Zentrale Aspekte der Alten Kirchengeschichte. Johannes Hofmann

Zentrale Aspekte der Alten Kirchengeschichte - Johannes Hofmann


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in diesem Fall zu einem heiligen Krieg verpflichte.

      In diesem pluralistischen jüdischen Milieu, das in Wirklichkeit noch viel bunter war, wurzelt das junge Christentum. Folglich finden auch Vertreter der aufgezählten Gruppierungen den Weg zur christlichen Gemeinde. Als prominenter Pharisäer kann z.B. Paulus namhaft gemacht werden. Gläubig gewordene Mitglieder der sadduzäischen Priesterklasse werden in Apg 6,7 genannt. Unter den Zeloten zählt schließlich Simon der Zelot bereits in vorösterlicher Zeit zu den von Jesus erwählten Zwölf.

      Angesichts dieser Phänomenologie des zeitgenössischen Judentums stellen die ersten christlichen Gemeinden eine Gruppierung unter vielen dar. Sie sind zunächst nichts Besonderes in ihrer jüdischen Volksgemeinschaft. Sie glauben an den einen Gott Israels, ihre heiligen Schriften sind die der Juden, der Jerusalemer Tempelkult ist der ihre und ebenso folgen sie dem mosaischen Gesetz. Sogar die wichtigsten Elemente des am Sabbat üblichen Synagogengottesdienstes, die Psalmen, Schriftlesungen, ihre Auslegung und entsprechende Gebete, bewahren sie in ihren gottesdienstlichen Versammlungen. Selbst die endzeitliche Ausrichtung der frühen Christen hat nichts Einmaliges an sich und findet Parallelen im zeitgenössischen Judentum. So hätten die frühchristlichen Gemeinden innerhalb des Judentums das bleiben können, wofür man sie zunächst hielt: die Sekte der Nazoräer.

      Freilich löst Jesus von Nazaret innerhalb des Judentums eine eigene Dynamik aus. Zwar halten die Nazoräer am jüdischen Monotheismus fest, identifizieren aber auch Jesus mit Gott. Ebenso ist die Heilige Schrift der Juden die ihre, aber sie legen sie auf Jesus Christus hin aus. In gleicher Weise strukturieren sie den Ablauf ihrer Gottesdienste nach jüdischem Vorbild, aber ihr heiliger Tag ist nicht der Sabbat, sondern der erste Tag der Woche, der Sonntag (vgl. Apg 20,7). Schließlich ist auch ihre endzeitliche Ausrichtung schon festgelegt. Man erwartet nicht eine nach traditionellen Vorstellungen beschriebene Messiasgestalt, sondern hat in Jesus von Nazaret den Messias bereits gefunden. Hinzu kommt die Lehre dieses Jesus, die die Geister scheidet. Eine Neuerung ist auch die Taufe auf den Namen des Herrn Jesus als Aufnahmeritus in ihre Gemeinschaft (vgl. Apg 19,5). Vor allem brechen die ersten Christen am ersten Tag der Woche in ihren Häusern das Brot als eucharistische Vergegenwärtigung der rettenden Tat Gottes an Jesus Christus und vollziehen dieses Gedächtnismahl unter Ausschluss aller nicht Getauften.

      So unterscheiden sich die ersten Christen schon deutlich vom zeitgenössischen Judentum. Dennoch fühlen sie sich im Judentum beheimatet und begreifen sich als endzeitliches Ereignis innerhalb des Volkes Israel. In der jungen Kirche – so ist man überzeugt – hat das auf die endzeitliche Vollendung ganz Israels ausgerichtete Wirken Gottes bereits begonnen. Folglich versteht man sich als neues Israel, als den von Gott schon hergestellten Kern seines Volks, um den sich künftig ganz Israel sammeln sollte, indem es den neuen Weg Jesu annehmen und zum Glauben an Ihn kommen werde. Die junge Gemeinde sieht sich daher zunächst zu den Söhnen und Töchtern Israels gesandt. Die Weigerung Israels, den Jesusglauben anzunehmen, führt dann aber zur Heidenmission.

      „Theodotos, [Sohn] des Vettenos, Priester und Archisynagogos, Sohn eines Archisynagogos, Enkel eines Archisynagogos, renovierte die Synagoge zum Lesen des Gesetzes und Lehren der Gebote, und das Gästehaus und die Nebenräume und die Wasserinstallationen zur Herberge für diejenigen aus der Fremde, die [sie] benötigen. Sie [die Synagoge] haben begründet seine Väter und die Presbyter und Simonides.“

      Abb. 3 Die 1913 in Jerusalem aufgefundene Theodotus-Inschrift (hier mit Übersetzung) bezeugt für das Jerusalem des 1. Jahrhunderts eine hellenistische Synagogengemeinde und ihre Presbyter.

