Gelassen durch die schnelle Zeit. Clemens Bittlinger
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Anselm Grün
Clemens Bittlinger
Gelassen durch die schnelle Zeit
Dr. Anselm Grün ist Benediktinerpater und Verwaltungsleiter der Abtei Münsterschwarzach sowie Autor zahlreicher geistlicher Bestseller.
Clemens Bittlinger ist Liedermacher, evangelischer Pfarrer und erfolgreicher Buchautor.
Die Texte dieses Buches sind zum Teil bisher unveröffentlicht, zum Teil als Impulse des Fastenkalenders „7 Wochen ganz gelassen“ erschienen (zurzeit vergriffen).
Die zitierten Bibelworte sind der
Lutherbibel und der Einheitsübersetzung entnommen:
Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift,
© 1980 Katholische Bibelanstalt Stuttgart
Lutherbibel, revidierter Text, durchgesehene Ausgabe
in neuer Rechtschreibung,
© 1999 Deutsche Bibelgesellschaft Stuttgart
© 2013 Brunnen Verlag Gießen
Konzept und Redaktion: Petra Hahn-Lütjen
Umschlaggestaltung: Sabine Schweda
Umschlagmotiv: shutterstock
Satz: DTP Brunnen
ISBN 978-3-7655-1262-9
eISBN 978-3-7655-7189-3
Einladung zum Innehalten
Liebe Leserin, lieber Leser,
die Gedanken dieses Buches laden Sie ein, innezuhalten – um gelassener durch die schnelle Zeit zu kommen. Um gelassener in dieser schnellen Zeit zu leben.
Wir brauchen Momente und Zeiten der Stille, eine Zeit, die Seele genauso zu entrümpeln wie die Wohnung, eine Zeit, sich einzuüben in die innere Freiheit und Gelassenheit.
Versuchen Sie einmal, langsamer als sonst durch die schnelle Zeit zu schreiten. Natürlich brauchen Sie bei Ihrer Arbeit eine gewisse Schnelligkeit. Aber Ihr privates Leben sollten Sie immer wieder einmal verlangsamen, um das Geheimnis des Lebens zu entdecken und das Geheimnis Gottes.
An Gott messen wir auch unser Leben. Wenn wir auf ihn, auf Jesus Christus schauen, dürfen wir vertrauen, dass auch unser Leben gelingen wird. Und von seiner inneren Verbindung mit dem Vater im Himmel können wir lernen, voll Vertrauen und Gelassenheit unseren Weg zu gehen. Wir müssen nicht alles selbst tun, wir dürfen uns ihm überlassen und so gelassen das tun, was uns aufgetragen ist.
So wünschen wir Ihnen, dass Sie das Innehalten als gesegnete Zeit erleben, als Zeit, in der Sie zur Ruhe finden, bei sich selbst und bei Gott ankommen, der Zeit und Ewigkeit in seinen Händen hält.
Anselm Grün & Clemens Bittlinger
Stille und Schweigen
Wir müssen unterscheiden zwischen der Stille und dem Schweigen. Stille ist uns vorgegeben. Schweigen müssen wir üben.
Das deutsche Wort Stille kommt von „stellen“. Es meint ursprünglich: stehen bleiben. Ich höre auf, mich zu bewegen. Ich bleibe stehen und halte inne. Ich versuche, vom Äußeren ins Innere zu gelangen. Wenn ich die Bewegung im Äußeren aufgebe, dann entsteht eine Bewegung nach innen.
Die deutsche Sprache kennt das „Stillen“ der Mutter. Die Mutter möchte das Kind zur Stille bringen, indem sie es stillt. Das Schreien ist hier Ausdruck des Hungers. Wem etwas fehlt, der meldet sich zu Wort. Wer Hunger hat, der schreit. Er braucht etwas, was ihn nährt. Die Mutter stillt das Kind, indem sie seinen Hunger mit Nahrung und Liebe zum Schweigen bringt.
Stille ist nicht nur Abwesenheit von Lärm, Fehlen von Worten. Stille hat eine eigene Qualität. Es ist die Qualität des reinen Seins.
