Franz spricht. Elisabeth Hauer
sagte er. Es war nicht richtig von mir.
Und du wirst es wieder tun, fragte sie.
Er sah sie nicht an. Vielleicht, sagte er.
Damals waren sie zwei Jahre verheiratet.
Zu jener Zeit war es eben so. Die Zeit jetzt ist eben anders. Das wird jeder, der so alt ist wie ich, bestätigen. Es hat sich viel geändert, und man kann von mir nicht verlangen, dass ich alles für gut befinde. Ich habe meine Erfahrungen, ich habe meine Erkenntnisse.
Ich habe ein schon langes Leben gelebt und aus diesem Leben meine Schlüsse gezogen Das lasse ich mir nicht nehmen. Und ich lasse mich von Jüngeren nicht mundtot machen. Nur weil ich nicht mehr auf der Erfolgswelle schwimme, nicht mehr aktiv bin.
Das heißt ja nicht, dass ich mich nicht weiterbilde, ständig weiterbilde durch Lektüre, ja auch durch das Fernsehen, das mich zweifellos mit wichtigen Informationen versorgt. Ich bin verwitwet, das heißt ich bin allein, meine Tochter sehe ich selten, ebenso meine Enkelin. Darüber will ich mich auch nicht beklagen. Ich will damit nur sagen, dass ich mich stets bemühe, mein Leben zu meistern, was nicht immer einfach ist. Niemand sagt zu mir Guten Morgen, schau, was für ein schöner Tag. Niemand sagt zu mir Was machen wir heute, überleg es dir bitte. Wenn ich fortgehe, schaut niemand mir aus dem Fenster nach. Wenn ich heimkomme sagt niemand Gut, dass du wieder da bist.
Und bevor ich einschlafe, nimmt niemand meine Hand und sagt Träum was Schönes.
So ist das. Und manchmal schwierig. Dann ist es gut, ein Buch in die Hand zu nehmen, meistens eines, das ich schon kenne und jene Stellen zu lesen, die mich oft schon getröstet haben, Oder, auch das kann sein, eine Schallplatte aufzulegen – ich sage bewusst Schallplatte, denn sie hat einen besseren Klang als eine CD – und ein klassisches Konzert anzuhören. Dann schließe ich die Augen und die Musik strömt an mir vorbei. Manchmal kann es sogar passieren, dass ich glaube, meine Frau ist da, und ich höre das leise Rascheln ihres Taschentuches. Das ist aber selten, weil ich ein vernünftiger Mensch bin, der weiß, dass eine solche Illusion alles nur schwerer macht.
Eigentlich wollte ich auf was ganz Anderes hinaus. Nämlich auf meinen Bruder Paul, von dem dieser Bericht ja handeln soll. Das, was ich jetzt sagen will, hängt auch mit meiner Frau zusammen, die ich eben erwähnt habe.
Sie hat nicht fertig studiert, Literatur, ein Studium das nicht gerade künftigen Erfolg versprach, aber sie hat es interessiert. Einige Male wollte ich sie überreden, was anderes zu studieren, Jus vielleicht, wie ich. Aber da war nichts zu machen. Und daran, ich muss es ihm jetzt noch vorwerfen, war hauptsächlich mein Bruder Paul schuld. Lass sie doch, sagte er zu mir, sie soll Freude haben an dieser Wissenschaft, denn Wissenschaft ist Literatur genauso wie alle anderen Studienrichtungen. Sie hat eben eigene Interessen. Ich finde das gut. Es wird eure Ehe interessant machen.
Selbstverständlich hat er auch sie stark beeinflusst. Ich wusste, dass sie auf ihn hörte.
Ich wusste auch, dass sie einander manchmal trafen, ohne dass ich dabei war. Sicher sprachen sie dann über ihr Studium und ihren Wunsch, es nicht aufgeben zu wollen. Mehr war da nicht, da bin ich sicher. Paul hat mir auch jeden Mal von diesen Treffen erzählt und mich letzten Endes dazu gebracht, dass ich Christine sagte, mach was du willst, wir werden nicht mehr darüber reden. Sie war erleichtert und umarmte mich.
Hat Paul dich überzeugt, fragte sie.
Diese Frage machte mich wütend. Nein, sagte ich, ich habe selbst eingesehen, dass man dir deinen Willen lassen soll.
Sie hat mich dann ein paar Tage lang nicht sehen wollen. Heute weiß ich, dass ich mich damals schlecht ausdrückte. Dir deinen Willen lassen, das klingt gönnerhaft, herablassend. Ich war damals jung und sehr ehrgeizig. Ein Teamwork mit meiner Frau, zwei Anwälte in eigener Kanzlei, spezialisiert auf gewinnbringende Gebiete, Scheidungs- oder Steuerrecht, das schwebte mir damals vor. Aber ich habe auch ohne sie meinen Weg gemacht. Ministerialrat im Finanzministerium war auch keine schlechte Position.
