Ausbruch. Dominique Manotti

Ausbruch - Dominique  Manotti


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schließlich, die Geschichte, die er erzählte, wäre irgendwie ein bisschen auch meine Geschichte. Gefühl eines unwiederbringlichen Verlusts, wie ein Loch in meinem Leben.

      Dann, Schock, Carlos Sätze, die sich jäh und glasklar zurückmelden: »Ich denke, man wird viel über meine Flucht reden. Und man wird nach dir fahnden, weil du mit mir geflohen bist. Du musst dich eine Zeitlang verstecken, bis sich die Lage beruhigt.« Für einen Moment hatte Schweigen geherrscht, dann hatte Carlo gefragt: »Verstehst du, was ich dir sage?« Natürlich nicht, in dem Augenblick hatte er es nicht verstanden, und er fühlt sich schuldig. Jetzt wiegen diese Worte tonnenschwer. »Man wird viel über meine Flucht reden.« Warum seine Flucht? Es war auch meine, oder etwa nicht? Ich muss unbedingt Presseberichte über unsere Flucht auftreiben. Wo kriegt man die her? Filippo faltet seine Zeitungen zusammen, steckt sie in den Rucksack, bezahlt seinen Kaffee und macht sich auf die Suche nach einer öffentlichen Bibliothek.

      In der Stadtbibliothek ist die inländische Tagespresse des gesamten zurückliegenden Monats frei zugänglich. Es sind kaum Leute da. Filippo findet schnell die Zeitungen von der Woche ihrer Flucht, erinnert sich aber vor Aufregung nicht an das genaue Datum. Er schnappt sich die komplette Woche und setzt sich mit dem Rücken zum Raum an einen Einzelplatz.

      Rasch stößt er auf die Titelseite der Stampa, Schlagzeile: »Flucht eines ›Gründervaters‹ der Roten Brigaden.« Darunter zwei Fotos: eins von Carlo und eins von ihm. Neuerlicher Schock. Ein Bild von ihm, Filippo, vorn auf einer Zeitung. Das ist doch aberwitzig. Er schließt die Augen, fährt mit der Hand über das Foto, betrachtet es erneut, es ist immer noch da, er muss sich damit abfinden. Er liest die Bildunterschrift: »Filippo Zuliani, verurteilter Straftäter und Mithäftling von Carlo Fedeli, wichtigster Komplize bei einem von langer Hand geplanten Ausbruch.«

      Komplize bei einem von langer Hand geplanten Ausbruch. Diesmal packt ihn Panik. Die Polizei fahndet nach den Komplizen des Bankraubs, nach den Polizistenmördern, und sie verfolgen eine heiße Spur. Die heiße Spur bist du. Wichtigster Komplize bei einem von langer Hand geplanten Ausbruch, und kannst nicht beweisen, dass du zur Zeit des Überfalls allein durchs Gebirge gewandert bist. Kannst nicht beweisen, dass du nicht auf diesem Gehweg vor dieser Bank in Mailand warst, wo du noch nie gewesen bist. Seine Geschichte ist ein bisschen auch meine Geschichte. Nein, sie ist nicht ein bisschen deine Geschichte, du steckst bis zum Hals mit drin. Wenn die Bullen dich schnappen, bist du erledigt. Und hier in der Zeitung ist dein Foto. Er fährt sich mit der Hand übers Gesicht. Wie dumm von dir, zum Barbier zu gehen. Wie kommt es, dass du noch nicht erkannt worden bist? Irrsinniger Drang zu fliehen. Kämpf dagegen an. Verhalte dich unauffällig. Die Zeitungen müssen zurückgeräumt werden. Schweißausbruch, feuchte Hände. Stocksteif legt er die Zeitungen zurück an ihren Platz, kontrolliert, ob sie richtig einsortiert sind, steuert auf den Ausgang zu. Nichts geschieht. Er geht hinaus. Niemand spricht ihn an.

      Er läuft durch irgendwelche Straßen, setzt sich auf eine Bank, um sich wieder zu fangen. Zwei Tote. Man wird mir zwei Tote anhängen. Zwei Tote, einer davon ein Carabiniere. Das steh ich niemals durch. Nicht ich, nicht zwei Tote, das ist vollkommen aberwitzig. Dazu hab ich gar nicht das Zeug. Einziger Ausweg, abhauen, verschwinden. »Falls es dir in Italien zu heiß wird, geh nach Frankreich. Lisa Biaggi in Paris. Geh zu ihr, sag, dass ich dich schicke, sie wird dir helfen.« Die hatte er ganz vergessen. Er greift in den Rucksack, wühlt hektisch darin herum, da ist er ja, ganz unten, der Umschlag mit Lisas Adresse. Das ist die Rettung.

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