denken. Zum ersten Mal seit er ein Erwachsener geworden war fraßen ihn seine Erinnerungen und seine Schuldgefühle nicht auf.
Die extreme Sommerhitze des vorangegangenen Tages hatte den Passagieren des riesigen Kreuzfahrtschiffes so sehr zugesetzt, dass man sich mehrheitlich nicht an und in den Pools und auf den Liegestühlen aufhielt sondern im Inneren des Schiffes. Auch Kai-Uwe stand mit Rita und Bernd, Nachbarn aus seinem Heimatdorf, drinnen an der Bar und saugte an einem Trinkhalm. Der Mojito sorgte dafür, dass er sich zunächst gut fühlte. Der zweite Drink, den ihm seine Nachbarin aufschwatzte, schlug ins Gegenteil um.
Kai-Uwes Mutter befand sich im Wellness-Zentrum des Schiffes und ließ sich eine Massage verabreichen.
Seine Mutter verstand sich mit den Nachbarn blendend. Oft scherzten sie über den Gartenzaun hinweg. Nicht nur das gemeinsame Kaffeetrinken oder Grillen gehörte zu ihren Ritualen. Seit mehreren Jahren unternahmen sie auch in unregelmäßigen Abständen gemeinschaftlich Kreuzfahrten. Meistens kam Kai-Uwe nicht mit. Als aber vor ein paar Wochen seine Mutter beiläufig fragte, ob er denn mitkommen wolle, da stimmte er spontan zu. Er musste etwas unternehmen. Vielleicht verschaffte ihm diese Schifffahrt eine geeignete Gelegenheit.
Kai-Uwe verschwand in der Kabine, die er mit seiner Mutter teilte. Die Klimaanlage lief auf vollen Touren. Sie war laut. Irgendetwas steckte zwischen den Lamellen und gab ein flatterndes Geräusch von sich. So hörte er es nicht als seine Mutter plötzlich mitten im Raum stand und ihren Bademantel fallen ließ um sich zu gleich darauf zu duschen.
Nacktheit gehörte zu den normalen Umgangsformen in ihrem Haushalt. Sie hatte keine Scheu, auch als ihr Mann noch lebte, nackt vor ihren Kindern Kai-Uwe und seinen Schwestern herum zu laufen. Den Kindern fiel es allerdings schwer.
Der Vater, dieser abartige Widerling, der viel zu früh bei einem Arbeitsunfall gestorben war, schien die Nacktheit seiner Kinder zu genießen. Vater war Handwerker. Dachdecker. Oft kam er am Abend betrunken nach Hause, stank nach Schweiß und Alkohol. Mutter, Hausfrau ohne eigenen Willen, nahm es hin. Gab sie Widerworte setzte es Schläge, die sie ebenfalls klaglos hinnahm. Wenn Vater mal wieder ganz schlimm ausgerastet war schenkte er ihr ein paar Tage darauf teuren Schmuck oder einmal sogar ein Auto.
Mutter kam aus der Dusche. Sie besaß eine für ihr Alter recht gute Figur. Und sie war stets gebräunt. Die Männer drehten sich nach ihr um, wenn sie in einem kürzeren Röckchen durch die Straßen der Stadt flanierte. Und auf dem Kreuzfahrtschiff besaß sie auch schon einige Verehrer. Wenn die wüssten.
Kai-Uwe mochte weder den Anblick seiner nackten noch den seiner bekleideten Mutter. Er mochte sie nicht, den Anblick nicht, ihr scheußliches Parfüm nicht. Wut stieg in ihm auf, die durch die Wirkung des Alkohols noch größer wurde. Er hatte zudem noch eine halbe Flasche Wein übrig, den sie sich am Vorabend zum Essen bestellt und nicht ganz ausgetrunken hatten.
Mutter brauchte ewig in dem kleinen Badezimmer. Sie war dorthin zurückgekehrt um sich für das Abendessen herzurichten. Da musste geschminkt, gesalbt, übertüncht, gepinselt und gepudert werden. Plötzlich fing sie an ein Liedchen zu trällern. Leise drangen die Töne an Kai-Uwes Ohr.
Das war der Gipfel. Dass eine Person wie sie auch noch fröhlich sein konnte schlug dem Fass den Boden aus. Es ließ, wenn sie das machte – und das kam immer wieder vor –sein Gottvertrauen, das er trotz allem besaß, tief erschüttern. Das durfte nicht sein!
„Lass uns etwas Feines essen gehen und den Abend genießen!“, forderte sie ihren Sohn auf. Der kochte innerlich bereits.
Mit etwas Abstand, seine Mutter voraus, schritten sie in den heruntergekühlten großen Saal, in dem das Abendessen serviert wurde. Die einzelnen Gänge, fünf an der Zahl, waren ausgezeichnet. Auch der neu bestellte Wein mundete. Die Tischgespräche drifteten bisweilen in schlüpfrige Ebenen ab. Und einmal mehr fragte die Nachbarin Rita, deren beachtliche Brüste mit den steil aufgerichteten Brustwarzen frei in ihrem Sommerkleidchen schwangen, ob er, Kai-Uwe, denn endlich mal ein nettes Mädel kennengelernt hätte.
Kai-Uwe sprang auf, warf seine helle Stoff-Serviette mit lautem Klatschen auf den Tisch und verschwand nach draußen.
Das mächtige Schiff durchschnitt die großen Wellen ohne dass man irgendeine Form von Seegang verspürte. Es regnete noch leicht nachdem sie während des Abendessens durch ein heftiges Gewitter gefahren sein mussten. Der Boden lag voll mit umhergewehten Kissen, Gegenständen, ein zerrissener Sonnenschirm rollte langsam hin und her.
Kai-Uwe lief aufgebracht an der Reling entlang. Bis er in einem dunklen Eck des Decks verharrte.
Er sah wie sie angerannt kam. Keine normalen Schritte. Schnelle tippelnde.
Sie musste ihn gesucht haben und kam nun direkt und mit stierem Blick auf ihn zu.
„Sag mal,