Mord auf der Messe. Uwe Schimunek
Und da waren auch noch Katzmann und die Sache mit der Blei-Bande … «Dienstagvormittag würde mir auch passen. Wo könnte ich die Aufnahme machen?»
«Am Dienstag könnten Sie zwischen elf und zwölf Uhr den Varietésaal nutzen.» Rinke trank einen Schluck Cognac. Er beugte dabei den Kopf nach hinten, seine Haarpracht erinnerte an die Borsten eines überdimensionalen Putzgerätes.
«Wo melde ich mich am Dienstag?»
«Sie kommen am besten hier ins Bureau, Herr Eggebrecht. Meine Sekretärin wird sich dann um alles kümmern.»
Sekretärinnen waren immer gut. Eggebrecht hatte in Berlin gelernt, dass Termine am zuverlässigsten eingehalten wurden, wenn eine Tippse sich darum kümmerte. Für Vereinbarungen, die er mit wuschelhaarigen künstlerischen Leitern traf, galt das erfahrungsgemäß in besonderem Maße.
«Kommen Sie, ich stelle Ihnen Fräulein Schneider vor.» Eggebrecht trank seinen Cognac aus und stellte den Schwenker auf den Tisch. Auf dem klobigen Möbel wirkte das Glas wie eine Daunenfeder auf einem Ziegelstein. Er stand auf und folgte Rinke zum Vorzimmer.
Fräulein Schneider und ihre Stupsnase waren ihm schon beim Hereinkommen aufgefallen. Die Tippse trug einen Bubikopf, wie ihn die Mode gerade vorschrieb. Unter dem braunen Pony sausten zwei grasgrüne Augen zwischen den Wimpern hin und her.
«Fräulein Schneider, Herr Eggebrecht wird am Dienstagvormittag kommen, um Madame La Belle abzulichten. Sie werden ihn in den Varietésaal begleiten.»
Fräulein Schneider nickte und zwinkerte Eggebrecht zu, als wolle sie sich mit ihm zur Begehung von kleineren Straftaten verabreden. Oder bildete er sich das nur ein? Eine Welle von Wärme wanderte seinen Hals hinauf.
Rinke verabschiedete sich, verschwand in seinem Bureau und ließ Eggebrecht mit Fräulein Schneider allein.
«Wann darf ich Sie am Dienstag erwarten?»
Am liebsten hätte Eggebrecht gesagt: Wann immer Sie zwinkern, werde ich da sein! Aber erstens traute er sich das nicht, und zweitens wäre es natürlich ein völlig unangemessenes Verhalten. Eggebrecht überlegte kurz, wie viele Liebesbeziehungen entstehen könnten, würden sich die Menschen öfters unangemessen verhalten … Er sagte: «Ich würde kurz vor elf zu Ihnen kommen. Dann könnten Sie mir den Saal und vor allem die Lichtschalter zeigen, bevor Madame La Belle Zeit hat.»
«Ganz ausgezeichnet.» Fräulein Schneider lächelte bei den Worten, als könne sie den Termin kaum erwarten.
Eggebrecht hatte das Gefühl, in seinem Kopf würde etwas schmelzen.
«Sagen Sie, Herr Eggebrecht, Sie waren doch gestern Abend im Konzert von Frau La Belle.»
Das klang nicht wie eine Frage, aber Eggebrechts weiche Birne nickte.
«Und Sie waren mit Herrn Katzmann da.»
Schon wieder keine Frage. Der Kopf nickte weiter, allerdings wurde der Brei im Innern etwas härter.
«Sehen Sie Herrn Katzmann öfters?»
«Hm.» Dieses Gespräch nahm keinen guten Weg, dachte Eggebrecht und fragte: «Kennen Sie ihn gut?»
«Nun ja …» Fräulein Schneider guckte zur Decke. Offenbar dachte sie nach, jedenfalls sah sie hinreißend aus. Sie sagte: «Ich habe viel von ihm gehört. Meine beste Freundin … stand ihm einmal … sehr nahe.»
Stötzenau saß schon in den Bacchusstuben, als Katzmann im Krystall-Palast ankam. Der Reporter zog seine Uhr aus der Tasche – nein, es war kurz vor zehn und er pünktlich. Stötzenau hatte in der Redaktion angerufen und den Termin zu nachtschlafender Zeit vorgeschlagen. Er könne ihm eine interessante Person vorstellen, einen Mann, der eventuell etwas über die Blei-Bande wüsste.
«Guten Abend, Herr Katzmann. Nehmen Sie einen Wein, der Meißner hier ist vorzüglich.»
«Gern», sagte Katzmann, obwohl ihm die bürgerlichen Rituale mit zunehmendem Alter immer mehr auf die Nerven gingen, besonders am späten Abend. Er könnte jetzt gut im Bett liegen, anstatt mit einem Mann, der ihm nicht besonders sympathisch war, Belanglosigkeiten über regionale Weine auszutauschen.
