Anekdoten frommer Chaoten. Adrian Plass

Anekdoten frommer Chaoten - Adrian Plass


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der Affäre mit einem nachdrücklichen Nicken und einem Schlag beider Handflächen auf den Tresen besiegelt hatte, zu seinen Pflichten in der Public Bar zurück. Ich blieb in trostloser Einsamkeit zurück. Mein Band mit Kurzgeschichten lag ungelesen da. Von meinem großen Glas Harvey’s hatte ich noch nicht einmal genippt.

      Ich war also ein frommer Herr, der in der Ecke saß. Dass Leute aus der Kneipe geworfen wurden, weil sie fluchten, lag teilweise an mir. Zweifellos hätte Tom genau das Gleiche getan, wenn ich gar nicht da gewesen wäre, aber ich spürte, wie mir die Wangen rot anliefen bei dem bloßen Gedanken, meine »Frömmigkeit« tauge lediglich als negative Motivation für Heiden, ihre Zunge im Zaum zu halten. So viel zum Thema herausforderndes Christsein, was? Die beiden alten Kerle, die mehr getrunken hatten, als gut für sie war, waren in die Finsternis hinausgeworfen worden, während ich mit meinem Bier und meinem Buch im warmen Snug bleiben durfte. Ich weiß noch, wie ich einmal einen Witz über einen irischen Christen gemacht hatte, der Bibeln aus China heraus schmuggelte und darüber staunte, dass die Grenzwachen sie wie durch ein Wunder nie zu bemerken schienen, aber im »Bandolier« war mir sozusagen dasselbe passiert. Das Leben des Evangeliums wurde auf den Kopf gestellt. Jesus geht in die Kneipe, und die Stammgäste fliegen im hohen Bogen hinaus. Ach je …

      Die Sache ist die, Jeff. Mag sein, dass ich da auf ein bestimmtes Ereignis überreagiert habe, aber an diesem Tag wurde so eine Art Keim in meinen Verstand oder meinen Geist gesetzt. Es war der Keim der Entscheidung, dass ich weder in einem metaphorischen noch in sonst irgendeinem wesentlichen Sinn als frommer Herr in der Ecke enden würde. In der Kirche gibt es reichlich genug davon, ohne dass ich das Problem auch noch größer mache. Ich hoffe, wir werden noch in so mancher Kneipe zusammensitzen, Du und ich. Aber lass uns dann nicht fromm sein. Lass uns lediglich genauso gentlemanlike sein wie Jesus, und lass uns so viele Leute wie möglich zu uns in die Ecke einladen. Was meinst Du?

      Und nun die zweite Geschichte, die noch nicht so lange zurückliegt.

      Eines Tages rief mich ein Mann an. Ich war ihm noch nie begegnet und konnte mit seinem Namen nichts anfangen, aber er erzählte mir, er sei einige Jahre lang als christlicher Vortragsredner und Evangelist unterwegs gewesen, nachdem er sich vom Islam zum christlichen Glauben bekehrt hatte.

      »Die Sache ist die«, sagte er. »Ich habe meinen Glauben verloren. Ich glaube das ganze Zeug einfach nicht mehr. Gott ist nicht gleich hinter der nächsten Ecke. Er greift nicht in unser Leben ein, und alles, was ich den Leuten jahrelang erzählt habe, war nur ein Haufen Unsinn. Ich dachte mir, dass wir beide uns vielleicht mal treffen und darüber reden könnten, was mit mir passiert ist.«

      Ich stimmte ein wenig nervös zu, und so trafen wir uns in einem kleinen Café in der Nähe der Brighton Lanes, wo man hervorragend essen und Kaffee trinken kann. Mein neuer Freund (ich werde ihn Ted nennen) erzählte mir alles noch einmal, was er mir schon am Telefon erzählt hatte, und dann noch eine Menge mehr. Es hörte sich ziemlich nachdrücklich und endgültig an, wie er davon sprach, er habe sogar den Glauben an die Existenz Gottes völlig verloren. Die ganze Zeit über schrie ich, wie es in solchen Situationen meine Art ist, innerlich zu Gott und bat ihn, mir irgendetwas Dynamisches und Nützliches zu geben, was ich dem Mann sagen konnte.

      Keine Antwort! Wo ist Gott, wenn man ihn braucht? Also beschränkte ich mich darauf, zu nicken und mitfühlend vor mich hin zu murmeln und mit der Zunge zu schnalzen und all das zu tun, was man in solchen Situationen eben tut, anstatt sich vernünftig zu benehmen. Nachdem mit Teds Erklärungen und meinen schwachsinnigen Soundeffekten etwa eine Stunde vergangen war, ging mein Gegenüber nahtlos zu den Gelegenheiten über, bei denen er sich Gott wirklich nahe gefühlt hatte, und erzählte mir, wie viel ihm diese Momente bedeutet hatten. Leicht verwirrt über seinen abrupten Richtungswechsel konnte ich auch jetzt außer dem erwähnten Gemurmel und Geschnalze wenig zum Gespräch beitragen, obwohl ich hinzufügen muss, dass ich hier und da ein recht ausdrucksstarkes Nicken einbaute.

