Denke, was dein Herz fühlt. Wolf-Dieter Nagl
Aktivität der Immunzellen. Sie schütten Botenstoffe aus, sogenannte Entzündungsmediatoren, die dabei helfen, die betreffenden Keime zu beseitigen. Sozusagen als unerwünschte Nebenwirkung lösen die Entzündungsmediatoren jedoch Krankheitssymptome aus wie die klassischen Entzündungsreaktionen Rötung, Schwellung, Überwärmung und Schmerzen. Diese Symptome sind nicht nutzlos, denn sie zwingen uns vernünftigerweise zur Ruhe, um dem Immunsystem genug Energie für die Heilung zur Verfügung zu stellen.
Ist das angeborene Immunsystem stressbedingt jedoch unterdrückt, dann treten auch weniger Entzündungsreaktionen auf. So kann es in Zeiten hoher Stressbelastung einerseits leichter zu einer Virusinfektion kommen, da die Abwehrfront weniger aktiv ist, andererseits kann dieser Infekt oft weniger symptomatisch verlaufen. Erst wenn die Anspannung nachlässt, die Stresshormone wieder sinken und Ruhe und Entspannung in unser Leben einkehren, kommt es dann zum Ausbruch der Symptome. Jetzt werden die Frontkämpfer wieder lebendig und das Immunsystem hat Zeit und Kraft, den Infekt zu bekämpfen. Deshalb treten sehr häufig zu Beginn eines Urlaubes entsprechende Krankheitssymptome auf. Der Körper nutzt die Pause, um zu reparieren, was lange aufgeschoben wurde.
Ein mittelfristig hoher Stresspegel vermag also die Frontkämpfer des angeborenen Immunsystems in ihrer Aktivität herunterzuregulieren. Die Bogenschützen allerdings blasen zum Kampf.3 Sie gehören zum sogenannten „erworbenen Immunsystem“, weil sie sich erst nach der Geburt entwickeln und bis ins hohe Alter immer neue Verteidigungsstrategien erwerben. Ihre Pfeile werden in der Medizin Antikörper genannt. Sie schwächen beziehungsweise markieren die feindlichen Erreger, damit die Frontkämpfer sie leichter besiegen können. Dieser antikörperproduzierende Teil des Immunsystems wird unter dem Einfluss der Stresshormone überaktiv und die Bogenschützen beginnen, wild um sich zu schießen. Dabei werden auch Zellen des eigenen Körpers in Mitleidenschaft gezogen. Dies geschieht immer dann, wenn Teile des Immunsystems überreagieren, wie das bei Erkrankungen mit allergischer Komponente der Fall ist.4 Dies ist der Grund, warum starker emotionaler Stress zur Entstehung allergischen Asthmas,5 aber auch zu vermehrten Neurodermitis-Schüben führen kann.6, 7
Chronischer Stress und Burn-out – das Immunsystem kippt zur Gegenseite
Wenn der Stress nicht endet und wir über viele Monate oder gar Jahre einem hohen Stresspegel ausgesetzt sind, dann drohen wir nicht nur psychisch, sondern auch körperlich auszubrennen. Die Nebenniere geht sozusagen ebenfalls in den Burn-out und kann die Kortisolproduktion nicht mehr aufrechterhalten. Zusätzlich beginnen sich die Körperzellen bei einem über lange Zeit erhöhten Kortisolspiegel abzuschotten und entwickeln in der Folge eine gewisse Resistenz, wodurch die Wirkung des Kortisols weiter abnimmt. Nun kommt es zu einer Dysbalance des Immunsystems in die Gegenrichtung. Die Bogenschützen ziehen sich zurück und die Nahkampfeinheit wird jetzt überaktiv. Die Frontkämpfer des angeborenen Immunsystems beginnen, im Körper um sich zu schlagen, und erzeugen dadurch eine sogenannte „Silent Inflammation“, also eine stille Entzündung, die chronisch verläuft. Chronischer Stress und damit einhergehende chronische Entzündungsprozesse spielen eine wesentliche Rolle bei der Entstehung, aber auch der Aufrechterhaltung vieler chronischer Erkrankungen. Dazu zählen die Gefäßverkalkung, die Arteriosklerose mit ihren Folgekrankheiten Bluthochdruck, Herzinfarkt und Schlaganfall, aber auch die Rheumatoide Arthritis.8 Schließlich wird auch die Zellalterung durch Langzeitstress deutlich beschleunigt.9 Dies hat mit den Telomeren, den Endstücken unserer DNA, zu tun. Sie verkürzen sich unter Stress bei jeder Zellteilung deutlich schneller, wodurch die Körperzellen früher in den Ruhestand gehen.
Emotionen und Immunsystem – die immunologische Macht der Gefühle
Das Zusammenspiel von Stresshormonen und den unzähligen Zellen des Immunsystems ist hochkomplex. Viele Effekte sind noch nicht vollständig verstanden und scheinen sogar widersprüchlich zu sein. Zusammenfassend lässt sich heute sagen, dass akuter Stress und chronischer Stress jeweils unterschiedliche Auswirkungen auf unseren Körper haben. Wenn der Stresspegel entweder zu hoch ist oder zu lange andauert, vermag er das Körpersystem aus der Balance zu bringen. Destruktive Gedanken und negative Emotionen spielen hier eine entscheidende Rolle, da sie die Ursache für inneren Stress sind und den Stresshormonpegel erhöhen.
