3:2 - Deutschland ist Weltmeister. Fritz Walter

3:2 - Deutschland ist Weltmeister - Fritz Walter


Скачать книгу

      Dass ich diese Worte über Fritz Walter sagen und schreiben darf, ist mir eine Ehre. Es liegt sicher nicht nur daran, dass ich mittlerweile der einzige noch Lebende der deutschen und ungarischen Spieler aus dem Endspiel vom 4. Juli 1954 in Bern bin, sondern es beschreibt auch unser eigenes Verhältnis. Als ich 1949 aus dem kleinen Vogelbach, wo ich immer noch mit meiner wunderbaren Frau Hannelore lebe, nach Kaiserslautern kam, um die große Welt des Fußballs zu erleben, da war ich 17. Und der große Fritz war 29. Und er hat mich an die Hand genommen – eigentlich von da an bis zu seinem Lebensende.

      Mit 88 Jahren blicke ich auf ein glückliches Leben zurück, mit meiner Frau, unseren Töchtern Susanne und Dagmar. Dagmar hat vor einigen Jahren die Horst-Eckel-Stiftung gegründet, unter dem Dach des Deutschen Fußball-Bundes. Ich hatte da anfänglich meine Probleme, aber längst bin ich stolz darauf und dankbar dafür, wie klug meine Tochter in meinem Geiste diese Arbeit leistet, die jungen Menschen dienen soll. Dass ich 213 Spiele (mit 64 Toren) für meinen FCK machen durfte, 1951 und 1953 Deutscher Meister wurde, 32 Länderspiele erleben konnte und 1954 Weltmeister wurde, das ist so sehr ein Teil meines Lebens wie auch die Tatsache, dass ich bei Pfaff den Beruf des Mechanikers lernte, um Anfang der 1970er Jahre noch den Sprung zu wagen, in Trier ein Sportlehrer-Studium zu absolvieren. Es hat mich als Lehrer an die Realschule nach Kusel gebracht. Alles ist gut: die Familie, der Beruf, der Fußball, mein Leben.

      Im April 2014 war ich zusammen mit Jenö Buzanszky, dem rechten Verteidiger der ungarischen Mannschaft von 1954 im »Hotel Belvédère« in Spiez am Thuner See. Dort waren wir deutsche Spieler 1954 im Quartier gewesen. 60 Jahre nach dem Spiel, dass vieles so sehr verändert hat, das die Ungarn, die Unschlagbaren dieser Jahre, in eine tiefe Depression trieb und uns Deutschen so viel Aufschwung gab, der weit über den Fußball hinaus wirkte. Mit Buzanszky hatte ich damals schon eine intensive Freundschaft, die bis zu seinem Tod im Jahre 2015 Bestand hatte. Er war damals der letzte der ungarischen Mannschaft, der noch lebte. Und wir wussten, dass auch unsere soziale Herkunft, er war Bergarbeiter im ungarischen Dorög, ich Mechaniker in der Pfalz, so etwas wie eine Klammer in unserer Verbindung war. In Spiez sprachen wir damals auch über unsere beiden Kapitäne: Ferenc Puskas, der ungarische, Fritz Walter, der deutsche. Beide waren sie Weltklassespieler in dieser Zeit, Puskas, der Weltenbürger, der seine großen Jahre bei Real Madrid noch erleben sollte, und Fritz Walter, der nichts mehr liebte als seine Pfalz, seinen FCK, seine Frau Italia.

images

       Freunde fürs Leben: Horst Eckel (rechts) und der ungarische Verteidiger Jenö Buzanszky bei einem Treffen 60 Jahre nach dem Finale von 1954.

      »Puskas war wie ein Feldherr auf dem Platz. Er herrschte und führte – und er duldete keinen Widerspruch. Und verlieren konnte er überhaupt nicht. Aber er war genial und ohne ihn waren wir nur die Hälfte wert.« Buzanszky musste lachen bei der Beschreibung seines Mitspielers. Es war als würde er sechs Jahrzehnte alles zurückdrehen und noch einmal daran erinnern wollen, wie es im Juli 1954 in Bern war. Puskas konnte nicht verlieren, aber Ungarn verlor. Mehr als nur ein Spiel. Würde, Unantastbarkeit auf dem grünen Rasen, es war mehr geschehen als ein 3:2.

      Fritz Walter war das Gegenteil. Er herrschte nicht auf dem Platz, er überzeugte mit seiner Spielkunst, die die anderen in der Mannschaft ansteckte. Er war sensibel und manchmal musste er aus einem Tief herausgeholt werden, etwa von seinem Bruder Ottmar. Fritz und Puskas, das waren zwei Welten. Was sie miteinander verband, das war allein die Kunst des Spiels.

      Als ich nach Kaiserslautern kam, da hatte ich weiche Knie und ein beklemmendes Gefühl vor der ersten Begegnung mit Fritz Walter und all den anderen, die ich aus der Ferne bewundert hatte. Es dauerte einen Tag, ein Training und da wusste ich, dass sie mich nicht danach bewerteten, woher ich kam und wer ich war, sondern allein daran, ob ich Fußball spielen konnte. In Vogelbach war ich ein Torjäger, davon hatten sie beim FCK schon eine Menge. So rutschte ich nach hinten, musste mich anstellen auf dem Weg nach vorne. Außenläufer wurde ich und was war das für ein Glück für mich. Ein Außenläufer aus Vogelbach wurde Fußball-Weltmeister.

