Franz spricht. Elisabeth Hauer

Franz spricht - Elisabeth Hauer


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meistens ohne Lohnausgleich. Der Betriebsrat hat gemeint, so geht das nicht weiter, wir hätten Anspruch auf mehr Geld, zehn Prozent vielleicht, nicht übertrieben. Wir waren längst dieser Meinung, nur die gewerkschaftliche Unterstützung hat uns gefehlt. Wir haben sie bekommen. Ich war damals Vorarbeiter, die meisten Kollegen haben mir vertraut und mich zu ihrem Sprecher gewählt. Bei den Verhandlungen mit der Betriebsleitung sollte ich sie vertreten. Nicht einfach, das hab ich gewusst. Heute ist mir klar, dass da auch Eitelkeit von mir dabei war. Aber bitte. Mit zweiundzwanzig Jahren. Ich hab mich vorbereitet, mit guten Argumenten, alles besprochen mit den Kollegen, mit dem Betriebsrat. Der Chef war ja so weit in Ordnung. Zwar hat er zuviel geredet, von der Gleichheit aller Menschen und solche Sachen, mit denen ein Arbeiter nichts anfangen kann, aber in Ordnung. Natürlich hört sich die Freundschaft auf, wenn man Geld haben will. Es war ein harter Kampf, mit allen diesen Leuten, die auch was zu sagen hatten und den Chef unterstützten. Ich glaub, ich hab mich recht gut gehalten, mich bemüht, ordentlich zu reden, ich habe, wie es so schön heißt, Überzeugungsarbeit geleistet. Fast ist es zu einem positiven Abschluß gekommen. Fast.

      Weil es nämlich einen Streikbrecher gegeben hat. Ein schon älterer Mensch, der nie besonders aufgefallen ist, der nie viel geredet hat, mit keinem von uns befreundet war.

      Wir haben gewusst, er lebt allein, seine Frau war gestorben. Er hatte eines der kleinen Häuser in unserer Siedlung, manchmal hat man ihn im Garten arbeiten gesehen, im Wirthaus sah man ihn nie, auch nicht in der Kantine.

      Ich wollte einfach nach der Arbeit zu ihm hingehen. Und ihm sagen, dass er mitmachen. soll. Ziemlich laut hab ich an seine Tür geklopft. Er war erschrocken, das hab ich gleich bemerkt. Kann ich reinkommen, hab ich gefragt. Ohne ein Wort zu sagen ist er mir in die Küche gefolgt. Die war ärmlich, aber ordentlich aufgeräumt. Ich hab mich hingesetzt und zu reden begonnen. Er ist vor mir gestanden, ganz still, ich weiß nicht, ob er mir überhaupt zugehört hat. Dann hat er mich zur Stiege geführt, mit dem Finger hinauf gezeigt. Er ist vorausgegangen. Ich bin ihm gefolgt.

      Was ich dann gesehen hab, werd ich nie vergessen. In einer Kammer, vielleicht zwei mal zwei Meter, ist seine Tochter gelegen. Das Bett hat fast den ganzen Raum eingenommen. Sie ist drinnen gelegen, sie war wach, aber sie hat mich nicht gesehen.

      Ich völlig überrascht, denn wir alle haben von dieser Tochter nichts gewusst, und ich sag Guten Tag. Das war natürlich blöd von mir, aber ich hab keine Ahnung gehabt was tun. Sie kann nicht sprechen hat der Vater gesagt, sie kann auch nichts hören, und sie weiß auch nichts, gar nichts.

      Ich muß arbeiten, immer arbeiten, für sie arbeiten, immer, kein Streik, hat er gesagt, als wir wieder in der Küche waren. Mir ist dann nichts mehr eingefallen.

      Meinen Arbeitskollegen hab ich es erzählt. Alle waren still, nur einer hat gesagt, wenn der Alte nicht will, muß man ihn zwingen, er würde schon wissen, wie man das macht.

      Da hab ich zugeschlagen, richtig zugeschlagen, seine Nase hat geblutet und auch sonst war er ziemlich verändert. Die andern haben mich verstanden. Ich habe so was nie mehr getan, aber damals hat es sein müssen.

      Gestreikt haben wir trotzdem. Viel hat es nicht gebracht. Von den zehn Prozent war keine Rede mehr.

      »

      Der Pfad war steil und ausgesetzt. Auf der einen Seite eine Felswand, hoch, ohne Ende. Auf der anderen Seite ein Abgrund, tief, ohne Ende. Miriam blieb stehen.

      Heinz, ich kann nicht mehr.

      Was heißt, ich kann nicht mehr, du musst weiter.

      Nein, ich will zurück.

      Das geht nicht.

      Warum.

      Wenn wir umdrehen, kommen wir in die Dunkelheit.

      Und bis zum Gipfel.

      Das geht. Wir erreichen die Hütte noch bei Tageslicht.

      Wenn ich aber nicht mehr kann.

      Reiß dich zusammen.

      Ich will mich aber nicht zusammenreißen. Ich will zurück.

