Der Tanz des Mörders. Miriam Rademacher

Der Tanz des Mörders - Miriam Rademacher


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      © 2015 Carpathia Verlag GmbH, Berlin

      Umschlagillustration: Christoph N. Fuhrer, www.fuhrer.me

      ISBN 978-3-943709-05-6 (Print)

      ISBN 978-3-943709-06-3 (EPUB)

      ISBN 978-3-943709-07-0 (MOBI)

      ISBN 978-3-943709-08-7 (PDF)

       www.carpathia-verlag.de

      Kaum fünf Minuten waren vergangen, seit sie auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte, und schon bog der Wagen von der Hauptstraße ab. Er rumpelte mit viel zu hoher Geschwindigkeit über einen ausgefahrenen Waldweg. Wild wuchernde Äste junger Laubbäume schabten über Lack und Chrom. Der Wagen verlangsamte seine Fahrt nicht.

      Sie unterdrückte ein aufkommendes Unwohlsein. Alles war in Ordnung, sagte sie sich. Endlich. Nicht mehr lange und ihre Suche würde ein Ende haben.

      Sie sah aus dem Beifahrerfenster und beobachtete, wie das Rot der sinkenden Sonne die Stämme der Bäume in ein warmes Licht tauchte. Ein wunderschöner Abend. Der schönste, den sie seit langem erleben durfte. Ja, es würde alles gut werden.

      Als der Wagen ruckartig bremste und der Motor abgewürgt wurde, fand sie sich jäh mit der Wirklichkeit konfrontiert.

      Nichts war in Ordnung. Sie war in die Falle gegangen. Sie hätte ihren Instinkten trauen sollen.

      Hastig und mit zitternden Fingern suchte sie den Hebel, der die Wagentür öffnen würde. Doch das metallische Klacken einer Zentralverriegelung machte ihr bewusst, dass sie zu langsam gewesen war. Langsam und unglaublich naiv. Wie schon so oft in ihrem jungen Leben. Und wenn sie dieses Auto lebend verlassen wollte, musste sie sich jetzt wehren!

      Ein Schrei kam aus ihrem Mund, als sie wild um sich schlagend um ihr Leben kämpfte. Doch aus dem Laut der Verzweiflung wurde ein Laut des Schmerzes, als etwas Hartes ihren Schädelknochen über dem linken Ohr traf. Noch immer schrie sie, noch immer schlug sie um sich, doch nur wenige harte Schläge später spürte sie, wie sie sich selbst entglitt. Der Geschmack und der Geruch ihres eigenen Blutes, waren das Letzte, was sie in diesem Leben wahrnahm.

      Bossa Nova

      Einer muss schuld sein

      »Du verlierst, Colin.«

      Im Lost Anchor, einer winzigen Eckkneipe, zog Pfarrer Jasper Johnson mit kaum verborgenem Triumph seinen Dartpfeil aus der doppelten Zwanzig. Es sah nicht gut aus für Colin, doch der Einsatz war zu hoch, um aufzugeben. Der Pfarrer spielte mit ihm keineswegs um Geld. Nein, er spielte um Zeit.

      »Du musst deine Zwanzig zumachen, Colin, sonst mache ich dich fertig, bevor wir unser erstes Bier ausgetrunken haben.«

      Colin ignorierte den Spott in der Stimme des Pfarrers und warf seine Pfeile. Einmal. Zweimal. Dreimal. Es war ihm gelungen, die Zwanzig nett einzurahmen, ohne ihre Felder zu berühren. Er war erledigt und er wusste es.

      Nur fünf Minuten später präsentierte der Pfarrer ihm beim zweiten Bier des Abends die Rechnung.

      »Ich könnte mir einen Tanzkurs für Senioren im Gemeindehaus vorstellen«, schlug er mit diabolischem Lächeln vor und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Colin erwog kurz, seinen Kopf demonstrativ auf die Tischplatte zwischen ihnen zu schlagen, hielt sich aber zurück.

      »Ich bin im Ruhestand, Jasper. Und das aus gutem Grund, wie ich dir schon mehrfach erklärt habe. Mein Rücken macht nicht mehr mit.«

      »Du bist Tanzlehrer, Colin! Das ist kein Beruf, den man einfach an den Nagel hängt, das ist eine Berufung!«

      »Ich unterrichte nicht mehr.« Colin verschränkte die Arme vor der Brust und sah den Pfarrer trotzig an. Dieser lächelte beschwichtigend.