      Ich habe oft, auch mit meiner Familie, darüber gesprochen, was ich alles Fritz Walter zu verdanken habe. Wie oft wohl hat er bei Richard Schneider, unserem FCK-Trainer, und dann bei Bundestrainer Sepp Herberger ein gutes Wort für mich eingelegt. Wäre ich ohne ihn überhaupt Nationalspieler geworden? Hätten mein Fleiß, meine Begabung ohne Fritz ausgereicht? Über die Antwort ist die Zeit längst hinweggegangen und der Fritz hätte diese Frage ohnehin abgetan mit der Bemerkung »Alles was Du erreicht hast, das hast Du Dir allein zu verdanken.« Und schmunzelnd hätte er hinzugefügt, dass es gut war, wenn ich genau hingesehen habe, wie er, der Fritz, und die anderen, der Ottmar, der Liebrich und der Kohlmeyer und alle die Großen beim FCK es gemacht haben.

      1958 habe ich mit Fritz Walter auch noch die Weltmeisterschaft in Schweden gespielt, wo wir Vierter wurden. Und wieder war da ein Siebzehnjähriger, der die Welt des Fußballs verzaubern sollte: Edson Arantes do Nascimento, den die Fußballwelt Pelé nannte und zu ihrem Allergrößten kürte. Auch er wurde ein Freund von Fritz Walter und auch ich habe ihn kennengelernt.

      Für die Egidius-Braun-Stiftung durfte ich dem Fritz folgen, um in Justizvollzugsanstalten zu gehen, und mit den Menschen dort zu sprechen. Ich wusste, wie wichtig dem Fritz die Begegnungen dort waren. Und natürlich wurde ich ein Teil der »Fritz-Walter-Stiftung«. Alles, was von ihm ausging, habe ich als junger Fußballer aufgesogen, später konnte ich ein Teil seines Erbes werden. Es war alles vollkommen und ist es immer noch.

      Die gut 26 Kilometer von Vogelbach bin ich damals oft genug mit dem Fahrrad gefahren. Das war ein Teil meines Trainings. Es hat sich alles gelohnt. Ich kam zum FCK und zu Fritz Walter. Ich weiß nicht, ob es das heute noch gibt, dass ein Mitspieler zugleich das Idol sein kann. Womöglich hatten wir damals weniger Auswahl. Aber es genügte, dass Fritz Walter da war. Ich habe ihn als Spieler und als Mensch verehrt. Keine Begegnung mit ihm möchte ich missen.

       Vogelbach, im Frühsommer 2020

image

      WIR SETZEN UNS DURCH

      »Schalt’ dein Kofferradio ein, Fritz, ich kann nicht schlafen!«

      Hellwach taste ich nach dem Knopf; auch ich habe noch kein Auge zugetan. Dabei ist es vier Uhr früh. Aber was für ein Tag liegt hinter uns! Ein Tag, der uns das Unwahrscheinlichste, das nie Erwartete gebracht hat – die Fußball-Weltmeisterschaft.

      Irgendein Sender überträgt noch Tanzmusik.

      Helmut Rahn, der seit Wochen im Spiezer Hotel »Belvédère« Zimmer Nr. 303 mit mir teilt, dreht sich mit einem Ruck zu mir hin:

      »Mensch, Fritz, ich kann und kann es einfach nicht glauben! Weißt du noch, mit welchem Bammel wir in die Schweiz gefahren sind?«

      »Du wirst sehen, morgen stellt sich heraus, dass wir alles bloß geträumt haben!«

      »Aber ich bin doch hellwach!« schreit Helmut so laut, dass ich erschrocken hochfahre. Mit beiden Beinen strampelt er seine Decke weg, springt aus dem Bett, schlägt einen Salto und liegt auch schon wieder in den Federn.

      »Siehst du, ich träum’ doch nicht, Fritz! Wir haben wirklich die Ungarn weggeputzt!«

      Schade – jetzt ist Schluss mit der Tanzmusik. Auf meinem Apparat bring’ ich nichts mehr her. Es ist sechs Uhr morgens.

      »Vielleicht können wir doch noch ein bisschen schlafen«, gähne ich, und tatsächlich fallen uns vor Übermüdung die Augen zu. Plötzlich bin ich wieder wach. Ich greife nach der Uhr. Es ist sieben. Auch der stabile Helmut Rahn starrt schon wieder die Decke an. Vergeblich versuchen wir eine Viertelstunde lang, nochmals einzuschlafen. Es ist aussichtslos.

      »Sieh mal raus, was für Wetter ist! Am besten machen wir einen Kopfsprung in den Thuner See.«

      »Nichts zu wollen, Fritz draußen ist es trostlos!« Und weil der »Boss«, wie Helmut Rahn bei uns heißt, nun schon auf


Скачать книгу