      Im Judentum lassen sich aber nicht nur verschiedene religiöse Gruppierungen wie Pharisäer und Sadduzäer voneinander unterscheiden. Die Existenz von jüdischen Diasporagemeinden in allen größeren Städten des Mittelmeerraums (z.B. in Alexandrien oder Rom) bringt auch eine sprachlich-kulturelle Scheidung zwischen den bodenständigen, aramäisch sprechenden Juden Palästinas und den vom griechisch-hellenistischen Milieu geprägten Juden des Mittelmeerraums mit sich. Daher existieren bereits im Jerusalem des ersten nachchristlichen Jahrhunderts aramäischsprachige, traditionell-palästinische und griechischsprachige, hellenistisch beeinflusste Synagogengemeinden (vgl. Abb. 3). Letztere rekrutieren sich aus zurückgewanderten Diaspora-Juden und pflegen – im Vergleich zu ihren aramäischsprachigen Glaubensbrüdern – ein weniger intensives religiöses Verhältnis zum Land Israel, zum Tempel, Kult und Gesetz.

       1.2.2 Sprachlich-kulturelle Gruppierungen im Urchristentum

      Die Botschaft des Auferstandenen fasst in beiden sprachlich-kulturellen Gruppen des Judentums Fuß. Sowohl traditionsbewusste Juden aramäischer Sprache, als auch hellenistisch geprägte Diaspora-Juden griechischer Sprache werden Mitglieder der Jerusalemer Urgemeinde. Die Apostelgeschichte nennt die beiden Gruppen Hebräer und Hellenisten (vgl. Apg 6,1) und legt die Vermutung nahe, dass die beiden christlichen Teilgemeinden wegen der Sprachbarriere im Gottesdienst getrennt, in der karitativen Arbeit aber gemeinsam gehandelt haben. In diesem Sinn berichtet Apg 6,1-6 von einem Streit, der zwischen beiden Gruppen wegen der mangelhaften Versorgung der hellenistischen Witwen ausgebrochen und durch die Bestellung von sieben Männern behoben worden war.9 Diese Sieben übernehmen fortan den „Dienst an den Tischen“, während die zwölf Apostel nunmehr ungehindert den „Dienst am Wort“ wahrnehmen. Freilich ist von Stephanus und Philippus, den beiden Spitzenvertretern des Sieben-Männer-Kollegiums, bekannt, dass sie nicht nur „Armenpfleger“ der Jerusalemer Gemeinde, sondern auch verkündigende „Diener des Wortes“ sind. So dürften die Sieben – zumal sie durchwegs griechische Namen tragen – wohl Leitungsfunktionen im hellenistischen Teil der Jerusalemer Gemeinde ausgeübt haben.

      Folgenschwer ist der heftige Konflikt der christlichen Hellenisten mit der griechischsprachigen Synagoge Jerusalems. Ein Ausschnitt dieses Streits spiegelt sich in der Stephanusgeschichte wider (Apg 6,8-7,60). Demnach dürfte die deutlich offenere und traditionskritischere Sicht der christlichen Hellenisten den Streit ausgelöst haben. Offensichtlich betonen sie besonders jene tempel- und gesetzeskritische Linie der Predigt Jesu, mit der sich schon Er den Hass pharisäischer und sadduzäischer Kreise zugezogen hatte. Wird Stephanus doch von den Zeugen und der jüdischen Behörde der Lästerung Gottes, Moses, des Tempels und des Gesetzes beschuldigt, ja, sogar der Absicht, unter Berufung auf Jesus den Tempel und das Gesetz abschaffen zu wollen (Apg 6,11-14; 7,48.53). Mit dieser wohl auch von anderen Hellenisten gepredigten Relativierung des Tempels und des Gesetzes überschreitet Stephanus aber die Grenze des von der Synagogendisziplin Zugelassenen. Die Behörde greift ein, er wird gesteinigt und die hellenistischen Christen sind nach seinem Martyrium um 31/32 gezwungen, als jüdische Ketzer aus der Stadt zu fliehen.10 Daraus ergibt sich als Konsequenz, dass die beiden sprachlich-kulturellen Gruppierungen der Jerusalemer Urgemeinde nun auch räumlich voneinander getrennt sind, da nur die Hebräer in der Stadt verbleiben können. Schon an ihrem unterschiedlichen Schicksal wird deutlich, wie stark sich die beiden Gruppen theologisch voneinander unterschieden haben. Denn die Hebräer bieten der jüdischen Behörde offensichtlich keinen Anlass zum Einschreiten. Sie verkündigen Jesus als einen Messias, der – wie z.B. Mt 5,17-19 bezeugt – das Gesetz bis ins Detail zu halten lehrt. Während sich die geflohenen Hellenisten aufgrund ihrer in der Diaspora geformten Biographie aber immer mehr von einem lokal gebundenen religiösen Brauchtum lösen, verbinden die Hebräer ihren Jesusglauben weiterhin mit jüdischer Observanz. Freilich bleiben auch ihnen – vor allem wegen der im Judentum seit der Mitte des 1. Jahrhunderts wachsenden religiös-politischen Aufstandsstimmung gegen die Römer – Spannungen mit ihrer jüdischen Umwelt nicht erspart. Denn ihre auf Jesus und sein messianisches Verständnis zurückgehende friedliche Haltung gegenüber der römischen Staatsmacht reißt – neben den religiösen Differenzen – zwischen den christlichen Hebräern


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