      Er sagte nichts mehr, drehte sich um und ging wieder voraus. Sie folgte ihm, langsam, mit schleppenden Schritten. Sie zwang sich, nicht hinunterzuschauen, nur auf den Pfad zu blicken, auf dieses schmale Stück Weg, harte Erde von Steinen durchsetzt, immer gleich, niemals anders. Ab und zu strich sie mit ihren Händen über den Fels, er war rau, sie spürte dann Schmerz auf ihrer Haut. Gern hätte sie die Augen zugemacht, um nichts von dieser unheimlichen, bedrohlichen Umgebung zu sehen. Das durfte sie nicht, sie wusste es. Sie wusste auch, dass ihre Schritte noch langsamer werden würden. Weil sie so müde war, dass sie kaum noch die Füße heben konnte.

      Warte, warte bitte, rief sie zu ihm nach vorn. Er blieb kurz stehen. Zwei, drei Sekunden lang, dann ging er weiter. Sie lehnte sich kurz an die Felswand. Als sie aufsah, war er ihrem Blick entschwunden. Sie begann zu schreien, er tauchte wieder auf.

      Glaub ja nicht, du könntest dich jetzt ausruhen, sagte er.

      Ich kann nicht mehr, wiederholte sie.

      Irgendwann erreichten sie die Hütte. Sie taumelte, und er nahm sie in seine Arme.

      Wenn ich gewusst hätte, dass es dich so anstrengt.

      Du hast es gewusst.

      Sie hatte Hunger und aß fast nichts, obwohl der Geruch von Suppe, Speck und Eiern sie quälte. Sie sah ihm zu, wie es ihm schmeckte, sie saß still an dem großen, hölzernen Tisch, zusammen mit vielen anderen, die diesen Berg bestiegen und bezwungen hatten, einen Berg mit prachtvoller Aussicht, die sich ihr am Morgen, beim Abstieg, wieder zeigen würde. Sie hatte Angst vor der Nacht. In einem Quartier mit vielen Schlafstätten, mit anderen Menschen, deren lauten Atem sie hören würde.

      Als Miriam am Morgen erwachte, war Heinz nicht da. Sie fragte den Hüttenwirt. Ihr Mann sei schon abgestiegen, sagte er, allein. Er habe gemeint, sie könne sich einer größeren Gruppe erfahrener Alpinisten anschließen.

      Sie hätte gern geweint, aber sie tat es nicht. Ein unglaublicher Zorn gegen ihren Mann brach in ihr auf. Sie wusste, sie konnte diesen Zorn nur loswerden, wenn sie ruhig und beherrscht den Abstieg antrat. Trotzdem erkannten die Leute, denen sie sich anschloss, dass es ihr nicht leicht fiel, dass sie den Blick vom Boden nicht hob, dass jeder Hinweis auf eine besonders schöne Aussicht und damit jedes Hinunterblicken eine Qual für sie bedeutete. Wolken zogen auf, das Wetter verschlechterte sich, es wurde kalt. Man müsse sich beeilen, sagte man, um das Tal schnell zu erreichen. Es könnte ein Gewitter kommen, das wäre nicht gut. Auch nicht ungefährlich bei schlechter Sicht. Miriam spürte das Klopfen ihres Herzens so stark, dass sie meinte, die Anderen müssten es hören. Die Gruppe beschleunigte das Tempo. Miriam stolperte, sie fing sich im letzten Moment, indem sie sich an einen Felsvorsprung klammerte. Sie verlor die Beherrschung. Darf ich mich an Ihrem Rucksack anhalten, bat sie ihren Vordermann. Er sagte ja, aber seine Schritte waren rascher als ihre, fast zog er sie mit sich, manchmal wurde sie langsamer, er merkte es und blieb stehen. Ist schon gut, sagte er, als sie sich entschuldigte.

      Sie erreichten das Tal, das Wetter war vorbeigezogen. Hier unten war alles grün, üppige Wiesen, belaubte Bäume, freundliche Häuser in blühenden Gärten. Eine andere Welt. Miriam konnte es fast nicht glauben. Nur langsam verließen sie Bedrohung und Angst. Sie müsse öfter in die Berge gehen, meinte der Mann mit dem Rucksack.

      Sie nickte, bedankte sich und wusste gleichzeitig, sie würde es nicht mehr tun.

      Als sie ins Hotelzimmer zurückkam, schlief Heinz. Sie hätte ihn gern aufgeweckt, ihn gefragt, warum er sie allein zurückgelassen hatte, oben auf dem Berg. Aber sie tat es nicht. Sie setzte sich ans Fenster und sah hinaus in die Landschaft. Ihre Wut, ihr Zorn begannen schwächer zu werden, nur ihre Finger strichen unaufhörlich über das Holz des Tisches. Als Heinz erwachte, blieb sie stumm.

      Bist du mir bös, fragte er. Sie schüttelte den Kopf. Weißt du, fuhr er fort, ich hatte plötzlich das Gefühl, ich müsste allein sein, ich könnte keinen Menschen mehr ertragen, auch nicht dich.

      Du hast mich schon einmal so plötzlich verlassen, sagte Miriam.

      Erinnerst


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