      »Gut. Dann eben keine Tanzstunden. Ich habe da noch ein anderes Anliegen, was dir vielleicht mehr zusagt. Es geht um Agatha Summers. Ihr gehört das Cottage oben auf dem Hügel. Sie ist ein sehr fleißiges Mitglied meiner Gemeinde, stets hilfsbereit. Vorgestern ist sie über eine Gartenwegplatte gestolpert und unglücklich gestürzt. Die Arme schillert in allen Farben des Regenbogens, kann kaum noch humpeln, und das Handgelenk hat auch was abbekommen.«

      Colin riss die Augen auf und knallte das gerade erst angehobene Bierglas auf den Tisch. »Jasper! Du willst mich nicht zum Krankenpfleger einer alten Lady machen, oder? Sehe ich etwa aus wie jemand, der alte Damen füttert und ihnen Geschichten vorliest? Ich bin heilfroh, dem Seniorentanz und der damit einhergehenden Verblödung entronnen zu sein.«

      »Den Löffel hält sie noch selbst! Und um die dringlichsten Dinge kümmert sich eine Krankenschwester, da mach dir mal keine Sorgen. Ich suche jemanden, der mit der alten Dame ein Schwätzchen hält, ihr die Zeitschriften bringt, den Rasen mäht und natürlich diesen gottlosen Gartenweg ausbessert.«

      »Und das soll ausgerechnet ich sein? Also viel besser als Seniorentanz klingt das nicht.«

      »Außer dir spielt niemand mehr mit mir Darts!«

      Colin musste wider Willen lachen. Er lebte erst seit kurzem in diesem kleinen Ort in Mittelengland und war von Jasper gleich bei seinem ersten Besuch im Lost Anchor zu einer Partie Cricket am Dartautomaten aufgefordert worden. Colin und der große rundliche Pfarrer hatten sich gleich gut miteinander verstanden und trafen sich seitdem mehrmals wöchentlich zum Pfeilewerfen.

      Genau genommen traf sich der Pfarrer zum Dartspielen. Colin kam zum Verlieren, und der Einsatz des Matches war stets eine gute Tat.

      In den letzten Wochen war Colin auf diesem Wege mit vielen Dorfbewohnern bekannt geworden, und so hatte seine Pechsträhne den angenehmen Nebeneffekt, ihm, dem Zugezogenen, jede Menge neue Kontakte zu bescheren.

      Inzwischen wusste Colin, dass der Pfarrer schon große Dartturniere gewonnen hatte und im Dorf als unbesiegbar galt. Niemand, der bei Verstand war, spielte mit Jasper um Einsätze, egal um welche.

      Colin wusste nicht, warum er sich noch immer auf Spiele mit dem Pfarrer einließ, es widersprach seinem klaren Verstand. Möglicherweise tat er es, weil er den Geistlichen mit dem runden Gesicht und der Nickelbrille vor den Schweinsäuglein einfach mochte. Jasper Johnson war kein Mann der Kirche, dem das Predigen zur Gewohnheit geworden war. Er wusste Wortwitz und Ironie zu schätzen. Und dass Colin keiner Konfession angehörte, war ihm völlig egal.

      »Ich denke, du solltest sie morgen einfach mal aufsuchen«, sagte Jasper gerade und wischte sich den Bierschaum von der Oberlippe. »Sie ist eine nette alte Dame, du wirst sie mögen! Wie wär’s mit einem Cognac zum Bier?«

      Colin nickte und winkte dem Barmann. Für ihn war es sowieso zu früh, um in sein Zimmer zurückzukehren, denn die Mieterin des Nachbarzimmers blockierte des Abends stundenlang das gemeinsame Bad und sang in der Wanne Chansons. Da sie ausgesprochen schlecht sang, konnte Colin dieses zweifelhafte Vergnügen getrost aufschieben.

      Der Nebel hing noch zwischen den Weiden, als Colin am darauffolgenden Morgen die Straße des Dorfes bergauf stieg. Eine schlechte Nacht lag hinter ihm. Er war erst dreiundfünfzig Jahre alt, hochgewachsen und stolz auf sein volles eisgraues Haar. Seine Jahre auf dem Tanzparkett hatten ihm eine aufrechte Haltung und einen geschmeidigen Gang beschert, aber leider auch eine stark abgenutzte Wirbelsäule, die Colin in der Mitte seines Lebens zwang, die Tanzschuhe an den Nagel zu hängen und noch einmal umzudenken. Eine hervorragende Berufsunfähigkeitsversicherung ermöglichte es ihm, dies ganz in Ruhe zu tun – als einer von zwei Untermietern einer pensionierten Lehrerin, die ein wunderschönes Cottage inmitten der grünen Hügel Englands ihr Eigen nannte.

      Würden die leidigen Rückenschmerzen ihm nicht die Nächte verderben,


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