Stötzenau schenkte Katzmann ein, dabei sagte er: «Ein ausgezeichneter Jahrgang. Besonders die Fruchtnote im Abgang … So einen Tropfen muss man getrunken haben.»
Die Fruchtnote im Abgang, solche Sachen hatte sein Vater auch immer palavert. Katzmann erinnerte sich an Gespräche, bei denen er zum Schein darauf eingegangen war und von erdhafter Note und schattigem Nachtrag redete, bis sein Vater merkte, dass er veralbert wurde. Den Vater machte das stets wütend. Humor war nicht die Stärke des Großbürgertums.
Jetzt wollte Katzmann keinen Ärger, sondern Informationen, also trank er und nickte. Der Wein schmeckte ihm, wenigstens das. Er versuchte, die Vorrede zu beenden, und fragte: «Vielleicht können Sie mich etwas vorbereiten. Wen erwarten wir denn?»
«Oh, das hatte ich am Telephon gar nicht erwähnt?» Stötzenau trank einen Augenblick, wohl um die Spannung zu steigern.
«Siegbert Wulpius wird uns gleich die Ehre erweisen.»
Wulpius, den Namen hatte Katzmann schon einmal gehört – aber wo? Sicher in der Redaktion, das Ressort fiel ihm nicht ein …
«Siggi, so nennen ihn seine Freunde, weiß alles über Leipzigs …», Stötzenau suchte nach einem Wort, schien keines zu finden, «… Leben. Wenn Sie wissen, was ich meine …»
Nein, Katzmann wusste nicht, was Stötzenau ihm sagen wollte. Die Unterwelt? Die Kriminellen? Nun, das musste er selbst herausfinden. Also nickte er und fragte: «Wie kommt Herr Wulpius zu seinen Kenntnissen?»
«Siggi ist sehr umtriebig. Er macht vielfältige … Geschäfte.» Stötzenau schien nachzudenken, wie er das konkretisieren konnte. Er wurde erlöst. «Ah, da kommt er.»
Vom Eingang der Bacchusstuben schleppte sich ein Mann heran. Katzmann schätzte ihn auf 160 Zentimeter hoch und 160 Kilogramm schwer. Von weitem sah es aus, als würde ein Mühlstein im Anzug durch die Gaststube walzen. Offenbar nahm der Mann schneller zu, als sein Schneider Anzüge fertigen konnte. Der Zweireiher kam nicht von der Stange, glänzte wie frisch aus der Werkstatt, warf aber in der Bauchgegend horizontale Falten.
«Siggi, schön, dass du kommen konntest!» Stötzenau wies mit der Hand zu Katzmann. «Das ist der Reporter, den ich am Fernsprecher erwähnt habe. Katzmann, Konrad Katzmann. Von der Leipziger Volkszeitung.»
Wulpius wuchtete sich auf den Stuhl, wobei er kaum an Höhe abnahm. Er bekam Wein und sagte: «Ah, der Meißner. Sehr gut, Theo.» Dann drehte er sich zu Katzmann und erklärte: «Mir gehören ein paar Weinberge in der Gegend. Ich komme leider nur noch selten hin, aber meine Winzer leisten ganze Arbeit. Finden Sie nicht?»
Schon wieder Weingespräche! «In der Tat ein guter Wein», sagte Katzmann.
«Ah, der Dialekt. Sie kommen aus der Dresdner Ecke. Da ist das bei Ihnen sicher ein Hauswein. Oder trinkt man in Ihren Kreisen andere Getränke?»
Der Bürgerdünkel. Katzmann erlebte das als LVZ Redakteur so oft, dass er sich nicht mal mehr darüber ärgerte. «Nein, nein, ich trinke gerne Wein. Und ja, in meinem Elternhaus stehen Weine vom Elbufer hoch im Kurs.»
Wulpuis nickte und trank noch einen Schluck.
«Siggi, Herr Katzmann hat mich heute Morgen nach der Blei-Bande gefragt …»
«Ja, ja, während der Messe passieren die verrücktesten Sachen in der Stadt. Meine Oma sagte immer: Messezeit ist Kanaillenzeit. Alle werden plötzlich aktiv …»
Katzmann lag die Frage auf der Zunge, welche Aktivitäten Wulpius umtreiben. Aber der schien in Plauderlaune, da wollte er nicht unterbrechen.
«Der gute Theo macht seine Mark mit der Messe, ich habe ein wenig Geld in die Konzertreihe der guten Bernadette La Belle gesteckt … Haben Sie sie schon gesehen?»
«Ja, gerade gestern. Unsere Kulturredaktion wird auch einen Artikel schreiben.»
«Vortrefflich.»