Die besten 12 Strand Krimis Juni 2021. A. F. Morland
Ansicht der Mediziner ist es offenbar geradezu eine Beleidigung ihres Berufsstandes, wie gesund ich bin.“
„Aber dein Schwächeanfall muss doch eine Ursache haben.“
„Der Ansicht waren die Ärzte auch. Wenn einer so gesund ist wie ich, muss er wohl krank sein. Deshalb haben sie immer schlauere Spielchen mit mir getrieben, doch meine Werte waren völlig normal.“
„Und woher kamen deine Beschwerden?“
Robert zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Vermutlich Überanstrengung. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.“
„Ich mache mir aber welche. Das weißt du doch.“
„Vielleicht werde ich morgen schon entlassen. Oder ich rücke bei Nacht und Nebel aus.“
„Das solltest du nicht tun. Warte lieber so lange, bis der Chefarzt dir grünes Licht gibt.“
„Ich habe das Gefühl, er sieht sich in meinem Fall überfordert“, sagte Robert. „Er hat sich‘s ein bisschen einfacher vorgestellt, und ich wette, er ist mit seinem Latein bald am Ende. Aber reden wir nicht mehr über mich. Was ist mit dir? Hast du einen neuen Fall?“
„Ja, seit gestern.“
„Etwas Interessantes?“
„Diebstahl und Erpressung.“
„Ja“, meinte er. „Das klingt sehr interessant.“
„Deshalb muss ich morgen auch nach Rom.“
„Rom?“, fragte Robert erstaunt. „Aber wieso?“
Katharina berichtete ihm, was sich in den vergangenen Stunden ereignet hatte. Zwanzig Minuten lang erzählte sie, ohne dass er sie ein einziges Mal unterbrach. Als sie fertig war, dachte er lange schweigend nach.
„Eine seltsame Geschichte“, war alles, was er schließlich dazu bemerkte. „Und wie du es erzählst, klingt es höchstens noch seltsamer.“
„Schon möglich“, gab Katharina zu. „Aber – wie denkst du darüber?“
„Du bist die Expertin.“
„Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?“
Robert nickte. „Alles. Trotzdem solltest du vorsichtig sein.“
„Das bin ich doch immer.“
„Am liebsten würde ich dich begleiten. Aber stattdessen liege ich hier herum und spiele Versuchskaninchen. Lange mache ich das nicht mehr mit. Wenn ich gesund bin, habe ich nicht das Recht, einem Kranken das Bett wegzunehmen.“
„Du bleibst hier“, sagte Katharina entschieden. „Denk ja nicht an eine Nacht- und-Nebel-Flucht, sonst lasse ich dich vom Chefarzt ans Bett fesseln.“
„He, das hört sich nach einer handfesten Verschwörung an“, gab er störrisch zurück.
In diesem Moment wurde die Tür geöffnet, und ein Arzt betrat das Zimmer. Er mochte so um die vierzig Jahre alt sein, hatte schwarze, dichte Haare, eine schmale Nase und braune Augen.
„Aha, Doktor Hulke“, sagte Robert.
Der Mann schloss die Tür hinter sich, kam auf die beiden zu und gab Katharina die Hand. „Frau Ledermacher, nehme ich an?“
„Ja, stimmt. Woher …“
„Er spricht von niemand anderen, seit er hier ist. Sie müssen etwas ganz Besonderes sein.“
„Das ist sie auch“, bestätigte Robert. „Wie sieht es denn nun aus? Haben Sie alle Ihre Geräte an mir ausprobiert?“
„Wie fühlen Sie sich heute, Herr Tillmann?“, fragte Doktor Hulke.