Alle diese Diskussionen und Missverständnisse hätten nicht sein müssen. Als sich das Kind ankündigte und wir heirateten, gab sie das Studium auf. Sie sprach zwar davon es wieder fortzusetzen, wenn unsere Tochter in den Kindergarten gehe. Aber dazu hatte sie dann doch nicht den Mut, glaube ich. Zuviel vergessen, meinte sie, wenn ich sie dazu ermuntern wollte. Ich glaube, sie nahm mich nicht ernst. So verging die Zeit. Ich habe den Verdacht, dass auch meine Mutter sie davon abhielt.
Das Kind gehört zu dir, sagte sie, man gibt es nicht in fremde Hände.
In der ersten Zeit unserer Ehe, als unsere Tochter noch nicht geboren war, las sie mir viel vor, aus Büchern, die sie liebte, Goethe, Schnitzler, Rilke, auch aus moderner Literatur. Als Miriam dann da war, hatte sie kaum Zeit dazu, und ich warf mich voll in meine Karriere hinein. Heute denke ich manchmal an diese Abende. Nur meine Frau im Licht der Stehlampe, den Kopf gesenkt, in ihren Händen ein Buch. Ich, ein Stück von ihr entfernt, im Dunkel, ihrer Stimme lauschend. Schön war das.
Und was Paul betraf. Ich will mich nicht schon wieder verlaufen. Er hat eine tolle Matura hingelegt, mit Auszeichnung, ich kam nur gut durch. Er hat alle Chancen, sagte mein Vater voller Stolz. Die hatte er. Aber von allen diesen Chancen nutzte er keine, Orchideenstudien hat er betrieben, wie man heute sagt. Astronomie, Archäologie oder Sinologie, alles zuerst mit größtem Interesse, aber mit geringer Ausdauer. Ich weiß nicht, meinte er nach zwei, drei Semestern, es ist doch nicht das Wahre. Was willst du eigentlich, fragte ich ihn. Ein Studium und damit ein Wissen, was mich total ausfüllt, das meiner Person, meinen Ansprüchen an das Leben genügt. Er fand es nicht. Und hat auch aufgehört zu studieren.
Ich war verblüfft. Meiner Frau hast du zugeredet, ihr Studium fortzusetzen und du gibst es auf, fragte ich. Ich müsste alles studieren können, antwortete er. Einfach alles. Dann wäre ich vielleicht zufrieden.
Das fand ich völlig übertrieben. So hatte ich ihn nicht eingeschätzt.
Weißt du, erklärte er, ich brauche nur ein wenig Geld. Wenn ich das habe, kann ich mir, was mich interessiert, selber beibringen.
Er trat dann in das Büro eines Immobilienmaklers ein. Er blieb lang allein. Bis er durch einen Zufall Eva kennen lernte. Da war er schon ein reicher Mann.
Aber ich greife vor. Ich weiß, meine Art des Erzählens ist alles andere als linear.
Da war wieder seine Frau Miriam, die sich so fest, so unerbittlich in ihn eingehängt hatte, als wollte sie ihn niemals loslassen. Da war Heinz, der verunsichert um sich blickte. Der erst, als er Eva entdeckte, plötzlich ganz anders aussah. Voller Freude, voller Erwartung, noch unter einem Zwang stehend, aber schon im Bewusstsein, er würde sich davon befreien. Da war dieses Essen in großer Gesellschaft, mit Freunden und anderen Leuten, die einander weniger gut kannten. Da saß Miriam ein Stück entfernt von ihrem Mann, neben einem sympathischen älteren Herrn, der hartnäckig versuchte, mit ihr ein Gespräch zu beginnen. Sie aber gab, und Eva bemerkte es, nur flüchtige Antworten, sie sah ständig zu Heinz hinüber, der an der anderen Seite des Tisches saß.
Sein Gegenüber war Eva, es war das zweite Mal, dass sie einander sahen, wieder in Gesellschaft. Es war aber, als würden sie einander schon viel länger kennen. So wechselte das Gespräch, das sie mit ihren Nachbarn höflich führten, immer wieder zur anderen Seite des Tisches hinüber, zu dem, dem allein ihr Interesse galt. Das ging, bis Miriam plötzlich aufstand, noch während des Essens. Langsam ging sie zu Heinz, die Serviette noch in der Hand, flüsterte ihm was ins Ohr. Er sah auf, unwillig, fast zornig. Sie ging sofort wieder an ihren Platz, wandte sich ihrem Nachbarn zu, entschuldigte sich. Einige hatten Miriams Verhalten bemerkt und wischten in intensiven Gesprächen ihr Erstaunen weg.
Eva saß stolz, fasst triumphierend an ihrem Platz. Sie beugte sich wieder zu Heinz hin, er blieb einige Sekunden lang still und lachte dann überaus laut und von allen bemerkbar über ein paar Worte, die sie ihm zuflüsterte.
Seit diesem Abend wusste Eva, sie würde bekommen, was sie wollte. Sie wusste auch, sie würde vorsichtig, nicht drängend vorgehen, sie würde Geduld haben müssen. Vor allem würde sie nicht von Paul oder von Franz sprechen, sie war ja schon einige Zeit allein, allein in diesem großen Haus, in ihrer Villa. Allein auch mit