Die katholische Kirche und die Medien. Wolfgang Beck
zentralen Thesen deutlich, die er inspiriert durch den Theologen Pierre Teilhard de Chardin49 entwickelt: 1. Medien sind Körperausweitungen, 2. Wir leben in einem globalen Dorf, 3. Das Medium ist die Botschaft.50 Gerade die dritte These (und der wohl am häufigsten zitierte Satz McLuhans) bedarf der weitergehenden Beschäftigung, um nicht missverstanden zu werden: Medium und Botschaft sind untrennbar miteinander verbunden und aufeinander verwiesen.51
Die Identifikation von Medium und Botschaft kann also durchaus weiter gefasst werden.
Auch wenn hier keine ausführliche Darstellung der Theorien McLuhans52 und seiner Wirkung für die Medienwissenschaft vorgestellt werden kann, wird in den drei genannten Thesen Entscheidendes erkennbar: Die Arbeit mit Medien, insbesondere den modernen Medien des 20. und 21. Jahrhunderts, erweitert den Wirkradius menschlicher Kommunikation massiv und lässt erkennen, dass Medien immer Bestandteil menschlichen Lebens waren (und damit nicht nur sein Instrumentarium!). Indem moderne Medien den Wirkradius menschlichen Handelns erweitern und schrittweise ortsunabhängig zum Einsatz kommen, relativieren sich geographische Gegebenheiten und deren Beschränkungen. Die sich daraus ergebende Vervielfältigung menschlicher Gestaltungsmöglichkeiten geht jedoch einher mit den Eigengesetzlichkeiten der Medien und ihrer Wirkung sowohl auf ihre Nutzer_innen wie auch auf ihre Inhalte. Wie die Herausgeber_innen und Redakteur_innen von Zeitungen den Autor_innen hinsichtlich von Themenwahl, Umfang und inhaltlicher Ausrichtung der Artikel Vorgaben machen, so ergeben sich beim Buchdruck für die inhaltliche Gestaltung Vorgaben der Wirtschaftlichkeit (z. B. für den Umfang von Büchern oder deren Genre). Diese Spezifika von Medien steigern sich bei bildgebenden Formaten des Fernsehens und des Internets noch einmal beträchtlich.53 Zwar erscheint die dritte These McLuhans geradezu „mediendeterministisch“54, sie richtet dabei jedoch nur das medienwissenschaftliche Interesse am Medium und nicht am Inhalt aus. Es gibt also durchaus eine Reihe von Faktoren, die für Inhalte maßgeblich sind. Die Eigengesetzlichkeit der Medien selbst gehört dabei jedoch zu den sehr einflussreichen Größen gegenüber den Inhalten, die bis in die Gegenwart vielfach unterschätzt werden. Deshalb können die Ansätze McLuhans ihn als „Vordenker des digitalen Computerzeitalters“55 erscheinen lassen, was seine bleibende Bedeutung für die Medienwissenschaften und seine Wiederentdeckung im 21. Jahrhundert erklärt.
Gerade die religiöse Prägung McLuhans hat zu einer größeren Rezeption im Raum von Kirche und Theologie beigetragen und er wird vereinzelt als prägende Gestalt eines „katholischen Medienzeitalters“56 betrachtet.
Lässt sich McLuhan als eine der Gründungspersönlichkeiten moderner Medienwissenschaften betrachten, ergibt sich mit deren Entwicklung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine beachtliche Fülle an philosophischen Theorieansätzen.57 Sie sind eng verbunden mit soziologischen und philosophischen Theorien der Postmoderne, was insbesondere für die Diskursanalyse von Michel Foucault und die Dekonstruktion von Jaques Derrida bedeutsam ist. Sie gehen bei Frank Hartmann58 und Mike Sandbothe59 in die Entwicklung eigener Medienphilosophien über.
Neben McLuhan sei hier auf Vilém Flusser60 (1920–1991) verwiesen, der als Philosoph und Kommunikationswissenschaftler das Konzept einer „Kommunikologie“61 entwickelt hat.
Er entwirft einerseits (ähnlich wie auch McLuhan) eine Kulturgeschichte der Medien62 und knüpft an dessen „Epochenkonstruktion“63 an. Zentral ist dabei die (an die Thermodynamik angelehnte) Vorstellung der Entropie: Informationen zerfallen, werden vergessen und verschwinden. Hier wird eine häufig übersehene Funktion von Medien in der Speicherung von Informationen und in der Tradierung von Wissen sichtbar. Medien transportieren Informationen nicht nur über räumliche, sondern auch über zeitliche Distanzen hinweg. Indem Menschen mit Medien arbeiten, wirken sie den entropischen Prozessen des Verlustes von Information entgegen und setzen dem Verfall ordnende Systeme entgegen. Zentrale Elemente dieser Ordnungen sind kulturgeschichtlich variierende Codes, mit deren Hilfe Menschen Abstand zur Realität gewinnen, dadurch mit ihr umgehen können und sich dabei zugleich selbst finden. Was dies hinsichtlich der gegenwärtigen Epoche des „Technocodes“ für den Menschen und sein Selbstbild bedeutet, bleibt nach Flusser bislang noch offen. Flusser verspricht sich gerade durch die gesellschaftlichen Veränderungen aufgrund neuer Medien eine neue, „telematische“ Gesellschaftsstruktur. Von besonderer Bedeutung im Werk Vilém Flussers ist das Bild64, in dessen Zirkularität er ein Gegenüber zur Linearität der Schrift sieht65 und an dem er (in Anlehnung an die Phänomenologie Edmund Husserls) eine Kulturgeschichte der Wahrnehmung (Ästhetik) konzipiert.
