Zentrale Aspekte der Alten Kirchengeschichte. Johannes Hofmann

Zentrale Aspekte der Alten Kirchengeschichte - Johannes Hofmann


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die neutestamentlichen Quellen einmütig bezeugen, hat das einen unverzichtbaren Grund: Der schmählich hingerichtete Jesus ist auferstanden. Er erscheint Einzelnen sowie kleineren und größeren Gruppen seiner Anhänger und beauftragt sie zur Fortsetzung seines Erlösungswerks: zum Festhalten an seiner Gemeinde und zur weltweiten Ausbreitung seiner Frohen Botschaft. Aufgrund der Eigenart, Spärlichkeit und Zufälligkeit weiterer Zeugnisse, die sich aus den Schriften des Neuen Testaments (z.B. 1 Kor 15,3-8; Mk 16,1-8; Mt 28,1-20; Lk 24,1-53 u.a.), aus frühchristlichen Werken (z.B. Tertullian, Petrus-Evangelium) und aus außerchristlichen Jesuszeugnissen (z.B. Tacitus, Flavius Josephus, Sueton und Plinius der Jüngere) erschließen lassen, kann man den Ablauf der Osterereignisse kaum widerspruchsfrei rekonstruieren. Wenn sich die dialektisch-kerygmatische Theologie in dieser Frage allerdings mit dem Osterglauben der Jünger zufriedengibt, dann greift ihr theologischer Ansatz zu kurz. Mit Dassmann ist vielmehr zu fragen, „wie die Jünger und ersten Anhänger Jesu [denn] zum Osterglauben gekommen sind. Das Faktum des Osterglaubens fordert doch einen Grund; und erst von der Tragfähigkeit dieses Grundes hängt es ab, wie belangvoll und verpflichtend der Osterglaube der Jünger ist“1. Tatsache ist, dass der auferstandene Jesus unter seinen Anhängern einen gemeindestiftenden Impuls auslöst, dessen Wirkung bis heute in der Kirche wahrnehmbar ist.

      Abb. 1 Im 6. Jahrhundert entstandenes Mosaik in der Basilika S. Appollinare Nuovo zu Ravenna mit dem Engel, der den Frauen am leeren Grab die Auferstehung Jesu verkündet.

      Wie sieht diese von Jesus gewollte Urkirche aus? Festzuhalten ist zunächst der Befund Hengels, „daß im Vergleich mit anderen Bereichen und Epochen der antiken Geschichte […] die Quellenlage für die ersten Jahrzehnte des Urchristentums, von Johannes dem Täufer bis zur Neronischen Verfolgung oder bis zum Ausbruch des jüdischen Krieges [66 n. Chr.], im Grunde so schlecht garnicht ist“2. Denn in den Büchern des Neuen Testaments findet sich neben „den Evangelien, der Apostelgeschichte und den echten und sekundären Paulusbriefen […] eine Fülle anderer, meist pseudepigraphischer Schriften aus der Zeit etwa zwischen 70 und 110 n. Chr., aus denen sich Rückschlüße auf die ‚Gründerzeit‘ ziehen lassen; hinzu kommen [frühchristliche] Nachrichten bei Papias, Hegesipp und Euseb sowie Notizen [nichtchristlicher Herkunft] bei Josephus, Tacitus, Sueton, dem jüngeren Plinius und aus der rabbinischen Tradition“3. Darüber hinaus liefern Befunde aus der jüdischen und hellenistischen Umwelt, geschöpft aus den Funden von Qumran (vgl. Abb. 2), aus den gnostischen Texten von Nag Hammadi und zahlreichen anderweitigen Inschriften und Papyri, ergänzende Hilfsmittel zur historischen Rekonstruktion. Freilich ist bei der Interpretation der neutestamentlichen Quellen zu berücksichtigen, dass sich ihre Verfasser zwar als „Geschichtsschreiber“ oder besser als „Geschichtserzähler“ verstehen, dass sie ihre Nachrichten aber in erster Linie in den Dienst der Christus-Verkündigung stellen und sie daher sprachlich und erzählerisch entsprechend formen.

      Abb. 2 Fragment der Damaskusrolle, einer der in Qumran aufgefundenen Schriften.

      Zunächst bezeugen die geographischen Angaben des Neuen Testaments, dass die ersten Christen nicht nur Mitglieder der Jerusalemer Urgemeinde sind. Mehrere geographisch voneinander unterschiedene Gemeinden haben vielmehr in den vier Evangelien ihre jeweilige lokale Jesus-Überlieferung festgehalten. So erscheint der Auferstandene den Jüngern z.B. nicht nur in Jerusalem, sondern auch in Galiläa. „Solche Ortsangaben in alten biblischen Erzählungen sind bisweilen ein Signal dafür, daß es an diesem Ort schon früh eine Gemeinde gab, die die Jesus-Erinnerung dieses Textes“4 aufbewahrt hat.

