Terror. D. J. Franzen
waren auch die Zwillinge hellwach.
Wortlos fassten sich die drei Jungen an den Händen und richteten den Fokus ihrer Kräfte auf das Geschehen außerhalb des Zimmers. Nach wenigen Augenblicken nickte Tom.
Hier oben ist alles sicher, sandte er seine Gedanken an Kurt und Karl. Diese Hengsten ist mit Edith im Aufzug vorerst sicher, aber Erich steckt in der Scheiße. Wir sollten Jörg und Sandra Bescheid sagen.
Kurt schüttelte heftig den Kopf. Warte! Jörg und Sandra! Der Junge wurde blass. Sie sind draußen! Und es kommt jemand!
Dann gehe ich alleine in die Zentrale. Ruft die anderen zusammen, vielleicht können wir helfen.
Weißt du noch, wie schwer es war, die Desinfektionstrupps mit unseren Kräften zu begleiten?, sandte Karl einen zweifelnden Gedanken. Ich glaube, der Bunker blockiert mit seinen Wänden unsere Kräfte.
Versucht es trotzdem!
Tom ließ die Hände der Zwillinge los und stürmte aus dem Zimmer.
***
Erich sah sich verständnislos um. Dann entdeckte er die Kamera an der Decke. Erschrocken zuckte sein Blick zu Goras Leiche, in deren linkem Auge immer noch das Messer steckte.
Mit der Wucht einer Abrissbirne überkam Erich die Erkenntnis, wie sich die ganze Situation darstellen musste, wenn man sie auf einem der Bildschirme in der Zentrale des Bunkers sah. Hatten Roland, Gregor und Martin die Überwachungskameras wieder zum Laufen gebracht? Hatten sie gesehen, was hier gerade passiert war?
Das Heulen der Alarmsirenen und das flackernde Licht des Lockdowns gaben ihm die Antwort. Entweder war auch anderswo im Bunker etwas passiert oder man hielt ihn für einen Mörder und wollte ihn an der Flucht hindern!
Erich stand auf, sah ein letztes Mal auf Goras toten Körper, dann lief er den Korridor entlang. Er musste ein sicheres Versteck finden und sich überlegen, wie er seine Unschuld beweisen konnte, bevor ihn ein tobender Mob einfach aufknüpfen würde!
Erich bog um die Ecke des Korridors und blieb abrupt stehen. Etwa zehn Meter von ihm entfernt wankten zwei Zombies. Den einen erkannte er nicht. Dieser trug einen Kampfanzug, den Erich auf diese Entfernung den amerikanischen Streitkräften zuordnete. Aber der andere Untote kam ihm bekannt vor. Er sah genauer hin und konnte nur mit Mühe ein Aufkeuchen unterdrücken. Das war Holger Dresen! Der sollte doch oben auf Ebene 1 einen der Aufzüge bewachen!
Die beiden Reanimierten gingen ungewöhnlich zielstrebig den Korridor entlang. Es wirkte, als würden sie einem Ruf folgen.
Als sie die vor ihnen liegende Kreuzung erreichten und sich nach links hielten, fasste Erich einen Entschluss. Das war seine Chance, seine Unschuld zu beweisen. Jemand hatte nicht nur Gora getötet, sondern auch Dresen und den unbekannten Soldaten.
Erich lief zu Goras Leiche und riss dem Toten das Messer aus dem Gesicht. »Es tut mir leid mein Freund, aber ich möchte nicht unbewaffnet auf die Jagd nach deinem Mörder gehen. Das ist für mich die einzige Möglichkeit, lebend aus dieser Scheiße rauszukommen.«
***
Bei einem »Lockdown« wurden alle Bereiche unterhalb der Ebene 1 des Bunkers abgesperrt. Wer sich dort befand, war auf Gedeih und Verderb der Gefahr ausgesetzt, wegen der der Alarm ausgelöst worden war. Dementsprechend groß war der Aufruhr in der Zentrale, denn die Überlebenden hatten sich auf alle Ebenen verteilt, nachdem sie den Bunker von »unerwünschten Mitbewohnern« befreit hatten. Wer oben war, wollte wissen, was unten los war. Wer unten war, versuchte, eine der Interkomstellen zu erreichen, um ebenfalls zu erfahren, was passiert war.
Als Tom in die Zentrale stürmte, vermeinte er, gegen eine Wand aus ängstlichen Stimmen, Alarmsirenen, Hektik und Chaos zu prallen. Er sah Doktor Steins, der wie ein grauer Leuchtturm aus der Menge herausragte, und bemerkte die ängstlichen Gesichter sowie die Abscheu der Lebenden, als dieser sich einen Weg zu einer der Konsolen bahnte.
