Am Ei erklärt. Gisela Lück
Eier geht es uns in diesem Buch. Wir möchten Sie davon überzeugen, in diesem Jahr vielleicht einmal ein Ei weniger zu verzehren und mit diesem etwas ganz Besonderes anzustellen – nämlich chemische und physikalische Experimente durchzuführen. Wer so gar nicht auf dieses Ei verzichten will, für den haben wir einen Kompromiss: Genau genommen können Sie nach dem Experimentieren sogar Teile vom »Versuchsei« essen.
Lassen Sie sich also überraschen, was in unseren Hühnern steckt!
Warum wir Sie davon überzeugen wollen, mit Hühnereiern die Welt der Chemie und Physik zu entdecken
Sie zögern noch? Warum ein schönes, leckeres Hühnerei opfern, um damit naturwissenschaftliche Experimente durchzuführen? Vielleicht gehören Sie ja zu denjenigen, die seit der Schulzeit mit Chemie und Physik auf Kriegsfuß stehen. Vermutlich haben auch Sie sich im Chemiesaal lieber in den hinteren Reihen herumgedrückt, weil es vorne ohnehin nicht viel zu sehen gab, denn Experimente wurden so gut wie nie durchgeführt – und wenn, dann klappten sie irgendwie nie. Von alldem ist über die Jahre vielleicht hängen geblieben, dass sich Lackmus in Säuren rot und in Laugen blau färbt. Aber wer hat schon Lackmus im Haus und wozu hilft uns das Wissen über die Farbveränderung? Dazu all die Formeln und Gleichungen, von denen allenfalls H2O in Erinnerung geblieben ist – und diese Formel wäre Ihnen auch ohne Chemieunterricht über den Weg gelaufen.
Statistisch gesehen zählen Sie bestimmt eher zu denjenigen, die erleichtert waren, als das Klingelzeichen das Ende der Chemie- oder Physikstunde ankündigte. Chemie und Physik zählen bis heute zu den unbeliebtesten Unterrichtsfächern des deutschen Bildungssystems. Schade eigentlich, denn hin und wieder wäre es doch ganz hilfreich zu verstehen, was es mit der Chemie so auf sich hat.
Dass wir immer noch zu den Chemieahnungslosen zählen, hat vermutlich mit dem Hühnerei zu tun. Das kam in unserem Unterricht nämlich nicht vor! Und dabei hätte es uns so viele lebensnahe Gebiete der Chemie und Physik eröffnen können – ganz ohne Lackmus und Formeln! Eiweißgerinnung, Kohlenstoffdioxidherstellung, Dichteunterschiede von wässrigen Lösungen, Oxidation von Metallen und vieles andere mehr lassen sich am Mikrokosmos Ei anschaulich verdeutlichen. Zum Glück lässt sich das jetzt alles nachholen – aber Sie zögern ja immer noch!
Vielleicht ist Ihnen gerade eingefallen, dass Sie all die im Unterricht unvermeidlichen chemischen Apparaturen und Gerätschaften nicht griffbereit haben: Erlenmeyerkolben, Reagenzgläser, Bunsenbrenner, Bechergläser, Rührstäbe und vor allem Destillationskolonnen sind eben leider nicht verfügbar – ganz abgesehen von den Chemikalien!
Aber ein Hühnerei wird doch irgendwo in Ihrem Haushalt aufzufinden sein? Wenn Sie dann noch über einen Salzstreuer, ein Glas, etwas Essig, Wasser, eine Pfanne und eine Heizplatte sowie einen Silberlöffel verfügen, steht Ihrem Experimentieren eigentlich nichts mehr im Wege. Diesmal nicht im Chemiesaal, sondern in Ihrer Küche, nicht in der hinteren Reihe, sondern ganz vorne am Küchentisch.
Nur Sie und das Hühnerei.
Naturwissenschaftliche Experimente mit einem Hühnerei
Warum wird eigentlich ein Hühnerei beim Erhitzen hart?
Wir alle kennen die Prozedur beim morgendlichen Frühstücksei-Kochen: Kochtopf rausholen, Wasser zum Kochen bringen und dann lange vier bis fünf Minuten warten, bis das Ei gerade die richtige Festigkeit hat – eben nicht steinhart, aber auch bloß nicht mehr flüssig. Ähnlich ergeht es uns, wenn wir uns für ein Spiegelei in der Bratpfanne entscheiden: Ohne Wärmezufuhr wird das Ei in der Regel nicht hart.
