Biografie eines adoptierten Lebens. Sabine Purfürst

Biografie eines adoptierten Lebens - Sabine Purfürst


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       Sabine Purfürst

       Martinas Geschichte

       Biografie eines adoptierten Lebens

       Roman

       Impressum

      Umschlagsidee: Sabine Purfürst

      Umschlaggestaltung: Harald Rockstuhl, Bad Langensalza

      Titelbild: Katrin Hollandt

      1. Auflage 2013

       ISBN 978-3-86777-874-9

      Satz: Sabine Purfürst

      1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

       Inhaber: Harald Rockstuhl

       Mitglied des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels e. V.

       Lange Brüdergasse 12 in D-99947 Bad Langensalza/​Thüringen

       Telefon: 03603/​81 22 46 Telefax: 03603/​81 22 47

       www.literaturversand.de

      Dies ist die Geschichte der Martina Montag.

      Es ist nicht die Lebensgeschichte der Autorin.

      Alle Namen sind frei erfunden und eine Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Menschen ist ungewollt und zufällig.

      Aber die Erinnerungen beruhen auf wahren Begebenheiten.

      Sabine Purfürst

       1. KAPITEL: DIE WAHRHEIT KOMMT ANS LICHT

      Jener Tag griff nach meinem Leben, stellte es auf den Kopf, schob mich in eine andere Richtung, verdrehte meine Welt.

      Wann das passierte, weiß ich nicht mehr genau. Ich erinnere mich, dass der Sommer auf sich warten ließ, der Frühling aber bereits weggezogen war. Die Kirschbäume vor unserem Haus blühten nicht mehr. Dicke Regenwolken versperrten den Sonnenstrahlen den Weg.

      Mutter stand am gusseisernen Herd und rührte in der Ziegenmilch. Mein Magen rebellierte. Der strenge Geruch stieg mir in die Nase. Ich drehte mich zur Seite, hielt die Luft an. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in mir aus.

      Emmi verstand mich nicht. Alles, was sie mir anbot, war natürliche und gesunde Kost. Warum ich die ablehnte, begriff sie nicht.

      „Du trinkst jetzt die gute Milch! Verstehst du! Nicht dieses künstliche Zeug!“

      „Ich will nicht!“, trotzig stapfte ich mit dem rechten Fuß auf. Die Ohrfeige schallte. Heulend setzte ich mich auf den Stuhl und stierte zum Fenster hinaus. In der letzten Zeit stritten wir oft. Mit elf ließ ich mir nicht mehr alles erzählen. Der Einfluss der neuen Schule, in die ich ein halbes Jahr zuvor wechseln musste, war gewaltig.

      Jeden Morgen lief das gleiche Ritual ab. Ich konnte die Zeiger der Küchenuhr danach stellen.

      „Pünktlichkeit ist eine Zier ...“

      Mutter hasste es, wenn ich zu spät kam. Ihr Leben teilte sie in Minuten ein. Geschah etwas nicht nach Plan, knurrte sie die ganze Familie an und stänkerte den Rest des Tages herum. Ich war nicht besser. Stur weigerte ich mich, die Ziegenmilch anzurühren.

      Wütend stemmte Emmi die Arme in die Hüften und funkelte mich mit dunklen Augen an. Ihr Oberkörper baute sich wie eine Säule auf. Ihre Majestät duldete keinen Widerspruch.

      „Trink jetzt!“, herrschte sie mich an. Ihre tiefe Stimme füllte die Küche aus. Selbst Erich, mein Vater, zog sich sofort zurück. Er konnte Ärger aus zehn Meter Entfernung riechen! Mich störte das nicht. Ich ließ sie noch eine Weile schimpfen, ehe ich den Becher anfasste und die warme Milch in mich hinein kippte. Voller Verachtung knallte ich das leere Gefäß auf die Tischplatte. Ein Windzug zerrte an der bunten Gardine am Küchenfenster.

      Ich wollte aufstehen, da packten mich Emmis kräftige Hände und drückten mich auf den Stuhl. Sie griff nach meiner Haarspange, öffnete sie und zog an den dünnen Strähnen. Strubbelig, wie die waren, ließen sie sich kaum bändigen. Ich rührte mich nicht. Sollte sie sehen, wie sie mit diesen Fäden zurechtkam.

