Ein Fluch aus der Vergangenheit. Joachim Bräunig

Ein Fluch aus der Vergangenheit - Joachim Bräunig


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gebratenen Nudeln können nicht aufgehoben werden, sie verderben schnell. Gibt es bei dir Neuigkeiten?“, fragte Helmut.

      „Nein.“

      „Wir könnten dieses Wochenende zu Mutti fahren.“

      „Ich habe am Sonntag frei“, stimmte Silvia zu.

      „Wenn sich bei mir nichts ändert, habe ich Sonntag gleichfalls frei.“

      „Ich würde gerne zu Mutti fahren. Es ist immer wieder schön, auch wenn sie uns nicht erkennt.“

      „Wir könnten bei Oma und Opa vorbeischauen“, schlug Helmut vor.

      „Eine gute Idee, aber du weißt, dass wir in diesem Fall früh aufstehen müssen“, lächelte Silvia.

      „Vielleicht können wir unsere Großeltern überreden, uns zu Mutti zu begleiten.“

      „Meine Hoffnung diesbezüglich ist gering. Bis jetzt sind sie noch nie mitgefahren und du erinnerst dich sicherlich, wie Oma reagiert hat, als die Ärzte uns mitteilten, dass sich der gesundheitliche Zustand unserer Mutti nicht verbessern wird und sie uns wahrscheinlich nie mehr erkennen wird“, entgegnete Silvia.

      „Ja, aber ich weiß auch, wie sehr Oma ihre Tochter geliebt hat.“

      „Das wird der Grund sein, weshalb sie Mutti in diesem Zustand nicht sehen möchte.“

      „Du wirst wieder einmal recht haben, aber dennoch gebe ich es nie auf und werde Oma immer wieder dazu drängen, mit uns in die Klinik zu fahren“, beharrte Helmut.

      „Ich bin einverstanden, außerdem waren wir seit einiger Zeit nicht bei unseren Großeltern.“

      „Sie werden sich bestimmt freuen.“

      „Wollen wir ihnen unseren Besuch anmelden?“, fragte Silvia.

      „Lieber nicht, du weißt, wie schnell sich bei meinen Diensten etwas ändern kann, und dann müssten wir, wie leider schon so oft, wieder absagen.“

      „Wir könnten ihnen ein Geschenk mitbringen.“

      „Gute Idee“, erwiderte Helmut.

      „Ich besorge eine gute Flasche Cherry, die Opa gern trinkt.“

      „Für Oma besorge ich ihr Lieblingsparfüm“, ergänzte der Bruder.

      „Weißt du, Helmut, ich konnte die letzte Nacht kaum schlafen, weil mir immer wieder die Bilder des Unglücks unserer Eltern erschienen“, sprach Silvia in melancholischem Tonfall.

      „Fühlst du dich schlecht?“, sorgte sich Helmut.

      „Nein, ich habe die Ereignisse verarbeitet. Du brauchst dir wirklich keine Sorgen zu machen. Dennoch frage ich mich oft, wie der Unfall geschehen konnte.“

      „Die polizeilichen Ermittlungen haben kein Verschulden von Personen ergeben, es war ein trauriger Unfall. Aus unerklärlichen Gründen hat das Pferd fehl reagiert.“

      „Dennoch frage ich mich stets aufs Neue, wieso das Pferd so aggressiv reagierte“, ließ Silvia nicht locker.

      „Bitte iss jetzt deine Nudeln, über den Unfall können wir später sprechen“, sagte Helmut und hoffte aufs Innigste, seine Schwester würde das Thema vergessen. Auch Helmut hatte sich die vergangenen Jahre wiederholt gefragt, was der Anlass für die Aggressivität des Pferdes bei diesem Unfall war, aber er wollte heute nicht darüber sprechen.

      Beide ließen sich das von Helmut zubereitete Essen schmecken und schmiedeten Pläne, wie sie am Wochenende ihre Großeltern überreden konnten, ihre Mutti in der Klinik zu besuchen. Sie waren sicher, dass dieses Vorhaben nicht einfach werden würde, aber sie wollten dieses Mal darauf bestehen, mit ihnen in die Klinik zu fahren.

      „Ich muss dir etwas Wichtiges sagen“, gestand Silvia ihrem Bruder.

      „Leg los“, lächelte Helmut.

      „Bei dem heutigen Grillfest unseres Chefs war ich etwas irritiert.“

      „Weshalb?“

      „Es kann auch eine Täuschung sein“, zweifelte Silvia.

