Mordsverlust. Christopher Stahl
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Zum Buch:
Renate Dohne ist spurlos verschwunden. Nach ihrer Ausbildung bei Darius Schäfer hat sie sich für eine Laufbahn bei der Polizei entschieden, dann aber den Polizeidienst kurz nach ihrer Hochzeit quittiert. Jetzt ist sie offenbar aus einer unglücklichen Ehe geflohen. Aber warum meldet sie sich nicht einmal bei ihrer Mutter? Hat ihr Verschwinden vielleicht doch etwas mit ihren früheren Recherchen bei der SoKo Rheinhessennetz zu tun? Hat die Vergangenheit sie eingeholt und in den Sumpf aus Wirtschaftskriminalität, Erpressung und Drogenhandel gezogen? Oder sollten Darius Schäfer und Kriminalhauptkommissar Heribert Koman doch einer ganz anderen Spur folgen? Denn schnell wird dem Steuerberater mit Spürsinn klar, dass die Winzerdynastie Preuß & Erben, in die Renate eingeheiratet hat, so manches Familiengeheimnis hütet. Gerade als Darius Schäfer meint, in einer Sackgasse zu stecken, kommt es zu einem Wiedersehen mit Renate Dohne, das er sich ganz anders vorgestellt hat …
Eine besondere Rolle spielt in diesem Fall ausgerechnet eine Plastik, die als Mahnmal für die Toten geschaffen wurde: Der Schwebende von Ernst Barlach, 1927, Bronze, Dom zu Güstrow.
Zum Autor:
Hinter dem Pseudonym Christopher Stahl verbirgt sich der renommierte Autor von Praktiker-Literatur für Steuerberater Gerd Jürgen Merz. Er lebt mit seiner Familie in Rheinhessen. Nach Tödliche Veranlagung, Schwarzes Geld für schwarze Schafe und Mörderische Bilanz ist Mordsverlust bereits sein vierter Darius-Schäfer-Krimi.
Der Schauplatz: Die Rheinhessische Schweiz
Das Gebiet zwischen Bingen, Mainz, Worms und Alzey wurde 1816 der Provinz Hessen zugeschlagen; später gehörte es zum Großherzogtum Hessen-Darmstadt. Seinen heutigen Namen Rheinhessen erhielt es 1819. Im Rahmen der Länderneuregelung wurde es nach dem 2. Weltkrieg Rheinland-Pfalz angegliedert.
Es ist das größte zusammenhängende Weinanbaugebiet Deutschlands. Seine vielfältigen Produkte (Müller-Thurgau, Kerner, Scheurebe, Faber, Bacchus, Huxelrebe, Chardonnay, Silvaner, Riesling, Morio Muskat, Weißburgunder, Grauburgunder Pinot Gricio, Portugieser, Dornfelder, Blauer Spätburgunder, Gewürztraminer), werden in der ganzen Welt geschätzt.
Dem Teil Rheinhessens, das nördlich an das Pfälzische Bergland anschließt, hat man wegen seiner hügeligen Landschaft den bezeichnenden Namen Rheinhessische Schweiz gegeben.
Hier, in dem Weindörfchen Bernheim und der näheren Umgebung, beginnt und endet diese Geschichte. Die örtlichen und geschichtlichen Gegebenheiten orientieren sich an der Realität. Nur das Dörfchen Bernheim, das gibt es ebenso wenig wie die handelnden Personen. Sie und ihre Geschichte sind Produkte der dichterischen Freiheit. Sie sind so frei gestaltet, wie halt eben die Fantasie doch unwillkürlich und ohne Absicht durch die persönliche Lebenserfahrung gesteuert wird.
Entscheidende Personen, die uns immer wieder begegnen und ohne die unsere Geschichte nicht „leben” würde.
Das Wort Familienbande
hat einen Beigeschmack von Wahrheit.
(Karl Kraus)
Montag, 4. April 2005
„Wo ist dein Problem, Darius?” Heinz stellte sein halbvolles Weinglas auf dem Tresen ab, an dem wir seit einer guten Stunde im Bernheimer Schafbock standen.
Es war einer dieser tristen, nasskalten Tage, an denen man schon absonderlich veranlagt sein musste, um nicht wenigstens einen Anflug von Trübseligkeit zu verspüren. Einer dieser Tage, an denen man den Eindruck haben konnte, das noch junge Jahr stecke mitten in der Pubertät und sei hin und her gerissen, für welche Jahreszeit es sich nun entscheiden solle.
