Dürnsteiner Himmelfahrt. Bernhard Görg

Dürnsteiner Himmelfahrt - Bernhard Görg


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kühl geworden war. »Auch sehr schwer zu sagen. Es sind Fälle bekannt, da haben Dinge, die Sie oder ich als nicht der Rede werte Kleinigkeiten betrachten würden, Menschen so aus der Bahn geworfen, dass sie keinen anderen Ausweg als den Tod gesehen haben. Da macht es keinen Unterschied, ob eine Plastik zehntausend oder fünfhunderttausend Euro wert ist.« Sie blickte den Landeshauptmann an. »Ich nehme aber nicht an, dass Sie das der Witwe so sagen wollen.«

      Der Landeshauptmann grinste. »Ich sehe, Sie verstehen meine Lage.«

      »Das Einzige, was wir tun können, ist mit Frau Haberl noch einmal zu reden. Damit geben wir ihr zumindest das Gefühl, dass Sie sich um ihren Verdacht gekümmert haben. Vielleicht kommt sie sogar selbst zu dem Schluss, die Ergebnisse der Gerichtsmedizin nicht weiter infrage stellen zu müssen.«

      Im Gesicht des Landeshauptmanns zeigte sich Erleichterung. Er stand auf. »Wenn es überhaupt noch eines Beweises bedurft hätte, dass Sie ein Fixstern auf dem kriminalistischen Firmament sind, dann haben Sie ihn jetzt geliefert. Ich bin Ihnen überaus verbunden. Wenn es Ihnen recht ist, dann rufe ich bei nächster Gelegenheit den Herrn Innenminister an, um ihm zu sagen, wie begeistert ich von Ihnen bin. Ich werde Frau Haberl gleich davon informieren, dass sich das beste Pferd im Stall der österreichischen Kriminalpolizei Ihres Falles annehmen wird.« Er beugte sich vor, um die Unterlagen, die zwischen den beiden Kaffeetassen lagen, aufzunehmen. »Da bitte. Gehört jetzt Ihnen. Lassen Sie sich ruhig etwas Zeit mit Ihren Ermittlungen. Ich bin nämlich ab dem Wochenende zwei Tage in Brüssel. Außerdem wirkt eine Untersuchung, die eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt, einfach gründlicher und seriöser.«

      Donnerstag, 23. Juni 14 Uhr 11

      Auf der Fahrt in ihr Büro gratulierte sie sich, bei ihrer Zusage an den Landeshauptmann, mit der Witwe zu reden, immer in der Wir-Form und nie in der Ich-Form gesprochen zu haben. Sie hatte nämlich wenig Lust, das Gespräch selbst zu führen. Das war ein klarer Fall für Spencer. Ihr Stellvertreter legte zwar manchmal einen erstaunlichen Mangel an Taktgefühl an den Tag, aber wenn es darauf ankam, konnte er sehr feinfühlig sein. Dass es diesmal darauf ankam, das würde sie ihm schon klarmachen. In den letzten Tagen war er irgendwie anders gewesen. Nicht nur, dass sein Hemd immer akkurat zugeknöpft gewesen war. Er schien es jetzt auch öfter zu wechseln. Die Krägen wirkten sauberer als bisher üblich. Wahrscheinlich hätte sie heute bei der täglichen Vormittagsbesprechung sogar eine entsprechende Bemerkung gemacht, wäre sie in der Früh wegen dieser völlig deplatzierten badezimmerlichen Gemeinheit ihres Mannes nicht in so schlechter Stimmung gewesen.

      Sie stutzte. Hätte es in St. Pölten den um diese Zeit bereits heftigen Nachmittagsverkehr nicht gegeben, dann hätte sie eine Hand vom Lenkrad genommen und sich damit auf die Stirn geschlagen. Wieso war sie nicht schon früher draufgekommen? Wo war nur ihr kriminalistischer Instinkt geblieben? Diese für den jahrelangen Malzacher-Standard geradezu erstaunliche Reinlichkeit – allerdings noch immer auf bescheidenem Niveau – konnte nur eines bedeuten: Er musste eine Flamme haben. War ja auch höchste Zeit. Ihr fiel die kleine Episode von vorgestern mit ihren Blumen wieder ein. Die wollte er sich offensichtlich unter den Nagel reißen, um sie jemandem zu schenken. Konnte das bedeuten, dass die Dame aus dem Büro stammte? Sie ging schnell alle Frauen in ihrer Abteilung durch. Da war niemand, dem sie zugetraut hätte, auf ihren treuen Stellvertreter ein wohlgefälliges Auge geworfen zu haben. Eine aus einer anderen Abteilung? Schwer zu sagen, weil sie die Mitarbeiterinnen vom Einbruch oder gar vom Verkehr nicht wirklich kannte. Und was, wenn die Zuneigung ihres Stellvertreters gar nicht erwidert wurde? Armer Spencer. Hätte er nicht verdient. Aber sie würde es ja bald herausfinden. Sie musste ohnehin mit ihm reden.

      Donnerstag, 23. Juni 14 Uhr 32

      Den Besuch eines teuren Haubenrestaurants hatte sie sich verbeten. Stattdessen hatte sie sich gewünscht, zu einem netten Heurigen in der Wachau ausgeführt zu werden. Nach ein paar Telefonaten auf der Suche nach einem echten Geheimtipp hatte er den gestrigen Abend damit zugebracht, die glänzendsten Stellen seiner schönsten Hose mit einer Haarbürste aus Draht etwas aufzurauen. An den Oberschenkeln war ihm das für seinen Geschmack recht gut gelungen, an der Sitzfläche leider nicht. Er hatte sich auch an den alten Trick aus Jugendtagen erinnert, die Hose über Nacht unter das Leintuch zu legen, um am nächsten Tag eine messerscharfe Bügelfalte zu haben. Die hatte seine Hose heute zwar, aber nicht genau an der Stelle, an der sie eigentlich hingehört hätte.

