Erbengemeinschaften sind nichts für Weicheier. Anne Schröder

Erbengemeinschaften sind nichts für Weicheier - Anne Schröder


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und wir legten einen Termin fest. Sie meinte, dass sie ihre Mutter und eine ihrer Töchter mitbringen möge. Ich antwortete: „Kein Problem! Und ich bringe meinen Mann mit.“

      Es war Faschingsdienstag. Herrlicher Sonnenschein. Es lag Schnee und es war kalt. Wir fuhren rechtzeitig los, um pünktlich dort zu sein. Der Bürgermeister warnte mich schon am Telefon vor dem, was uns dort erwarte. Dementsprechend hatten wir uns mit Mundschutz und Handschuhen ausgestattet.

      Es erschien auch unsere Cousine Karla, die ausgeschlagen hatte, jedoch einen Sohn hatte, der Miterbe war. Ihre Begrüßung war befremdlich und löste in mir Unbehagen aus. Mir fiel auf, dass sie uns nie richtig ansah. Ich ertappte mich dabei, demonstrativ Blickkontakt zu suchen, was mir mäßig gelang. „Dumme Nuss“, dachte ich mir.

      Der Bürgermeister sperrte das Haus auf. Fast in Zeitlupe und mit Unbehagen gingen wir hinein. Ich hörte hinter mir meine Tante: „Ach, du liebe Zeit“, meine Cousine Charlotte: „Oh mein Gott“, ihre Tochter: „Ich glaube, mir wird´s schlecht“, meinen Mann: „Unfassbar“, mich selbst: „Um Gottes willen.“

      Zunächst kam der sogenannte Vorraum, wo damals die Milch aufbereitet und gefiltert wurde, damit sie fertig zur Abholung war. Da standen jetzt offene Katzenfutterdosen, teilweise steckte ein Löffel drin. Kisten, Kartons und Kanister lagen kreuz und quer, sodass wir nicht gehen konnten, sondern steigen mussten.

      Ich zückte meine Digitalkamera und begann zu fotografieren. Der Hausflur: Ebenfalls überall Kleidung, Kisten, Stapel von Zeitungen und durcheinanderliegende Prospekte. Der Dreck überall ließ erahnen, dass nach dem Ableben meiner Tante niemand mehr geputzt hatte.

      Der nächste Raum, der eine Küche erahnen ließ, löste bei uns Ekel und fast mitleidige Abscheu aus.

      Meine Tante und ich riefen fast gleichzeitig aus, wie man so leben könne. Alois musste über Jahre nichts mehr gekocht haben. Töpfe und Pfannen waren mit undefinierbaren Krusten überzogen, genauso wie der Herd. Die Eckbank und der Tisch waren mit Zeitungen und Prospekten belegt. Lebensmitteldosen standen dazwischen. Der Küchenschrank war zugleich Wohnzimmerschrank. Hier und da öffneten wir die nicht verglasten Schrankteile. Das Durcheinander und der Staub veranlassten uns dazu, sie schnell wieder zu schließen.

      Gerd entdeckte auf dem Wohnzimmertisch eine vergilbte Akte mit der Aufschrift „Grundbuch“. Da ich Handschuhe trug, blätterte ich die Akte grob durch. Mir fielen Seiten in altdeutscher Schrift und Abbildungen von Gemarkungen auf. Der Bürgermeister, der wie angewurzelt an der Tür stand, meinte, dass in dieser Akte kein Testament zu finden sei. Er habe dies schon durchgesehen und für uns liegen gelassen.

      „Sie können die Akte mitnehmen“, meinte er. Wir machten uns auf, um in den ersten Stock zu gehen. Gerd war hinter mir. Als er auf der dritten Stufe von einer herabhängenden Spinnwebe gestreift wurde, rief er: „Ich bleibe besser unten.“ Auch der Bürgermeister ging nicht mit nach oben. Er kenne den ersten Stock bereits und wolle sich das nicht nochmal antun. Nun waren wir noch zu viert. Der obere Flur war mit hellen Sideboards bestückt, deren Türen offenstanden. Sowohl in den Möbeln als auch außerhalb lagen Berge von Magazinen und Prospekten: Prospekte der Grünen-Partei, Wanderprospekte und so weiter.

      Der Blick ins Bad ließ mich paradoxerweise schmunzeln. Ich blendete kurzzeitig den Dreck aus und zeigte den anderen die zwei roten Dosen auf dem Spiegelschrank: Brisk, Haarpomade. Die hatte Alois damals schon benutzt. Wir fanden keine weiteren Körperpflegemittel, geschweige denn irgendein Reinigungsmittel. Wir stutzten, als wir im Waschbecken etwas graues, haariges entdeckten. Ich nahm an, dass Alois mit Dichtungswolle ein Rohr hatte abdichten wollen. Meine Tante sah genauer hin. „Nein“, rief sie erschrocken, „das sind Haare.“ Anscheinend hatte sich Alois selbst die Haare geschnitten und sie im Waschbecken liegen gelassen. Ein Rinnsal Wasser ließ erkennen, dass die Badewanne mal hell gewesen war.

