Babylon. Dave Nocturn

Babylon - Dave Nocturn


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      »Das brauchte ich gar nicht, das haben die Militärs ganz alleine hinbekommen.«

      »Ich habe den Menschen einen Weg gezeigt, wie man aus einem tödlichen Erreger einen Heilsbringer machen kann. Mehr war mir nicht erlaubt zu tun.«

      »Du hast die Grenzen sehr weit ausgedehnt, Luzifer.«

      »Aber du nicht? Du hast doch diesem General den Floh ins Ohr gesetzt, dass mein Virus nur noch ein wenig ›Tuning‹ braucht, um den Supersoldaten endlich Wirklichkeit werden zu lassen.«

      Gabriel zog eine Augenbraue hoch. »Dein Virus?«

      Luzifer räusperte sich. »Jedenfalls war es an Heimtücke nicht zu überbieten. Du weißt doch genau, dass die Modifikationen, die ich am Aids-Virus bewirkt hatte, durch deine Einflüsterungen total pervertiert wurden!«

      »Jetzt schrei nicht so, sonst hört man dich noch dort unten. Noch einmal, dass haben die Militärs ganz alleine gemacht.«

      »Nachdem du ihnen den Weg gezeigt hast.«

      »Es war an der Zeit. Sieh dir doch an, was die sogenannte Krone der Schöpfung angerichtet hat. Millionen Tote durch Krieg, Folter und fehlgeleiteten Glauben. Es sind so viele Milliarden von ihnen, dass nicht einmal alle satt werden. So hatte er ›seid fruchtbar und mehret euch‹ bestimmt nicht gemeint.«

      Luzifer sah Gabriel schweigend an.

      »Du siehst das natürlich anders. Du siehst die Humanität, mit der den Ärmsten geholfen wird, die Lebensmittelspenden, die medizinische Versorgung, die verzweifelten Versuche der Geburtenkontrolle.«

      »Die Liebe und Güte, die sich in jedem Elternteil zeigt, die Hingabe in jeder Hand, die einem pflegebedürftigen Menschen gereicht wird, hattest du vergessen zu erwähnen.«

      »Das sind doch nur Zeichen schlechten Gewissens. Erst wurde fröhlich missioniert und/oder versklavt, dabei tödliche Krankheiten eingeschleppt, und jetzt versucht man, den Schaden wieder gutzumachen.«

      »Und Hitler? Und Mao? Und Stalin?«

      »Das sind weitere Belege dafür, dass das Experiment ›Mensch‹ gescheitert ist.«

      »Oder ist es nicht vielmehr so, dass das Überwinden dieser Gräuel zeigt, wozu die menschliche Seele fähig ist?«

      »Die menschliche Seele ist deshalb über diese Monster hinweggekommen, weil sie verstümmelt ist, korrumpiert durch den Zorn und die Gewalt, die dem Menschen innewohnt. Die Seuche zeigt nur zu deutlich, wozu die Bestie Mensch in der Lage ist.«

      »Bestie Mensch? Er hat dem Menschen eine Seele gegeben. Wie kann dann der Mensch eine Bestie sein?«

      »Indem er das Geschenk missbraucht hat. Statt eine Welt voller Kunst und Hoffnung und Liebe zu errichten, hat die Menschheit einen Pfuhl von Hass und Neid geschaffen. Es wird mir eine Freude sein, wenn der letzte Zombie auf Erden wandelt, diesen auszulöschen. Und dann wird wirklich Frieden herrschen. Was siehst du mich so an?«

      »Du bist wahnsinnig.«

      »Du bist wahnsinnig, wenn du glaubst, aus diesen Bazillen könnte noch etwas werden.«

      »Wir haben schon mehr eingegriffen, als eigentlich erlaubt ist. Und nun willst du tatsächlich selbst soweit Hand anlegen, dass du den letzten töten willst? Glaubst du wirklich, dass Er das akzeptieren wird?«

      »Ich erfülle nur seinen Willen.«

      »Du bist wahnsinnig!«

      Ansatzlos warf sich Gabriel auf Luzifer und rang die schlanke Frauenfigur zu Boden. Er kniete sich auf ihre Arme und hielt sie auf diese Weise am Boden fest, dann legte er seine Hände um ihre Kehle.

      »Wage es nicht, Gabriel«, keuchte sie.

      Gabriel drückte zu. Und röchelte sofort. Je stärker er drückte, umso mehr nahm der Druck auf seinen Kopf zu. Seine Augen quollen hervor, ebenso wie die Luzifers.

      Mit einem verzweifelten Aufstöhnen ließ Gabriel ab und sank zur Seite. Nach Luft ringend lagen die beiden nebeneinander.

