Das Auge des Panthers. Katrin Ulbrich

Das Auge des Panthers - Katrin Ulbrich


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Sie nicht eben noch behauptet, das zu mögen?»

      «Ich meinte doch nicht wirklich …» Schnaubend unterbrach sich der Bärtige und packte ihren Arm. «Na warte, das wirst du mir büßen!»

      «Lassen Sie sie in Ruhe», mischte sich Katzmann ein und trat zwischen den Bärtigen und die Frau. Dabei fasste er den Angetrunkenen fest ins Auge. «Sie haben doch gehört, dass sie keine Gesellschaft möchte.»

      «Was geht Sie das an? Mischen Sie sich gefälligst nicht ein!»

      «Es tut mir leid, aber ich kann nicht tatenlos zusehen, wenn eine junge Dame belästigt wird.»

      «Welche junge Dame denn?» Der Bärtige schnaubte abfällig.

      «Die Kleine ist alles andere als eine Dame. Diese Zirkusleute sind doch alle gleich: Die haben weder Moral noch ein Gewissen. Was die Kleine hier braucht, ist ein echter Kerl!» Er nestelte an seinem Hosenlatz. Dann streckte er den Arm nach ihr aus, aber Katzmann schob ihn zurück.

      «Lassen Sie das», bat er ihn.

      «Was fällt Ihnen ein?», polterte der Bärtige aufgebracht und stieß den Reporter so fest vor die Brust, dass dieser zurücktaumelte. Das Glas rutschte ihm aus der Hand und zerschellte auf dem Boden. Die Umstehenden wichen zurück und bildeten einen Halbkreis um sie. Offenbar erwarteten sie einen Kampf.

      Der Angetrunkene trat vor Katzmann hin, packte ihn mit einer Hand am Revers und schmetterte seine freie Rechte blitzschnell gegen dessen Kiefer.

      Es knackte unschön. Ein scharfer Schmerz raste durch den Schädel des Reporters. Er taumelte, fing sich aber wieder und ließ seinen Arm hochschnellen, ehe der Angetrunkene ein weiteres Mal zuschlagen konnte. Geschickt fing er die Rechte ab und lenkte sie zur Seite. «Hören Sie auf», beschwor er seinen Rivalen, «das führt doch zu nichts!»

      «Ich lasse mich nicht zum Affen machen!», keuchte der Bärtige. «Schon gar nicht vor meinen Freunden. Kommen Sie mit raus, damit wir das unter Männern klären.»

      «Ich werde mich bestimmt nicht mit Ihnen prügeln!»

      «Ach nein? Tja, Pech für Sie! Ich will mich nämlich mit Ihnen prügeln!» Erneut holte der Bärtige aus, und nur die Geistesgegenwart des Reporters bewahrte ihn vor einem Hieb, der ihn vermutlich ein paar Zähne gekostet hätte. Blitzschnell duckte er sich weg, und so ging der Schlag ins Leere. Von seinem eigenen Schwung aus dem Gleichgewicht gebracht, taumelte der Bärtige nach vorn. Er brauchte einige Sekunden, um sich wieder zu fangen.

      Diese Zeit genügte Katzmann. Er schlang dem Angetrunkenen einen Arm um die Kehle, presste ihn fest an sich und zwang ihn in die Knie. «Lassen Sie es gut sein!», schnaufte er.

      «Niemals!» Der Bärtige trat aus und versuchte, seine Hände unter den Arm des Reporters zu schieben, um sich zu befreien, aber dieser drückte nur noch fester zu.

      Katzmann hatte Kräfte, die man seiner sehnigen Gestalt nicht gleich ansah, und die setzte er nun ein. Getrieben von Zorn und Empörung, hielt er seinen Gegner im Schwitzkasten, bis dieser dunkelrot anlief und nach Luft schnappte. «Hören Sie jetzt endlich auf?»

      «Na … schön …», ächzte der Bärtige.

      Katzmann ließ seinen Rivalen los, der kraftlos auf die Knie sank und sich die Kehle rieb. Zu mehr als einem bitterbösen Blick war er nicht mehr fähig.

      Die Umstehenden machten finstere Gesichter. Katzmann spürte, dass die Stimmung gegen ihn war. Die Dompteuse schien nicht sonderlich viele Fürsprecher zu haben. «Verschwinden wir von hier!», schlug er ihr vor und deutete zur Tür.

      «Aber ich muss meine Freundin finden!»

      «Sie ist nicht hier, das sehen Sie doch. Oder wollen Sie noch mehr Gäste nach ihr fragen?»