Eine Londoner Studie, in der 216 britische Beamtinnen und Beamte auf ihren Grad an positiver und negativer Lebenseinstellung untersucht wurden, konnte diesen Zusammenhang eindeutig belegen.10 Das emotionale Befinden der Studienteilnehmer wurde zu mehreren Zeitpunkten sowohl an Werktagen wie auch an Wochenenden erhoben. Zusätzlich dokumentierten die Forscher das subjektive Stresserleben, aber auch den Kortisolspiegel im Speichel, denn sie wollten herausfinden, inwiefern die Qualität der Emotionen mit der Höhe des Stresshormonpegels im Körper zusammenhängt. Dabei zeigte sich, dass die Kortisollevel der unglücklichsten Probanden um ein Drittel höher lagen als jene der zufriedensten Kollegen. Auch das subjektive Stresserleben war unter den unglücklichen Individuen deutlich höher als jenes der Glücklichen.
Nun stellt sich die Frage, ob etwa positive Emotionen auf der anderen Seite auch eine positive Auswirkung auf unsere Gesundheit haben können. Eine faszinierende Untersuchung bestätigte diesen Verdacht.11 Hierbei wurden 334 gesunde Probanden mehrmals wöchentlich über zwei Wochen lang zu ihrem emotionalen Befinden befragt. Zusätzlich mussten sie ihre positiven und negativen Emotionen des jeweiligen Tages aufzeichnen. Darüber hinaus mussten sie angeben, wie häufig sie generell in ihrem Leben positive beziehungsweise negative Emotionen erlebten. Anhand dieser Befragungen und einer anschließenden Analyse durch ein ausgeklügeltes Verfahren wurden sie entweder der Gruppe des positiven emotionalen Stils oder des negativen emotionalen Stils zugeordnet. Mit diesem Verfahren konnten die Forscher sicherstellen, dass es sich bei den Emotionen der Betroffenen um langfristige emotionale Persönlichkeitsmerkmale handelte und nicht etwa um tagesabhängige Stimmungsschwankungen. Weitere Einflussgrößen auf die Gesundheit wie körperliche Bewegung, Rauchverhalten, Alkoholkonsum und mögliche Begleiterkrankungen wurden ebenfalls berücksichtigt. Nach der über Wochen andauernden Erhebung ihres emotionalen Empfindens wurden den Teilnehmern schließlich zwei Arten von Rhinoviren, also klassische Schnupfenerreger, in die Nase geträufelt. Anschließend mussten die Probanden fünf Tage lang in Quarantäne verbleiben. Täglich wurde nun jegliche Entwicklung von Infektionszeichen penibel dokumentiert, um herauszufinden, wie sehr sich der emotionale Stil auf die Abwehrleistung des Körpers gegenüber den Viren auswirkte. Die Menge an produziertem Nasensekret maßen die Forscher, indem sie gebrauchte Taschentücher wogen; sie erfassten Husten- und Schnupfensymptome und überwachten die Entwicklung von Antikörpern als Reaktion auf die Virusinfektion. Die Ergebnisse zeigten, dass die Teilnehmer mit den ausgeprägtesten positiven Emotionen eine dreimal geringere Erkältungsneigung hatten als die Probanden mit den negativsten Emotionen. Angesichts der Tatsache, dass bei Menschen mit ausgeprägt negativer emotionaler Stimmungslage erhöhte Kortisolwerte gemessen werden können, wodurch wiederum die virale Abwehrkette unterdrückt wird, bestätigten diese Untersuchungsergebnisse, dass Emotionen unsere Gesundheit wesentlich beeinflussen.
Die hier erwähnten Untersuchungen sind lediglich ein kleiner exemplarischer Auszug aus einer kontinuierlich steigenden Anzahl psychoneuroimmunologischer Studien, die das Zusammenspiel von Emotionen und körperlicher Gesundheit zunehmend offenbaren. Vereinfacht lässt sich zusammenfassen: Negative Gedanken und Emotionen erhöhen durch eine Aktivierung des sympathischen Nervensystems die Menge der Stresshormone im Körper, bringen das Immunsystem aus der Balance und belasten das Herz-Kreislauf-System. Ein positives inneres Erleben kann dem wesentlich gegensteuern und das Körpersystem harmonisieren.
Häufig können wir äußere Stressquellen nicht oder nur wenig beeinflussen. Die Art und Weise, wie wir darüber denken und sie bewerten, liegt aber sehr wohl in unserem Einflussbereich. Durch eine Schulung des Geistes können wir das Zepter selbst in die Hand nehmen und Stress reduzieren. Meist führt eine Veränderung im Denken und Fühlen letztlich auch zu einer Veränderung unserer Lebensumstände und somit der äußeren Stressfaktoren. Verändern wir den Geist, verändert sich auch unsere individuelle Realität.
Tauchen wir nun ein in die Sphären unseres Geistes und sehen uns an, was denn der Geist überhaupt