Martin, Roland, Marion und Steins hatten alle Hände voll zu tun, die Menge zu beruhigen. Gregor saß leichenblass vor einer Konsole, auf der die Monitore Bilder vom Inneren des Bunkers zeigten.
Tom griff mit seinen Kräften in den Äther. Erneut fiel ihm auf, dass seine Fähigkeiten innerhalb des Bunkers irgendwie gedämpft wurden. Als er und die anderen begabten Kinder die Desinfektionstrupps »überwacht« hatten, war ihnen das erste Mal aufgefallen, dass es ihnen trotz des Zirkels, in dem sie ihre geistigen Fähigkeiten bündelten, enorm schwerfiel, den Trupps mit ihren mentalen Fähigkeiten zu folgen. Lag das an der besonderen Bauweise des Bunkers?
Tom bemerkte, dass Martin kurz aufblickte.
Tom? Alles okay bei dir?
Ja, alles paletti. Kurt und Karl sind auch wohlauf und versuchen gerade, Kontakt mit den anderen aufzunehmen.
Warum?
Vielleicht können wir herausfinden, was da unten geschehen ist.
Trotz der Probleme, die es euch hier bereitet?
Wir versuchen es.
Gut. Aber seid um Himmelswillen vorsichtig! Die Meute hier ist kaum zu bändigen, und ich habe schon ein paar schräge Blicke in deine Richtung bemerkt.
Tom tauchte aus seiner kurzen Trance auf. Normalerweise konnte er mit Martin und den anderen Begabten auf telepathischem Weg kommunizieren, ohne sich derartig stark konzentrieren zu müssen. Er drehte sich um und lief dabei geradewegs in Lemmy hinein.
Der hagere Mann mit der grauen Mähne lächelte aufmunternd. »Tom, du und die anderen Kids, ihr müsst dringend vor Aufzug 3 saubermachen! Ich will nicht, dass hier eine Panik ausbricht. Macht schnell und passt auf euch auf! Wenn ihr etwas Auffälliges bemerkt, meldet es sofort!«
Tom stutzte und sah den Mann misstrauisch an. Wusste Lemmy schon, was geschehen war? Aber woher?
Ehe er Lemmy fragen konnte, war der schon zur Konsole marschiert, an der Gregor immer noch wie gelähmt saß, hatte Steins wie beiläufig zur Seite gedrängt und die Alarmsirenen abgeschaltet. »Und jetzt herrscht hier Ruhe, verdammt nochmal!«, donnerte seine Stimme durch die Zentrale. »Wir können zwar alle gleichzeitig singen, aber dann sollten wir uns auch auf ein Lied einigen.«
Tom verließ die Zentrale im Laufschritt. Er musste zu den anderen Kindern! Vielleicht konnten sie, nachdem sie Lemmys Auftrag ausgeführt hatten, gemeinsam irgendwie herausfinden, was genau passiert war.
***
Martin war froh, als Lemmy für Ruhe sorgte. Die Pilger, die sich in der Zentrale einfanden, waren verständlicherweise ängstlich. Aber ängstliche Menschen, eingepfercht in einen unterirdischen Bunker, konnten gefährlich werden, weil sie sich rationalen Argumenten irgendwann verschlossen.
Martin sah kurz in die Ecke, in der Levi zitternd und blass stand. Hoffentlich hielt der Arzt aus Schwarmstein den Mund! So wie es bisher aussah, hatte keiner der Aufgebrachten den Weg an Aufzug Nummer 3 vorbei genommen, wo Holger Dresen verschwunden war und wo sich laut Levi nur noch eine Blutspur befand.
Allmählich kehrte in der Zentrale Ruhe ein. Die ängstlichen Stimmen wurden weniger. Bleiche Gesichter, in denen die Augen groß und rund wie dunkle Seen voller Angst schwammen, sahen zu Lemmy.
Der hob beschwichtigend die Arme. »Hört mir zu, Leute! Wir wissen noch nicht, warum der Alarm ausgelöst wurde. So wie ich das aber sehe, haben Roland und Gregor bei der Reparatur der Kamerakontrollen für die unteren Bereiche der Suite einen Kurzschluss verursacht.«
»Woher willst du das wissen?«, fragte eine dunkelhaarige Frau, deren Namen Lemmy nicht kannte.
Ehe Lemmy antworten konnte, trat Roland einen Schritt vor. »Sorry, das war ich. Lemmy hat recht: falscher Alarm.«
»Und ist der Lockdown jetzt beendet?«, wollte ein Mann wissen, den sie aus Bonn gerettet hatten.
Roland schüttelte betreten den Kopf. »Leider nicht. Ich muss mit Gregor erst nachsehen, was wir da veranstaltet haben. Aber keine Bange! Wer jetzt in den unteren Bereichen feststeckt, hat dort