      Die Fremde zögerte kurz und schüttelte dann den Kopf. Katzmann nahm ihre Hand und schob sich voran durch die Menge. Er bahnte ihr einen Weg, und das war auch gut so, denn die Männer wichen nur widerstrebend zurück und murmelten verhaltene Drohungen.

      Erleichtert trat der Reporter kurz darauf auf die Straße. Auf eine weitere Prügelei hatte er nun wirklich keine Lust. Sein Kiefer hämmerte noch von dem Hieb, den er hatte einstecken müssen.

      Davon würde er vermutlich noch eine ganze Weile etwas haben. Unter dem Vordach des Eingangs blieb er stehen und wandte sich zu der Fremden um. Sie war blass und hielt ihren Mantel angespannt vor der Brust zusammen. «Alles in Ordnung?», forschte er. «Geht es Ihnen gut?»

      «Ja, danke», versetzte sie leise. «Sie haben mir da drinnen geholfen. Warum eigentlich?»

      «Wie ich schon sagte: Ich mag es nicht, wenn eine Frau bedrängt wird.»

      «Das war wirklich nett von Ihnen.»

      «Nicht der Rede wert.»

      «Aber Ihr Kiefer …»

      «Der hält noch ganz andere Sachen aus.» Katzmann deutete die Straße hinunter. «Kommen Sie, ich bringe Sie zurück zum Zirkus. Nicht, dass es den Kerlen da drinnen noch einfällt, Ihnen zu folgen.»

      «Ich kann noch nicht zurück, ich muss meine Freundin finden. Nelly ist verschwunden. Sie hätte heute Abend in der Vorstellung auftreten sollen, aber sie ist nicht da gewesen.»

      Katzmann dämmerte es. «Ihre Freundin … ist das die Seiltänzerin?»

      «Ganz recht.» Sie nickte lebhaft. «Waren Sie auch im Zirkus?»

      «Ja, ich habe mir die Vorstellung angesehen.»

      Die Fremde zog ihren Kragen noch ein Stück höher und sah sich verzweifelt um. «Nelly hat noch nie einen Auftritt versäumt. Dass sie heute nicht da war, bedeutet bestimmt nichts Gutes. Ihr muss etwas zugestoßen sein.»

      «Warum gehen Sie gleich vom Schlimmsten aus?»

      «Weil sie auch nicht in ihrem Wohnwagen war. Ich habe den ganzen Zirkus nach ihr abgesucht – vergeblich.»

      «Womöglich hatte sie eine Verabredung und hat sich nur verspätet.»

      «Ganz sicher nicht, das wüsste ich. Nelly und ich sind zusammen aufgewachsen. Wir sind wie Schwestern. Ich wüsste es, wenn sie sich mit jemandem getroffen hätte.» Tränen blinkten in den grünen Augen der Dompteuse, und ihr Blick war voller Angst.

      «Nelly hat noch nie eine Vorstellung versäumt. Nicht einmal, als sie die Grippe und vierzig Grad Fieber hatte!»

      «Sie glauben also, ihr ist etwas zugestoßen?»

      «Ja, das befürchte ich.» Die Dompteuse senkte den Blick. Katzmann spürte, dass ihr noch mehr zu schaffen machte.

      Seine Arbeit als Journalist hatte seine Menschenkenntnis geschult. Er ahnte, dass ihm die Fremde nicht alles sagte, aber das konnte er ihr auch kaum übelnehmen, immerhin kannte sie ihn kaum. «Wer könnte denn etwas vom Verschwinden Ihrer Freundin wissen?»

      «Ich weiß es nicht. Ihre Mutter vielleicht.»

      Das Gaslicht der Straßenlaterne flackerte auf dem Gesicht der Fremden. Der Wind trieb raschelndes Herbstlaub über die Straße. Es regnete nicht mehr, aber die Luft war schneidend kalt.

      «Ich würde Ihnen gern helfen. Mein Name ist übrigens Konrad Katzmann», besann sich der Reporter plötzlich auf seine Manieren.

      «Selina Reuther», stellte sich die Dompteuse vor. «Meinem Onkel gehört der Zirkus.»

      «Ihrem Onkel?» Katzmann dachte an die beiden Streithähne, die er vor wenigen Stunden im Zirkus gesehen hatte. «Dann ist Ihr Vater das leichtgewichtige Ebenbild des Zirkusdirektors, nicht wahr?»

      «Ja, das stimmt.»

      «Hat er auch eine Nummer?»

      «Nein, jetzt nicht mehr. Früher hat er mit den Elefanten seines Vaters gearbeitet, aber sie sind gestorben.»

      «An Altersschwäche?»

      «Nein, sie wurden vergiftet. Manche glauben,


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