Wenn etwas absichtslos ist, dann ist es still. Das Ego ist immer laut. Es stellt sich in den Mittelpunkt. Es meldet sich zu Wort. Es muss sich ständig darstellen, produzieren. Stille ist reines Sein. Stille hängt mit Reinheit und Einfachheit zusammen. Wenn etwas rein und lauter ist, ohne Nebenabsichten, dann empfinden wir es als still.
Kennst du stille Räume, gebaute Stille? Wie fühlst du dich in einer Kirche, in der dich die Stille umgibt? Kennst du in der Natur Orte, an denen die Stille für dich hörbar wird? Versuche, diese Orte zu genießen und in dir den Raum der Stille zu entdecken, zu dem der Lärm der Welt keinen Zutritt hat.
AG
Stille ist wie ein Mantel, der dich einhüllt
Wort und Stille, Sprechen und Schweigen, Klang und Stille sind zwei Pole, die zu unserem Leben gehören. Wenn wir einen Pol absolut setzen, verfälscht sich unser Leben. Wer nur spricht, dessen Worte klingen irgendwann hohl.
Es gibt Menschen, die können auch im Gespräch keine Stille aushalten. Sie müssen immer etwas sagen. Man spürt ihr Gehetztsein. Wenn sie aufhören zu reden, könnten sie infrage gestellt werden. Oder der eigenen Wahrheit begegnen.
Viele haben Angst vor der Stille, weil sie Angst vor ihrer inneren Wahrheit haben. Und weil sie Angst haben, müssen sie Lärm um sich herum machen. Das ist eine uralte Weise des Menschen, sich gegen die Stille zu schützen. Er braucht immer eine Geräuschkulisse, damit er seiner eigenen Wahrheit aus dem Weg gehen kann.
In der Stille hört der Mensch auf, sich hinter seinen Worten zu verstecken oder sich im Lärm taub zu machen gegen die unheimlichen Stimmen, die sich in der Stille Gehör verschaffen wollen. Da könnte ja das ungelebte Leben sichtbar werden. Enttäuschungen kämen hoch, Schuldgefühle würden ihn peinigen. Daher muss er die eigene Wirklichkeit mit Reden oder Aktivitäten überdecken. Andere haben Angst, dass sie sich in der Stille einsam fühlen.
Versuche einmal, Orte der Stille aufzusuchen. Genieße die Stille um dich herum. Vielleicht wirst du dann auch selber still. Du kannst die Stille um dich herum wahrnehmen wie einen Mantel der Liebe, der dich einhüllt.
AG
Mut zur Stille
Warum fällt es uns so schwer, still zu sein oder still zu werden? Sicher, wir leben in lauten Zeiten, wir sind umgeben von so vielen Einflüssen und akustischen Reizen, dass man auf den Gedanken kommen könnte, es gäbe sie gar nicht mehr, die Stille.
Selbst wenn ich es schaffe, mich von meinem Alltagsgeschäft zu lösen und an einen ruhigen Ort zurückzuziehen, ist es schwierig, wirklich ganz ruhig zu werden: Zu vieles klingt und schwingt in mir nach, zu viele Gedanken und Sorgen drängen sich hinein in diese Stille und wollen zu Ende gedacht werden. Auf einmal merke ich, wie laut Stille sein kann, denn endlich kann in mir einmal all das zu Wort kommen, was beiseitegedrängt wurde.
Das ist die erste Chance der Stille, dass ich mir Zeit nehme für mich, für all das, was sich in mir zu Wort melden möchte, aber im normalen Alltag keine Beachtung findet. Diese Chance, diese erste Stufe der Stille, gilt es zu nutzen.
Das kann ich tun, indem ich mir einen Stift und mehrere Blätter Papier nehme und all das aufschreibe, was mir nun in den Sinn kommt. Ich halte es gewissermaßen fest, schwarz auf weiß, und kann es so Blatt für Blatt zur Seite legen – ich habe es festgehalten, ernst genommen und weiß nun: Darum kann ich mich später kümmern. Und auch dabei wird mir später die Stille helfen.
Tatsache ist: Ich brauche Mut zur Stille, denn womöglich kommt manches zum Vorschein, was mir nicht gefällt. Aber ich darf darauf vertrauen, dass die Stille mir guttut.
CB
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