„Großartig“, antwortete er. „Das gefällt Ihnen nicht, wie?“
„Sie sind nicht hier, weil es Ihnen noch nie besser ging“, sagte der Arzt, „sondern weil Sie irgendeinen Krankheitsherd in sich haben.“
„Den Sie nicht finden können.“
„Sie müssen bedenken, dass wir uns die größte Mühe geben.“
„Ich bin für Sie und Ihre Kollegen ein medizinisches Rätsel, nicht wahr?“
„Nun, ich gestehe, es würde mir besser gefallen, wenn ich wüsste, woher ihr merkwürdiger Zustand kommt. Die Symptome sind uns fremd. Das erschwert natürlich die Diagnose. Organisch scheinen Sie völlig in Ordnung zu sein. Als dieser Anfall kam, hatten Sie da Schmerzen?“
„Nein.“
„Und dieser Blackout kündigte sich auch nicht irgendwie an?“
„Nein, er kam ganz plötzlich.“
Nachdenklich massierte der Arzt sein Kinn. „Merkwürdig. Höchst merkwürdig.“
„Wie geht es nun weiter?“, wollte Robert wissen.
„Mein Ehrgeiz lässt nicht zu, dass ich aufgebe“, beharrte Doktor Hulke. „Wir werden einige Tests wiederholen. Heutzutage ist der Körper eines Menschen kein Geheimnis mehr für uns Mediziner. Wir können in die Patienten hineinsehen, ohne sie aufschneiden zu müssen.“
„Ich bin froh, dass ich in diesem Jahrhundert lebe“, erwiderte Robert grinsend.
„Ich schlage vor, dass Sie für den Rest der Woche zur Beobachtung dableiben.“
„Was versprechen Sie sich davon?“
„Vielleicht haben wir Glück, und Sie kriegen diesen Blackout bei uns wieder. Unter Umständen können wir dann herausfinden, wodurch er ausgelöst wurde.“
„Aber Sie sind sich nicht sicher.“
„In Ihrem Fall befinden wir uns auf medizinischem Neuland, Herr Tillmann. Wir haben keine Erfahrungswerte, auf die wir zurückgreifen können. Wie gesagt, wir können die Tests nur wiederholen und auf ein positives Ergebnis hoffen.“
Robert schüttelte den Kopf. „Ich werde nicht zur Beobachtung hierbleiben, Doktor“, sagte er entschieden.
„Sie nehmen uns die Möglichkeit, doch noch darauf zu kommen, was Ihnen fehlt“, sagte der Arzt sichtlich enttäuscht. „Ich kann Sie natürlich nicht zurückhalten. Wenn Sie gehen wollen, muss ich Sie gehen lassen. Aber das würde ich mir an Ihrer Stelle noch einmal reiflich überlegen. Stellen Sie sich vor, Sie fahren mit Ihrem Wagen, und dieses Unwohlsein überkommt Sie. Damit gefährden Sie nicht nur Ihr eigenes Leben, sondern unter Umständen auch das anderer Menschen.“
„Trotzdem werde ich nicht zur Beobachtung hierbleiben“, wiederholte Robert.
Doktor Hulke zuckte mit den Schultern. „Sie müssen wissen, was Sie tun“, sagte er ernst.
„Wenn es mir besser passt, stelle ich mich Ihnen und Ihrem Team gerne noch einmal zur Verfügung.“
Doktor Hulke gab sich damit zufrieden. Er verabschiedete sich und verließ aus Zimmer. Kaum hatte er die Tür hinter sich geschlossen, sprang Robert aus dem Bett. Katharina sah ihn mit großen Augen an.
„Hältst du wirklich für eine gute Idee?“, fragte sie.
„Natürlich, du hast es doch gehört. Doktor Hulke hat mir bescheinigt, dass es keinen gesünderen Menschen als mich gibt. Das heißt, dass ich wieder nach Hause kann.“
„Aber dieser Blackout …“
„Vielleicht kehrt er nie mehr wieder.“
Er öffnete den Schrank und zog sich an. Wenige Minuten später verließen sie das Krankenhaus.
„Versprich mir trotzdem, dass du während meiner Abwesenheit vorsichtig bist“, sagte Katharina, während sie in den Wagen stieg.
„Natürlich bin ich das. Du kennst mich doch.“