Nur vor Allah werfe ich mich nieder. Fatma Akay-Türker
weil ihr das so wollt, werde ich sicher kein Kopftuch tragen. Wenn ich eines Tages Kopftuch trage, dann mache ich das allein für Allah und nicht für euch«, sagte ich.
Ende 1993, kurz bevor ich 18 Jahre alt wurde und als alle bereits die Hoffnung aufgegeben hatten, stand ich in der Früh auf und setzte ein Kopftuch auf. Alle waren erstaunt, darunter auch meine Mutter. Ich war glücklich, weil das meine freie Entscheidung war.
Aber wie frei war diese Entscheidung wirklich?
Die Traditionalisten propagierten stets: »Wenn eine Frau auch nur eine Strähne ihres Haares zeigt, wird sie siebzig Jahre in der Hölle brennen. Wenn man drei Haarsträhnen sieht, dann ist das, als wäre die Frau fremdgegangen.«
Nicht nur das. Es gab auch Sprichwörter wie etwa: »Eine nicht-kopftuchtragende Frau ist wie eine Wohnung ohne Vorhänge. Da kommen Mieter und Käufer vorbei in der Annahme, sie sei frei.«
Wenn eine Frau kein Kopftuch trug, bekam sie in der muslimischen Gesellschaft keine Anerkennung. Frauen ohne Kopftuch galten als schlechte Musliminnen. Die Fundamentalisten stuften sie gar nicht als Musliminnen ein. Unter diesen Bedingungen entschied ich »frei«, Kopftuch zu tragen.
TRADITIONELLE EHE
Als ich 15 Jahre alt war, fingen die Heiratsanträge an. Die Männer machten sie natürlich nicht mir, sondern traditionell organisierten die Eltern das untereinander. »Sie ist noch zu jung«, sagte mein Vater den Anwärtern jedes Mal. »Erst muss sie die Berufsschule fertig machen.«
Ich freute mich, aber mein Vater hielt dem Ansturm nur ein Jahr lang stand. Im Urlaub in der Türkei setzte ihn die gesamte Verwandtschaft unter Druck. Es kamen sowohl von väterlicher Seite als auch von mütterlicher Seite Anträge. Das Ganze drohte in eine Familienfehde auszuarten. In der letzten Woche wurde es ernst. Ich weinte eine Woche lang und sagte, ich wolle nicht heiraten. Meine Mutter hielt dagegen: »Wenn diese Rivalität noch mehr hochkocht, dann wird es zu einer Familienauflösung kommen.«
Zwei Tage vor dem Ende unseres Urlaubs fragte mich mein Vater, ob ich den Großneffen meiner Großmutter heiraten wolle.
Ich schwieg, und das bedeutete Zustimmung.
Am nächsten Tag besuchte uns die Familie mit dem Bräutigam. Sie schlugen vor, er und ich sollten uns kennenlernen. Also setzten wir uns zusammen in einen Raum. »Willst du mich heiraten?«, fragte er. Ich schwieg wieder.
Anschließend fand eine kleine Verlobungsfeier statt. Ich war 16 Jahre alt. Am nächsten Tag fuhren wir mit dem Zug zurück nach Österreich. Während der ganzen Reise weinte ich. Ich hatte mich für meine Familie und vor allem für meine Mutter geopfert.
Mein Vater hatte eigentlich nur unter der Bedingung zugesagt, sie sollten warten, bis ich mit der Schule fertig war. Ich hatte noch zwei Jahre. Als wir aber im darauffolgenden Jahr wieder in der Türkei auf Urlaub waren, machten wieder alle Druck, die Hochzeit solle schon stattfinden.
Mein Vater konnte sich wieder nicht durchsetzen. Eine Woche vor der Rückkehr nach Österreich fand die Hochzeit statt. Weil ich laut Geburtsurkunde ein Jahr älter war, durfte ich mit 17 heiraten. Er war sechs Jahre älter als ich.
Ich wog damals gerade einmal 46 Kilo, bekam ein Hochzeitskleid, das drei Nummern zu groß für mich war, und die »guten« Ratschläge der älteren Frauen des Dorfes.
»Du gehst jetzt mit diesem weißen Hochzeitskleid hinein und kommst nur mit einem weißen Leichentuch wieder heraus«, sagte eine. »Dein Mann und seine Familie sind jetzt deine neue Familie, vergiss auf uns und konzentriere dich auf die neue Familie«, meinte eine andere. »Gittiğin yer kör ise, bir gözünü kırpta bak« war ein bekanntes türkisches Sprichwort und bedeutete: »Wenn sie blind sind, dann musst auch du ein Auge schließen.« Das hieß, ich musste mich anpassen. Es gab auch dringliche Ermahnungen wie »Mach uns keine Schande!« und »Vergiss nicht, wenn du dich nicht benehmen kannst, nicht gut kochen und putzen kannst, wird man in erster Linie nicht dich beschimpfen, sondern deine Mutter und deine Familie.« Ich hörte Gebote wie »Eine Frau muss dem Mann gehorchen!«, und Philosophisches wie »Eine Frau muss immer geduldig sein und still wie ein See, während der Mann wie ein strömender Fluss ist.«
Vor allem die Frauen gaben diese Verhaltensregeln von Generation zu Generation weiter. Millionen, vielleicht sogar Milliarden von Frauen wurden und werden auf diese Weise unterdrückt und entmenschlicht. »Gott hat das so vorherbestimmt!«, sagten alle immer wieder. Anders hätten sie die Unterdrückung der Frauen nicht so lange aufrechterhalten können.