      Sekte der Nazoräer nennen die jüdischen Gegner laut Apg 24,5 die Anhänger des Jesus von Nazaret, die sich unter seinem Namen in Jerusalem zusammenschließen. Als „ἐκκλησία“, als Versammlung des von Jesus herausgerufenen endzeitlichen Gottesvolks bezeichnen sich die ersten Judenchristen selbst. Sie verstehen sich also nicht als Juden, die nur die Überzeugung von Jesus, dem Messias, miteinander teilen. Ihre Überzeugung führt sie vielmehr regelmäßig zu religiösen Versammlungen zusammen und macht sie so zur Gemeinde Jesu, zur Kirche, wie man im Deutschen sagt.

      Diese Überzeugung beruht auf der Erfahrung, dass der Gekreuzigte auferstanden ist und lebt. Sie greift nach und nach um sich (vgl. 1 Kor 15) und entwickelt sich „zum Angelpunkt der apostolischen Verkündigung“5. Bestätigt und vertieft wird sie den Jerusalemer Urautoritäten der Zwölf durch die Geistausgießung, die als ein „von der ganzen urchristlichen Überlieferung bezeugte[s] Faktum“6 zu betrachten ist. Seither predigen die Zwölf, dass der Auferstandene mit dem irdischen Jesus von Nazaret identisch ist, und dass deshalb alles, was Er vor seinem Sterben in Wort und Tat gelehrt hat, Gültigkeit und Heilsmächtigkeit besitzt. Denn Gott hat schon durch den irdischen Jesus Macht- und Wunderzeichen gewirkt, Gott selbst hat Ihn auferweckt, kurz: Jesus ist der verheißene Messias. In der urchristlichen Predigt legt man Jesus daher schon bald den Christus-Titel, das griechische Synonym für Messias, bei. „Die Apostel predigen das Evangelium ‚von Jesus Christus‘ ([Apg] 5,42), ‚Jesus Christus‘ ist es, der durch die Apostel heilt (9,34). [Und] weil Jesus der Messias ist, heißt er auch der Kyrios, [der Herr], zu dem Gott selbst ihn gemacht hat (2,36); er gehört daher an die Seite Gottes und man kann ihm den Kyriostitel mit der gleichen Selbstverständlichkeit geben wie Gott selbst (1,21; 7,59; 9,1.10ff.42; 11,17).“7

      Unter dieser Voraussetzung liegt es auf einer Linie, wenn sich die Urgemeinde auch im Gebet an den Kyrios wendet, sodass schon Paulus in 1 Kor 16,22 eines dieser Urgebete überliefert: „Marana tha (Herr, komme).“ Damit macht sich zugleich ein entscheidendes Element des urchristlichen Kerygma bemerkbar: das in orthodoxen jüdischen Ohren gotteslästerlich klingende Bekenntnis, dass Jesus mit Gott identisch ist. Der Scheideweg zwischen Judentum und Christentum zeichnet sich hier ab, wenn davor auch noch eine längere gemeinsame Wegstrecke liegt.

       1.2 Das Urchristentum im Judentum

       1.2.1 Die pluralistische Gestalt des Judentums und die ersten Christen

      Zweifellos hält man das Christentum zunächst für eine der vielen Sekten, Gruppierungen oder Bewegungen des Judentums. Denn innerhalb des Judentums ist man schon lange religiöse Vielfalt gewohnt. So bestehen beispielsweise erhebliche Gegensätze zwischen den Pharisäern und den Sadduzäern. Die Pharisäer bilden jene Gruppierung, die sich – in Abgrenzung zur römischen Oberherrschaft – am stärksten um die Aufrechterhaltung des theokratisch konstituierten Charakters der jüdischen Volksgemeinschaft bemüht und daher hellenistisch-heidnische Einflüsse konsequent abwehrt. Sie halten sich streng an das mosaische Gesetz (die fünf Bücher des Mose) sowie an die für sie normstiftende schriftgelehrte Auslegungstradition desselben. Selbstverständlich ist ihnen auch der Glaube an die Auferstehung der Toten und an die Engel.

      Die zumeist führenden priesterlichen Aristokratengeschlechtern angehörenden Sadduzäer lassen dagegen nur das mosaische Gesetz gelten und fühlen sich nicht an die schriftgelehrte Überlieferung gebunden. Folglich verwerfen sie z.B. den Glauben an die Auferstehung, da sich diese Lehre erst in den verhältnismäßig jungen Büchern des Alten Testaments findet und daher für sie nicht verbindlich ist.8

      Zu erwähnen ist schließlich die Gruppe der Zeloten oder Eiferer. Sie wollen dem Gesetz in Treue, aber in einer betont kämpferischen, martyriumsbereiten Haltung dienen, die alles Heidnische aggressiv zurückweist. Sie lehnen es ab, dem römischen


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