      „Mir doch egal!“, dachte ich. Aber ihr strenger Blick, ihre braunen Augen, verfolgten mich wachsam. Emmi war nie etwas egal!

      Mit einer groben Bürste striegelte sie mein feines Haar.

      „In der Schule muss man ordentlich aussehen! Diese Zotteln werden geflochten! Hast du mich verstanden? Die werden nicht aufgemacht! Hörst du!“

      Sie zwängte die Haarsträhnen in Gummis. Wie Striche sahen die Zöpfe aus.

      „Schick musst du nicht sein! Aber korrekt!“

      Manchmal drehte sie mir Locken oder steckte einen Dutt. Furchtbar!

      Endlich hörte sie auf, reichte mir die Brotbüchse mit den Leberwurststullen und ließ mich ziehen. Ich schnappte mir den hässlichen Schulranzen, drückte meiner Mutter einen flüchtigen Kuss auf die Wange und stürmte am Herd vorbei. Ich riss die knarrende Tür auf und rannte aus dem Haus. Die grünen Blätter der Kirschbäume bewegten sich hektisch und es roch nach Komposterde.

      Ich erinnere mich noch an den dunkelgrünen Faltenrock, den mir Emmi genäht hatte. Das karierte Muster im Stoff ließ sich schön in Falten legen. Der Rock reichte bis zu den Knien. Er piekte und juckte an den Beinen. Ständig kratzte ich mich.

      Ich war froh, das Gartentor hinter mir schließen zu können. Das Genörgel meiner Mutter störte mich mehr als die Klamotten, die ich tragen musste. Ich wollte fort! Weg von zu Hause! Am liebsten für immer.

      Der Kies unter meinen Füßen knirschte. Ich hüpfte eine Weile hin und her. Dabei schoss ich Steine in Nachbars Garten, genau in die Buchenhecken hinein. Ich freute mich diebisch. In den Blättern krabbelten sowieso keine Maikäfer mehr und Emmi konnte mich vom Fenster aus nicht sehen. Da aber niemand mit mir schimpfte, verlor ich bald das Interesse an Nachbars Gartenhecke.

      In der Nacht hatte es geregnet. Die Quelle auf der gegenüberliegenden Seite sprudelte das Wasser auf den Feldweg. Ich nahm Anlauf und sprang über die Pfützen. Die letzte verpasste ich. Mein rechter Fuß patschte ins Nasse. Der Rock tropfte.

      „Ach, was“, dachte ich. „Was stört‘s mich!“ und hüpfte weiter.

      Mein Weg zur Schule dauerte nicht länger als fünf Minuten. Jeden Tag lief ich die gleiche Strecke. Pünktlich! Darauf achtete ich. Es gab keinen Tag, an dem ich zu spät kam.

      Auch krank war ich kaum. Einmal plagten mich die Masern. Aber das war‘ s auch schon. Wehleidig war ich nicht.

      Neben dem Schulweg, hüben und drüben, standen Einfamilienhäuser. Dazwischen schlängelte sich ein breiter Sandweg an Vorgärten und Zäunen vorbei. Ein ganz normaler Feldweg. Jetzt ist er geteert. Damals war er ein richtiger Dreckweg.

      Nach einer steilen Kurve sah ich auf der rechten Seite einen Hügel. Ich zog die Schuhe aus und marschierte durchs Gras. Es war samtweich und duftete nach Regen. Am liebsten hätte ich mich hingelegt, doch die Zeit drängte. Ich lief weiter.

      Die Ahornbäume, die wir heute sehen, gab es früher nicht. Hier befand sich der Kindergarten „Gänseblümchen“. Da spielten die Knirpse auf der Wiese. Ich durfte nicht rein. Oft stellte ich mich an den Zaun und drückte mein Gesicht ans Gitter. Ich wollte gern mitspielen, aber man ließ mich nicht hinein. Enttäuscht streckte ich die Zunge durch ein Loch. Das sahen die Kinder. Sie


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