Jahrzehntelang fragte ich mich, warum Menschen für ihr Unglück Gott verantwortlich machten. Wie konnte Allah sowohl für das Heiraten als auch für die Scheidung verantwortlich sein? Hatte Allah etwa etwas falsch vorgeschrieben? Wenn alles vorherbestimmt war, welche Rolle hatten wir in dieser Welt? Oder anders gesagt: Wenn Allah alles vorherbestimmt hatte, welchen Sinn ergab dann die Prüfung, der wir uns im Jenseits stellen mussten?
SCHICKSAL?
Erst viel später, mit einem Wissensstand, wie ich ihn heute habe, konnte ich mir diese Fragen rund um unser vorherbestimmtes Schicksal beantworten.
Alles als Schicksal zu betrachten würde bedeuten, selbst keine Verantwortung für das eigene Handeln und die eigenen Entscheidungen zu übernehmen. Mit einer solchen Einstellung gäbe es keine Konsequenzen des eigenen Handelns, weil ohnehin alles vorherbestimmt ist. Eine solche Einstellung zu Schicksal oder Vorhersehung hat keine Begründung im Koran. Im Gegenteil. Wir müssen die Konsequenzen unserer Handlungen verantworten. Alles andere hieße, den Jüngsten Tag, an dem Allah über unsere Taten richtet, zu verleugnen. Allah ist zwar allwissend, Ihm ist nichts verborgen. Dennoch mischt Er sich nicht in unsere Entscheidungen. Denn Er will sehen, wie wir handeln. Dementsprechend hat Allah uns alle Rollen im Koran beschrieben, aber die Rollen nicht verteilt. Er hat zum Beispiel anhand von Teufel und Adam, Pharao und Moses, Prophet Muhammed und Abu Cehl beschrieben, was Er als eine gute und eine schlechte Rolle bewertet, und mit welchen Konsequenzen.
Alles, was wir unmöglich ändern können, ist Schicksal, also vorherbestimmt. Das heißt, ob wir als Frau oder Mann auf die Welt kommen, wo wir zur Welt kommen, wer unsere Eltern sind, welcher Ethnie wir zunächst angehören, alles, was wir beim Start in die Welt mitbekommen, all das ist unser Schicksal.
Alles, was wir selbst in unserem Einflussbereich und mit unserem Willen ändern können, ist definitiv kein Schicksal. Entscheidend wird die Schicksalsfrage an den Grenzen unseres Einflussbereiches. Denn an diesen Grenzen übernehmen wir unsere Verantwortung für diese Welt, nicht nur für uns selbst. Hier finden wir den Sinn des Lebens. Unser Gottesbewusstsein, unser Bewusstsein für das Gute, bestimmt, wie wir in Bezug auf diese Welt handeln. Was können wir möglicherweise doch ändern, wenn wir uns bemühen? Was sollten wir zumindest versuchen und beginnen, damit sich vielleicht irgendwann eine Veränderung ergibt? Wir können entsprechende Entscheidungen treffen oder diese Entscheidungen ändern. Wen wir heiraten oder warum wir uns scheiden lassen, ist jedenfalls kein Schicksal.
So bringt uns das aber leider niemand bei. Allgemein anerkannt sind nur die patriarchalen Regeln, deren Erfüllungsgehilfinnen die Frauen selbst sind. Dazu muss ich erwähnen, dass diese Art, Ehen zu schließen, nur in der Tradition begründet ist. Im Islam braucht es eindeutig die Zustimmung der Frau, damit eine Ehe zustande kommen kann.
DER WEG DER EHEFRAU INS PARADIES
Schon in Jugendjahren hatte ich viel gelesen. Als Jugendliche kritisierte ich die erwachsenen Frauen nicht nur, sondern stellte ihnen auch viele Fragen. Keine der Frauen war in der Lage, meine Fragen zu beantworten. Ich besuchte ein paar Moscheen und stellte dort den Hodschas diese Fragen.
»Hodscha« ist eine respektsbekundende Form, Lehrende an Schulen und Universitäten sowie Gelehrte oder belesene Persönlichkeiten anzusprechen. Als Hodscha anzusprechen sind auch die Imame, die in den Moscheen als Vorbeter, Prediger und Berater in religiösen Angelegenheiten angestellt sind. Es gibt auch weibliche Hodschas, die die Frauen beraten, allerdings keine Gebete leiten. In der Türkei gilt das