      Als wir uns ein wenig später trennten, sagte Ted: »Ich möchte dir danken für das, was du mir heute Morgen gesagt hast. Es war mir wirklich eine große Hilfe.«

      Einen Moment lang starrte ich ihn an und versuchte, wie jemand auszusehen, der gerade etwas Profundes gesagt hat. Ich bezweifle, dass es mir gelungen ist.

      »Ah«, erwiderte ich, »das ist gut. Gut! Das ist – das ist wirklich gut.«

      Später dann, im Zug nach Polegate, fragte ich mich, was mit Ted eigentlich los gewesen war.Wäre ich eine bestimmte Sorte Christ, so würde ich Dir jetzt sagen, Gott habe mir diese Frage beantwortet.Vielleicht hat er es getan. Ich weiß es nicht. Doch woher sie auch gekommen sein mag, Jeff, die Antwort auf meine Frage war, dass Ted seinen Glauben überhaupt nicht verloren hatte. Er hatte alles andere verloren, nur nicht seinen Glauben.

      Damit meine ich, dass er seinen Glauben an den Gott verloren hatte, der hinter unserer Schulter steht wie eine Art göttlicher Butler, der nur darauf wartet, sich um jede Kleinigkeit zu kümmern, an der es uns mangeln oder gebrechen mag, und häufig entlassen wird, wenn etwas wirklich drastisch schiefgeht oder er nicht servieren kann, was wir uns wünschen. An jenen Gott, der sich um alle feinen Details unserer Hypotheken kümmert, aber aus irgendeinem unerklärlichen Grund nie etwas gegen unsere unablässige, scheuklappenbewehrte Habgier einwendet. An den müden, langweiligen, verwässerten, westlichen Gott, der beim Supermarkt einen Parkplatz für Mrs. Blenkinsop von der Überfließend Lebendigen Glaubensgemeinde der Letzten Offenbarung frei hält, aber ein verhungerndes Kind auf den Straßen der Slums von Bangladesh nicht vor dem Tod bewahren kann. Und warum nicht? Weil es nicht genug Christen gibt, die bereit sind, sich selbst oder ihr Geld oder ihre Zeit da einzusetzen, wo er sehnlichst denen, die ihn am meisten brauchen, mit seiner Liebe begegnen möchte.

      Aslan ist auf dem Weg, sagt man. Ist er das? Ist er wirklich auf dem Weg? Verbringt er etwa seine meiste Zeit damit, auf Supermarktparkplätzen herumzustehen und bei jedem Auto, das keinen Fischaufkleber auf der Heckklappe hat, »Grrrrh!« zu machen? Du weißt, was das ist, stimmt’s, Jeff? Das ist der Deal-or-No-Deal-Gott. Der Gott, der ein bisschen so aussieht wie ein älter gewordener Guido Cantz und über einer Welt präsidiert, in der Zufälle, wenn sie geschehen, als erstaunlich und bedeutsam betrachtet, und wenn sie nicht geschehen, geflissentlich ignoriert werden.

      Ted war mit der eigentlichen Substanz seines Glaubens konfrontiert worden. Ich glaube, er muss sich, wie wir alle hin und wieder, der Tatsache stellen, dass echter Glaube nicht nur wegen, sondern auch trotz allem überlebt. Mag sein, dass wir heulen und toben, aber dem müssen wir ins Gesicht sehen. Petrus musste sich bei Jesus auch dieser Tatsache stellen. Es zerriss ihn fast in Stücke. Wie schwer ist es doch, unsere kindischen und falschen Vorstellungen von Gott hinter uns zu lassen und dahin zu kommen, wo wir ein kindliches Bewusstsein genießen oder fürchten oder damit ringen, das Bewusstsein, dass es unsere Aufgabe ist, an ihn zu glauben und ihn zu lieben und ihn – wage ich es auszusprechen? – zu preisen, egal, was passiert oder nicht passiert. Das ist schwer, nicht wahr? Unglaublich schwer. Vielleicht bist Du ja schon so weit. Ich noch nicht.

      So, das waren meine beiden Geschichten, Jeff. Und jetzt habe ich eine Frage an Dich. Wenn wir beiden Herren in eine Ecke gedrängt und gezwungen würden, absolut ehrlich zu sein, was unsere Frömmigkeit anbelangt, was für eine Wahrheit würde dabei zum Vorschein kommen? Und würde sie uns wohl frei machen? Vielleicht schon, glaube ich. Ich hoffe es.Wir könnten es zumindest einmal versuchen, oder? Du bist dran.

      Liebe Grüße, Adrian

      Lieber Adrian,

       wie schön, von Dir zu hören. Auch ich bin ein Fan (vielleicht sogar ein Verehrer) des herrlichen Biers, das Du erwähnt hast.Vielleicht sollte das alte hebräische Wort Manna mit »Harvey’s Sussex Bitter« ins Englische übersetzt werden. Doch das wäre wahrscheinlich eine unsinnige Irrlehre, da den Israeliten ja das Manna irgendwann langweilig wurde. Dagegen würde eher der Kosmos implodieren, als dass ein Mensch dieses epischen Gebräus aus Sussex überdrüssig werden könnte.

      Ich fand es faszinierend, von den beiden alten Haudegen zu hören, denen im »Bandolier« die Tür gewiesen wurde, weil ein »frommer Herr in der Ecke« anwesend war, nämlich Du. Ich frage mich, ob sie mit ihren biervernebelten Hirnen überhaupt in


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