      „Das kann ich erst beurteilen, wenn du es mir erzählt hast.“

      „Bei der Feier waren vier Männer anwesend und ich musste sie mehrmals bedienen. Dabei kam mir die Stimme eines Mannes bekannt vor, aber leider kann ich sie nicht einordnen.“

      „Was willst du mir eigentlich sagen?“, fragte Helmut neugierig.

      „Du weißt doch, dass ich zur Zeit des Unfalls in den Pferdeboxen gewesen bin. Ich befand mich am anderen Ende des Stalles, als das schreckliche Unglück geschah, und ich hatte den Eindruck, dass sich eine Person schnell aus dem Boxengebäude entfernte. Leider konnte ich nichts Genaueres sehen, sondern habe nur einen Schatten gesehen, wobei ich mich auch getäuscht haben kann.“

      „Ich weiß, wir haben oft darüber gesprochen und du hast auch die zuständigen Ermittler darüber informiert, aber es gab keinen Hinweis auf fremde Personen zum Zeitpunkt des Unfalles im Gebäude.“

      „Ja, dennoch begleitet mich dieses Gefühl die ganzen Jahre.“

      „Ich dachte, du hättest das Geschehen verarbeitet.“

      „Das habe ich, aber beim heutigen Grillfest kam mir eine Stimme der Gäste bekannt vor, ohne dass ich diese einordnen kann, aber ich glaube, ich habe sie auf dem Gestüt gehört“, beharrte Silvia.

      „Bei den damaligen Untersuchungen der Kriminalpolizei konnten keine Zeugen zum Zeitpunkt des Unfalles ermittelt werden. Ich habe mich mehrmals mit den Ermittlern unterhalten und bin überzeugt, dass sie ihre Arbeit gründlich durchgeführt haben. Es konnten ebenfalls keine verwertbaren Spuren, die zu Fremdpersonen geführt hätten, festgestellt werden. Das tragische Geschehen muss ein unglücklicher Unfall gewesen sein“, sagte ihr Bruder mit leiser Stimme.

      „Ich kenne ebenso wie du die Ermittlungsergebnisse, trotzdem ist es mir stets ein Rätsel geblieben, warum Muttis Lieblingsstute plötzlich so aggressiv reagiert hat. Die Stute war immer ein ruhiges und leicht zu reitendes Pferd gewesen und hat Mutti als Reiterin immer akzeptiert und wir hatten alle den Eindruck, dass es sich freute, mit ihr auszureiten“, blieb Silvia bei ihren Vorbehalten.

      „Ja, in dieser Beziehung bin ich der gleichen Meinung, dennoch gingen die Ermittler von einem Fehlverhalten von Mutti aus, was die aggressive Tat der Stute veranlasst haben muss. Die Kriminalisten sagten, nachdem sie einige Gespräche mit Pferdefachleuten geführt hatten, zu mir, dass Mutti zu diesem Zeitpunkt erregt gewirkt haben muss und diese Erregung hat sich auf die Stute übertragen. Es wurde angenommen, dass ihr durch diese spürbare Erregung ein Fehlverhalten unterlaufen sein muss und dadurch das Pferd falsch reagierte. Möglicherweise war Mutti beim Vorbereiten des Pferdes zum Ausritt etwas abgelenkt oder unkonzentriert, was zu Fehlern führte.“

      „Das kann ich mir bei ihr nicht vorstellen, sie war stets beherrscht und auf ihre Tätigkeiten konzentriert, sie ließ sich kaum von ihren Vorhaben ablenken.“

      „Die Ermittler schilderten mir das Geschehen in der Pferdebox ziemlich genau und die beauftragten Gutachter stimmten den Ermittlern zu. Das Gutachten sagt aus, dass das Pferd zuerst Mutti an die Wand der Box drückte und anschließend unseren schnell hinzugeeilten Vati mit mehreren Huftritten tötete. Wie du weißt, war unser Vati zum gleichen Zeitpunkt in dem Stallgebäude und bereitete sein Pferd ebenfalls zum Ausritt vor, denn beide wollten gemeinsam einen Ausritt unternehmen. Vati hatte keine Überlebenschance, denn die Tritte des Pferdes waren so gewaltig, dass er nur wenige Sekunden nach den Tritten starb, wobei die zugefügte Kopfverletzung ausschlaggebend war. Mutti lag völlig apathisch an der Wand der Pferdebox, denn sie hatte die Tötung von Vati mit ansehen müssen. Nach Aussagen aller Ärzte, die Mutti mehrmals untersucht haben, ist dieses Schockerlebnis der Grund für ihren derzeitigen gesundheitlichen Zustand, wobei noch die Gehirnschädigung hinzukommt, die sie durch einen zeitweiligen Sauerstoffverlust erlitt.“

      „Du hast sicherlich recht und ich kenne die medizinischen Ergebnisse, aber ich


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