      »Ich … dachte … du … hättest … dich … erinnert …«

      Gabriel knurrte - ein Laut zwischen Ablehnung und Unwillen.

      »Wir können uns gegenseitig nicht töten. Leider.«

      »›Leider‹ stimmt, sonst hätte ich eine ganze Menge Probleme weniger«, erwiderte Gabriel.

      »Gewalt ist nicht immer eine Lösung.«

      »Wir werden sehen. Bald gibt es nur noch die seelenlosen Monster. Sie werden beginnen, sich gegenseitig aufzufressen. Und dann wird es enden.«

      »So oder so.«

      Kapitel IV

      Mondscheinserenade

      Gabi stand auf einer Wiese und sah den Schmetterlingen zu, die von Blume zu Blume tanzten. Ein besonders buntes Exemplar hatte sich auf ihrem Knie niedergelassen. Seine dünnen Beinchen kitzelten, und Gabi jauchzte vergnügt.

      Die Sonne malte Muster aus Licht und Blumenschatten auf das saftige kurze Gras, das den Boden zwischen den leuchtenden Blüten bedeckte. Gabi war glücklich. Der Duft, den sie einatmete, schmeckte nach Sommer und Frieden.

      In der Ferne erschien ein dunkler Fleck am Horizont, in der flimmernden Luft nur schwach auszumachen. Gabi konnte nicht erkennen, was es war, doch es schien Teil der Natur zu sein. Es bewegte sich sacht, gleichmäßig und kam näher.

      Gabi sah wieder den Schmetterlingen zu, die auf den Blumen saßen und mit ihren langen Rüsseln Nektar einsaugten, um sich für die kommenden Wochen der Paarung zu nähren. Sie hatte einmal einen Film über das Liebeswerben der Schmetterlinge gesehen. Ihr hatten besonders die Nahaufnahmen dieser Geschöpfe gefallen, ihre putzigen Gesichter mit den feinen Härchen.

      Sie sah wieder zum Horizont. Die dunkle Gestalt war ein ganzes Stück nähergerückt, und ein leichter Wind bauschte sie jetzt auf. Etwas flatterte an ihr herum, und Gabi konnte nun sehen, dass es ein Mensch war, der da auf sie zukam. Neugierde machte sich in ihr breit. Ein anderer Mensch hier auf ihrer Wiese? Das konnte nur ein freundliches Wesen sein. Diese Wiese war kein Bild von Frieden, sie war der Frieden selbst. Was also sollte ihr hier geschehen?

      Gabi setzte sich inmitten der Blumen nieder und streckte ihre dicklichen Arme aus. Sofort setzen sich einige der bunten Luftakrobaten auf sie. Sie genoss das Gefühl der kleinen trippelnden Beinchen, die über ihre nackte Haut huschten, gluckste fröhlich und zufrieden.

      Wieder sah sie zu der Gestalt, die erneut ein gutes Stück nähergekommen war. Gabi konnte nun viele Details ausmachen: Den weißen Anzug mit den bunten Bildern, den Umhang, der wie eine Fahne in der leichten Brise schwang. Doch das Gesicht des Mannes – es musste ein Mann sein, denn eine Frau wäre ja viel zierlicher – konnte sie immer noch nicht erkennen. Als sei es verschwommen, entzogen sich seine Konturen ihrem Blick.

      Gabi schaute wieder zu den Schmetterlingen, die sich plötzlich von der Wiese und ihren Armen als bunte Wolke erhoben und in den Himmel stiegen, der sich mit einem Mal schwarz verfärbt hatte.

      Ein diffuser Schatten fiel auf Gabi, und eine leichte Gänsehaut machte sich auf ihren nackten Armen breit. Das Sonnenlicht war zu einem leichenblassen Schimmern verkommen. Sie sah auf.

      »Was tust du hier, Kind?«

      Die Stimme klang tief, rau und seltsam. Gabi sah in das Gesicht des Mannes und schreckte zurück. Sie sah nun, warum sie keine Konturen hatte bemerken können – es gab keine. Das Gesicht war eine Masse aus Narben und nässendem Fleisch, in dem fünf Löcher gähnten. In den Löchern, dort wo einmal die Augen gesessen haben mussten, glommen zwei kleine Funken. Die geschrumpften Lippen umgaben das Mundloch, in dem sich schartig und schwarz aussehende Zähne zeigten.

      Gabi wollte wegrennen. Ihre Beine blieben jedoch unbeweglich unter ihren Körper geschlagen. Nichts schien sie dazu bewegen zu können, diesen in die Höhe zu heben und von dem unheimlichen


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