Mit McLuhan und Flusser wird eine entscheidende Komponente der Medientheorien des 20. Jahrhunderts erkennbar: Medien sind nicht nur etwas, mit dem der Mensch zu tun hat und wozu er sich auf unterschiedliche Weise verhält. Sie sind weit mehr: Medien bestimmen ihrerseits menschliche Kommunikation, ja menschliches Leben überhaupt und sind nicht vom Menschsein zu lösen.
Eng verbunden mit der medialen Entwicklung des 20. Jahrhunderts und deren Analyse durch McLuhan ist die Rede vom „Iconic Turn“. Einerseits ist damit die zunehmende Ausrichtung von Medien auf Bilder in der Alltagskultur gemeint, die gerade bei Fernsehen und Internet zentral ist. Der „Iconic Turn“ umschreibt jedoch weitergehende Elemente in allen gesellschaftlichen Bereichen, wie ihre philosophische und kulturtheoretischen Reflexionen.66 Inwiefern diese verstärkte Hinwendung zum Bild auch durch die Dominanz von Fernsehen und Internet initiiert und vorangetrieben wird, lässt sich kaum nachweisen, aber annehmen. Den Kunsthistoriker und Philosophen Gottfried Boehm veranlasst die zu beobachtende Bilderflut jedoch, gerade von einer „Bilderfeindlichkeit der Medienindustrie“67 zu sprechen. Technische Ansätze, mit Internetbrillen den Umgang mit der digitalen Welt vor allem optisch zu ermöglichen, gewinnen als Fortführung des „Iconic Turn“ große Plausibilität. Erst mediale Präsenz erzeugt optische Vertrautheit und ermöglicht damit Prominenz.
2.1.2. Das Bild
Dass die katholische Kirche mit ihren Liturgien und weltkirchlichen Traditionen solch einer vom „Iconic Turn“ geprägten Medienlandschaft besonders gut entspricht, ist eine populäre Annahme.
Die kulturwissenschaftliche, philosophische und theologische Reflexion des Bildes und seiner Wahrnehmung erfolgt weitgehend in den Feldern von Ästhetik und Phänomenologie.68
Im Kontext der Medienentwicklung des 20. Jahrhunderts fällt auf, dass das Bild hier zunehmend die Funktionen der Bezeugungsinstanz69 und der Bindung von Aufmerksamkeit70 (etwa im Sinne phatischer Kommunikation) übernimmt – und darin hinter den eigentlichen Potenzialen der Bildmächtigkeit zurückbleibt. Gleichwohl steht solch eine Entwicklung auch einer ganzen kulturgeschichtlichen Reihe von „Pictorial Turns“71, in denen die eine eindeutige Abgrenzung von bildlichen und sprachlichen Elementen ebenso problematisch wäre wie eine eindeutige Bestimmung visueller Medien in der Moderne.
In einer Mediengesellschaft, in der die Bildmedien zu einer dominierenden Stellung gelangen,72 findet sich die katholische Kirche in einer ungewohnten und vieldimensionalen Situation wieder: Hochformen barocker Kirchengestaltung, eine ungebrochene Spiritualität der Ikonographie und eine sinnenfreudige Liturgie gehen hier mit einer ins Geheimnisvolle changierenden Intransparenz organisationaler Abläufe ein Gemenge ein, das Raum für Verschwörungstheorien und Vorlagen für fiktive Romane bietet. Ist die katholische Kirche damit tatsächlich eine ideale Medienreligion? Stimmt die Annahme, müsste sich damit ein großes Evangelisationspotenzial verbinden. Das ist jedoch kaum zu beobachten.
Dass sich eine Bild-Religion in einer auf Bilder ausgerichteten Mediengesellschaft erkennbar schwertut, ihre Rolle zu finden, könnte in einem Paradox begründet sein: Während die klassische ikonographische Bedeutung des Bildes darin liegt, Menschen in andere Welten und komplexe religiöse Wirklichkeiten zu führen, besteht die Funktion des Bildes in modernen Mediengesellschaften gerade in der Reduktion von Komplexität und der Steigerung von Verständlichkeit.
Die katholische Kirche vermag zwar nach wie vor, in der klassischen Logik des Bildes zu agieren. Sie ist aber durch die visuelle Praxis der Postmoderne herausgefordert, sich auf gesellschaftliche Mechanismen einzulassen, von denen ihre eigenen Mitglieder und verantwortlichen Akteur_innen