Eigentlich erstaunlich, denn ansonsten verflüssigt sich ein Feststoff durch Wärmezufuhr – denken Sie nur einmal an Schokolade, wenn sie bei sommerlichen Temperaturen im Auto liegen gelassen wurde. Auch Schnee und Eis schmelzen in der Sonne. Während flüssige Schokolade und Wasser beim Erkalten allerdings wieder fest werden, bleibt unser gekochtes Hühnerei gegenüber jeder Abkühlung – im wahrsten Sinne des Wortes – hart. Oder haben Sie schon einmal beobachtet, dass ein hart gekochtes Ei im Kühlschrank wieder flüssig wurde?
Lassen Sie uns doch einmal ganz genau beobachten, was beim Kochen eines Hühnereis so vor sich geht.
Diese Materialien benötigen Sie
–1 rohes Ei
–1 Teeglas (hitzestabil)
–1 Kochtopf, zur Hälfte mit Wasser gefüllt
–(falls vorhanden, 1 hitzestabiles Thermometer mit einer Temperaturskala zwischen 20 °C und 100 °C, aber wer hat das schon im Haus?)
Schlagen Sie das rohe Ei auf, trennen Sie das Eiweiß vom Eigelb und fangen Sie einen Teil des Eiweißes in einem Teeglas oder einem anderen hitzestabilen durchsichtigen Behältnis auf – den Rest des Eiklars benötigen Sie noch für die folgenden beiden Experimente. Erwärmen Sie das Wasser im Kochtopf auf einer Herdplatte zunächst auf kleiner Flamme. Bei handwarmer Temperatur des Wassers (ca. 35–40 °C; evtl. mit dem Thermometer kontrollieren) wird das Teeglas in das Wasser gehalten und beobachtet, ob eine Veränderung eintritt.
Das Wasser wird nun weiter erhitzt (für Beherzte ohne Thermometer: Einfach mit der Hand fühlen; natürlich nicht, wenn es schon kocht). Erneut wird das Teeglas mit dem Eiklar in das erwärmte Wasser gehalten. Ist eine Veränderung zu beobachten?
Das Eiklar färbt sich im heißen Wasser nach einiger Zeit – je nach Wassertemperatur kann das einige Minuten dauern – allmählich weiß und wird hart. Die Farbveränderung tritt zunächst an der Glaswand ein.
Das Eiklar des Hühnereis besteht zu rund 10 Prozent aus Eiweiß, auch Protein genannt; der größte Teil des Eiklars, nämlich 88 Prozent, besteht aus Wasser.4 Im rohen Ei, in dem das Eiklar noch flüssig vorliegt, haben die Proteine eine Struktur, die mit einem langen Faden vergleichbar ist, der sich ein wenig kräuselt. Im rohen Zustand liegen diese Protein›fäden‹ isoliert vor, sind also untereinander nicht verbunden. Ähnlich wie Haaren, die leicht durchkämmt und aneinander vorbeigeschoben werden können, gelingt es auch den Proteinen im flüssigen Eiklar problemlos, aneinander vorbeizugleiten; das Eiklar ist beweglich wie andere Flüssigkeiten auch. Das Licht kann zudem durch die Fäden hindurchleuchten, weshalb das Eiklar durchsichtig erscheint. Erhitzt man nun das Eiklar, dann wird die vorgegebene Struktur der Proteinfäden des Eiklars nach und nach verändert: Die zunächst isolierten, nur zusammengewickelten Proteine werden entfaltet. An den Stellen, an denen zuvor die verknäulten Eiweiße miteinander verbunden waren, bilden sich nun Verbindungen mit benachbarten Eiweißen aus und bleiben wie die beiden Teile eines Druckknopfs fest miteinander verbunden – man sagt auch: Sie gerinnen oder koagulieren. Dadurch verlieren sie ihre Beweglichkeit und das Eiklar wird zunächst weich und weiß und dann allmählich immer härter. Die Farbveränderung können wir damit erklären, dass das Licht nun nicht mehr ungehindert durch das Eiklar hindurchtreten kann, sondern von dem Proteingeflecht reflektiert wird: Es erscheint weiß.
Dieser Vorgang der Eiweißgerinnung durch Temperaturzufuhr