      Jetzt aber waren all diese Kalamitäten vergessen. Jetzt stand er mit ihr in der Schlange vor dem kleinen Buffet, das ihm ein Schiedsrichterkollege gestern so genau beschrieben hatte, dass ihm dabei schon das Wasser im Mund zusammengelaufen war. An dem Paar vor ihnen vorbei deutete er auf den Schopfbraten in der Vitrine und flüsterte Walpurga ins Ohr: »Den machen sie hier nicht mit Kümmel, sondern mit zerstoßenem Koriander. Die Kruste knirscht, wenn du reinbeißt, dann schmilzt sie in deinem Mund.«

      Sie kicherte und bekam rote Wangen.

      Was für ein Glück, dass sein Schiedsrichterkollege gestern so ins Schwärmen gekommen war. Nun konnte er so tun, als sei er hier Stammgast. »Ganz rechts, der Erdbeerkuchen«, flüsterte er weiter, »den gibt es nur im Juni und auch nicht jeden Tag. Sie ernten die Erdbeeren von ihrem eigenen Feld. Eine alte Sorte. Schmecken so intensiv wie Walderdbeeren, wenn sie am richtigen Tag geerntet werden. Angeblich ein gut gehütetes Familiengeheimnis.«

      Nun waren sie an der Reihe. Er drückte ihr ein Tablett in die Hand, nahm sich auch eines und ließ die Wirtin aufladen, bis sich die Köstlichkeiten beinahe stapelten. Sein Schiedsrichterkollege hatte ihm erklärt, dass ein Profi beim Heurigenbuffet mit den kalten Speisen, also mit dem Gebäck, den Salaten, dem obligaten Liptauer, aber auch Ei- und Krenaufstrich begann und erst am Ende die warmen Speisen orderte. So blieben die warmen Speisen länger warm.

      Der reservierte kleine Tisch stand etwas wackelig auf dem Schotter. Walpurga – patent, wie sie war – sorgte mit ein paar Bierdeckeln für einen festeren Stand. Hier in diesem Innenhof gab es keinen schönen Ausblick auf die Donau. Draußen ragte ein zerzauster staubiger Buschen auf einem derben Stock auf die Gasse. Sonst ließ von außen nichts erkennen, welches Kleinod sich hinter dem schweren Tor verbarg. Der Gastgarten hatte wahrscheinlich vor einem halben Jahrhundert schon genauso ausgesehen. Weiß gekalkte Steinmauern, dunkelgrüne Fensterläden, altes, fast schwarzes Holz und knorriges Weinlaub, das sich an Stangen über den Hof rankte und an diesem sonnigen Nachmittag angenehmen Schatten spendete. Sogar der Schotter am Boden wirkte alt, rundgewetzt und stellenweise in die dunkle Erde getreten. Es gab keinen einzigen leeren Tisch in diesem kleinen Gastgarten. Dennoch herrschte eine eigentümliche Ruhe, als seien die Menschen darum bemüht, kein Aufsehen zu erregen und diesen Ort geheim zu halten.

      Walpurgas Wangen glühten immer noch. Sie deutete auf die beiden Tabletts zwischen ihnen. »Ist das nicht viel zu viel?«

      Er schüttelte nur den Kopf. »Komm, sonst wird das Fleisch kalt.« Schnell drückte er ihr ein Besteck in die Hand. »Du beginnst mit dem Schopfbraten, ich mit dem Kräuterbackhendel. Dann tauschen wir.« Mit diesen Worten senkte er seinen Blick in Richtung der Köstlichkeiten vor ihm und sog vernehmbar den Bratenduft ein. Er ließ sich nicht einmal von der Kellnerin stören, die den vorhin bestellten Grünen Veltliner und eine Karaffe mit Wasser zwischen die Tabletts zwängte. Dass er seine Aufmerksamkeit so demonstrativ dem Essen zuwandte, war Absicht. Er wollte, dass Walpurga sich unbeobachtet fühlte. Er brauchte sie gar nicht direkt anzuschauen. Es genügte vollauf, das Geschehen auf ihrem Teller zu beobachten, zu sehen, wie sie zögerlich ein Stück von der Kruste vom Fettrand abschnitt und zum Mund führte. Er konnte hören, wie sie auf die Kruste des Bratens biss, und hörte auch ihren leisen Ausruf des Entzückens. Er kannte Walpurga nun schon seit fast drei Wochen, als er ihrem alten VW kurzerhand mit dem Kabel, das er immer dabeihatte, Starthilfe geleistet hatte. Da sie als Hebamme gerade zu einer Geburt gerufen worden war, konnte sie nicht auf den Pannendienst warten. Zum Dank hatte sie es sich nicht nehmen lassen, ihn zum Essen einzuladen. Schon damals und seither jedes Mal, wenn sie sich getroffen hatten, hatte sie gegessen wie ein Spatz, dabei jedoch sehnsüchtig auf die Portionen geschaut, die er verdrückt hatte. Es brauchte keinen Kriminalisten, um zu erkennen, dass sie mit ihrer leicht molligen Figur haderte. Dass sie sich in seiner Gegenwart nicht wohl in ihrer Haut fühlte, musste er ihr austreiben. Beim zweiten Bissen nahm sie noch


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