      Wir gingen weiter, jeder hörte das seltsame Knacken unter den Füßen. Charlotte sah genauer hin: „Iiih, das ist getrockneter Katzenkot.“ Da einige Fenster zu Bruch gegangen waren, hatten Katzen – in der Hoffnung, Futter zu finden – den Weg ins Innere des Hauses gefunden.

      Das erste Schlafzimmer musste Alois gehört haben. Das einzig ordentliche waren seine Arbeitshosen, die an der Seite des Schranks hingen. Sein sogenanntes Bett war ungemacht und hatte eine undefinierbare Farbe. Das Bettgestell bestand aus Backsteinen, die mit Brettern belegt waren. Darauf lag die Matratze. Der Boden war ebenfalls übersät mit Zeitungen und Prospekten. Das zweite Schlafzimmer musste meiner Tante gehört haben. Da kamen mir die Tränen. Das Bett: ebenfalls ungemacht, übersät mit Kleidung. Auf dem Boden lagen Kontoauszüge und Sterbebilder. Das Gebetbuch auf dem Nachttisch und das christliche Wandbild rührten uns sehr.

      Mir fiel auf, dass Karla nicht mehr bei uns war. Auch die Tochter von Charlotte fehlte. Uns reichte es auch und wir gingen wieder ins Erdgeschoss. Karla und Gerd standen vor den Garagen. Beim Blick zur Scheune sahen wir, wie die Sonne den Schnee zum Schmelzen brachte.

      Das Wasser lief aus der Dachrinne ab – wie ein Schwall aus einer Gießkanne.

      Die erste Garage, vermeintlich als Werkstatt gedacht, war ebenfalls zugemüllt. Werkzeuge und landwirtschaftliche Kleingeräte lagen darin kreuz und quer. In der zweiten Garage standen die beiden Traktoren. Ich fotografierte sie. In den ehemaligen Kuhstall schauten wir gar nicht erst hinein.

      Der Bürgermeister, der geduldig gewartet hatte, fragte, ob wir mit der Besichtigung fertig seien, dann könnten wir mit ihm zum Rathaus fahren, um Weiteres zu besprechen. Meine Tante verabschiedete sich, da sie keine Miterbin war. Gerd und ich fuhren, schweigend und betroffen von den Eindrücken des Hauses, zum Rathaus in den nächsten Ort.

       Kapitel 3

       Besprechung, Vorgehensweise

      Im Besprechungsraum des Rathauses standen schon Karla und der Bürgermeister und unterhielten sich. Ich hörte, dass die beiden sich duzten. Anscheinend kannten sie sich auch privat.

      Nachdem wir unsere Eindrücke von Haus und Hof noch einmal hatten Revue passieren lassen, fragten wir den Bürgermeister, wer sich um die Beerdigung gekümmert habe und wer das Grab pflege? Der Bürgermeister gab zurück: „Ich habe mich um die Beerdigung gekümmert. Ich hatte zu jenem Zeitpunkt keinen wirklichen Ansprechpartner. Um das Grab kümmert sich Karla.“

      Der Bürgermeister wandte sich nun den Unterlagen zu, die er die ganze Zeit in einem Ablagekorb unter dem Arm getragen hatte und die jetzt vor ihm lagen. Im Groben habe er alles sortiert und das Wichtigste dabei. Auf die Frage, woher er diese Unterlagen habe, antwortete er, der jüngste Bruder meines Vaters habe ihm diese übergeben. Ich dachte für mich, diesen Onkel muss ich anrufen, um ihn zu fragen, ob und wenn ja, wann er im Haus gewesen war.

      Einiges konnte der Bürgermeister kraft seines Amtes erledigen, klären und kündigen. Es bestand auch ein Konto, das als Erbenkonto weiterlaufen würde, denn es gab noch diverse Kontobewegungen.

      Der Bürgermeister sah zu Karla und rief schon fast erfreut: „Karla, du könntest doch alles an dich nehmen.“ Bevor ich meinen Einwand geben konnte, winkte Karla ab, sie habe ja das Erbe ausgeschlagen.

      Daraufhin erklärte Gerd dem Bürgermeister, dass dieser verpflichtet sei, sämtliche Unterlagen dem Amtsgericht zu übergeben. „Ja, Sie haben recht“, erwiderte er erleichtert, „dies werde ich nächste Woche erledigen.“

      Nachdem wir das Notwendigste besprochen hatten, bot der Bürgermeister an, auch weiterhin zu helfen. Wir verabschiedeten uns. Draußen wiederholte Karla noch einmal, dass es doch ein Testament geben müsste. Bevor ich etwas erwidern konnte, ergänzte sie: „Schließlich hat sich mein Vater (der älteste Bruder meines Vaters) mehr um Alois gekümmert als manch anderer.“ (Was, wie sich später herausstellen würde, nicht ganz der Wahrheit entsprach.)

      „Ach Karla, wenn wir schon einmal hier sind, könnten wir doch deinen Vater, meinen Onkel, besuchen. Wir haben jetzt nichts weiter vor.“ Ich kannte die Antwort fast schon, doch ich wollte Karla testen. „Ach nein, das ist im Moment ungünstig. Meinem Vater geht es nicht so gut. Ein Besuch würde


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