Ich war einfach unzufrieden – mit mir selbst – und die verdrießliche Stimmung die der Tag vor dem Bürofenster verbreitet hatte, war nicht unbedingt dazu angetan, meine eigene aufzuhellen. Dazu war noch Wochenanfang und Sonja hatte sich heute Morgen von mir mit dem Hinweis verabschiedet, dass es wieder einmal spät werden könne und ich nicht auf sie warten solle. „Elternabend”, war ihre lapidare Erklärung, die sie mit einem bedauernden Achselzucken und einem nachgeschobenen Kuss auf meine Wange abzumildern versuchte. Und danach wollte sie sich noch mit ein paar Kollegen beim Lehrer-Lieblings-Griechen in Alzey treffen. „Soziale Pflichtübung” nannte sie das.
Ich konnte Beatrice, meine Ex-Frau, immer besser verstehen. Während der letzten Jahre unserer Ehe war sie es gewesen, die immer häufiger auf ein geregeltes und vertrauenswürdiges partnerschaftliches Zusammensein hatte verzichten müssen. Vor drei Jahren – lange nach unserer Scheidung – hatte ich begonnen, mein Leben umzukrempeln und als Konsequenz meine Steuerberatungskanzlei verkauft, an Carlo Dornhagen, einen ehemaligen Betriebsprüfer beim Finanzamt Alzey. Die Übergabe war mit meiner festen, sogar vertraglich vereinbarten Absicht verbunden, dort nur noch mit halber Fahrt mitzuarbeiten.
Doch wenn mich nicht eine Serie von Schicksalsfügungen immer wieder einmal für mehrere Wochen in die Gefilde der Hobbykriminalistik entführt hätte, wäre ich schon bald gedankenlos in den alten Trott zurückgefallen. Obwohl ich für mich die Feststellung getroffen hatte, dass Trott nicht allzu weit entfernt war von Trottel. „Lieber ein Löwe am Abgrund, als ein Esel vor dem Karren.” Wie oft und mit welcher Überheblichkeit, hatte ich nach meinem Erwachen aus einem jahrelangen beruflichen Albtraum anfänglich mit diesem Spruch auf andere eingeschlagen, die meine Veränderung nicht nachvollziehen konnten. Und dann, schleichend und kaum von mir bemerkt, verfiel ich wieder in alte Verhaltensmuster. Dass das Kanzleigebäude in dem umgebauten Kelterhaus eines kleinen, ehemaligen Weingutes untergebracht war – nur zehn Schritte von dem Haus entfernt, in dem ich mit Sonja, zwei Hunden und drei Katzen lebte – wirkte sich begünstigend auf meine Rückfälle aus.
Das Anwesen lag am Ortsrand von Bernheim, einem kleinen Winzerdorf in der Rheinhessischen Schweiz. Die Region hatte immer als Garant für die ideale Witterung zum Weinanbau gegolten, während der letzten Wochen allerdings schien diese Auszeichnung nicht mehr zuzutreffen.
Da saß ich also an meinem Schreibtisch, stapelte lustlos Akten von einer auf die andere Seite, verteilte einiges in Hängehefter, suchte nach irgendetwas im Internet und wusste, dass etwas geschehen musste. Aber was?! Sonja nicht da, mieses Wetter und matschige Wege, die einem das Joggen verleideten, Unzufriedenheit mit meiner eigenen Inkonsequenz – was half da? Ein gutes Männergespräch mit Heinz, unterstützt von ein paar Bernheimer Roten.
Heinz Runde, ein begnadeter Softwarespezialist und bekennender und praktizierender Demeter-Ökologie-Nebenerwerbslandwirt, gehörte mit seiner Frau Karin zu meinen engsten Freunden. Beatrice hatte beide ursprünglich als eine Art Mitgift in unsere Ehe eingebracht und mir nach der Scheidung anteilig zum weiteren Nießbrauch überlassen.
Ich griff spontan zum Telefon.
„Wir treffen uns im Schafbock, um acht, ich muss zuerst noch die Tiere füttern”, war seine prompte Reaktion auf meine Bitte, ein Gläschen mit mir zu trinken. Er war einer meiner Mandanten, aber er kam auch zu mir, wenn er ein Problem abseits steuerrechtlicher Belange hatte. Und ich konnte ebenso auf ihn zählen.
Wir standen am Tresen in unserer Dorfgaststätte. Die Werbeuhr der Kirner Brauerei an der Wand zeigte kurz vor halb zehn. Obwohl sich die Kochkünste von Paul Herbst, der seit fast zwei Jahren das Lokal führte, inzwischen rumgesprochen hatten und Gäste aus der gesamten Umgebung anlockten, waren die Tische heute kaum besetzt. Kein Wunder – es war Montag, der Teuro verleidete den Leuten weiterhin das Ausgehen und das dritte deutsche Wirtschaftswunder hatte sich