Haiders Schatten. Stefan Petzner
sogar Anlauf nimmt, 2017 französische Präsidentin zu werden. In Finnland entstanden die »Wahren Finnen« und sitzen heute in der Regierung, in Belgien der »Vlaams Belang« und auch in England, wo Rechtspopulismus bis vor kurzem nicht wahrnehmbar war, brachte es die rechtspopulistische »UK Independence Party« bei der jüngsten Europawahl zur stimmenstärksten Partei. In der Schweiz reüssiert seit Jahren die rechtspopulistische »Schweizer Volkspartei«. Auf der anderen Spielfeldseite des Populismus bringt der griechische Volksverführer Alexis Tsipras (Syriza) sein eigenes Land und mit ihm gleich ganz Europa ganz nahe an den politischen und finanziellen Abgrund, während »Podemos« drauf und dran ist, es ihm in Spanien gleich zu tun.
Sogar in Deutschland, das vor allem rechte und nationalistische Strömungen schon dank der guten Aufarbeitung seiner Geschichte bisher immer einigermaßen im Griff hatte, gingen Menschen zu Tausenden für eine rechte Bewegung, die Pegida, auf die Straße. Ganz Deutschland war schockiert, niemand verstand es und keiner hätte es für möglich gehalten. Doch Deutschland dürfte bald noch viel intensivere Bekanntschaft mit dem Rechtspopulismus machen. Denn während ich das schreibe, richtet sich gerade die »Alternative für Deutschland«, die anfangs eher ungeschickt agierte, an den erfolgreichen rechtspopulistischen Arbeitsmodellen aus. Dies mit ihrer neuen Chefin Frauke Petry, die politische Erfahrung mitbringt, intelligent und ungleich charismatischer ist sowie mit ihrem Hang zur Provokation eine deutsche Marine Le Pen werden kann. Wenn Petry alles halbwegs richtig macht, ist die »AfD« klar auf dem Weg zur Zehn-Prozent-Partei, und ich wage zu prophezeien, dass die deutschen Eliten in ihren Reaktionsmustern genau die gleichen Fehler und Trugschlüsse eingewebt haben werden wie alle anderen.
Ich habe fünf Jahre lang das Handwerk eines Populisten erlernt und als politischer Grenzgänger erfolgreich angewandt. Ich habe mit Haider die, letztlich immer gleichen, Tricks einstudiert, perfektioniert und andere darin unterwiesen. Ich weiß deshalb, wie sich Populisten entzaubern lassen und wie ihnen ihre Gegenspieler jenen Platz im politischen Biotop zuweisen können, der für eine Gesellschaft noch nützlich ist.
Ich erzähle meine Geschichte deshalb auch, um zu zeigen, wie Populisten wirklich funktionieren, was ihre Gegenspieler, allen voran die beiden großen politischen Blöcke der Sozialdemokraten und der Konservativen, falsch machen, wie sie es richtig machen könnten und wie sie, statt den Populisten den Weg zu ebnen, deren besondere Fähigkeiten zu ihrem eigenen Vorteil und zum Vorteil der Gesellschaft nutzen könnten.
Dieses Buch ist mein Beitrag zur Geschichtsschreibung: Über den Populismus in Europa und über Jörg Haider, der so viele Jahre lang der wichtigste Mensch in meinem Leben war.
Im Herz der Karawanken
Wir stiegen mit Atemwolken vor den Mündern und umgeschnallten Rucksäcken durch den frühen Morgen den Berg hinauf. Im Gegensatz zu Jörg Haider hatte ich nie viel Spaß am Wandern und Bergsteigen gehabt. Für mich als Bergbauernkind war die Natur kein so großes Abenteuer wie für ihn, und mit ihm war es besonders anstrengend, weil er Sport immer gleich als Wettkampf interpretierte. Doch an diesem sonnigen 28. Dezember des Jahres 2007 hatte ich keine Wahl. Haider hatte seine Funktion als Kärntner Landeshauptmann von Anfang an als eine Art Dauerwahlkampf angelegt und ließ sich Veranstaltungen wie die »Eierspeisparty« in der Klagenfurter Hütte im Bärental nicht entgehen. Umso weniger, als das Bärental seine Wahlheimat war. Er wollte, dass ich mitkomme, und ich hatte mich schließlich überreden lassen.
Uriges Beisammensein mit dem Zweck, Spenden für die Bergrettungen Klagenfurt und Ferlach zu sammeln, Zieharmonika-Musik, Gesang, Tanz, und zur »Eierspeis« viel Alkohol, das war das so einfache wie beliebte Konzept der Veranstaltung. Seit 1984 war sie Tradition, und auch dieses Jahr würden sich an die zweitausend Menschen bei dem ländlichen Spektakel einfinden, alle mit rohen Eiern im Gepäck, aus denen ihnen der Hüttenwirt ihre »Eierspeis« zubereiten würde. Einem Volkspolitiker wie Haider bot das eine perfekte Bühne. Während ich als sein Pressesprecher und engster Mitarbeiter eher widerwillig und einsilbig durch den Schnee stapfte, riss mich ab und zu das Gelächter der kleinen Wanderergruppe um ihn aus meinen Gedanken.
Als wir oben ankamen, war die Hütte bereits gefüllt, doch wie immer strömten über den Tag verteilt immer mehr Gäste in das kleine Alpenvereinshaus inmitten der Karawanken, bis es darin drückend eng wurde. Haider störte das nicht. Er kam umso mehr in Fahrt, je voller die Hütte wurde. Bis zum frühen Abend mischte er sich unter die Menschen, ging von Tisch zu Tisch, schüttelte Hände, scherzte, sang und tanzte. Obwohl der Mann auf die Sechzig zuging und damit mehr als dreißig Jahre älter war als ich, hatte er eine scheinbar unerschöpfliche Energie.
An der Volksnähe, die er in der Hütte an den Tag legte, wirkte nichts inszeniert. War es auch nicht. Haider liebte das Bad in der Menge. Während anderen Politikern der direkte Kontakt zu den Bürgern suspekt bis unheimlich ist, eine lästige Pflichtübung vor allem in Wahlkampfzeiten, blühte Haider im Umgang mit Menschen erst richtig auf. Sie waren es, die seine Akkus mit Energie speisten. Tag für Tag aufs Neue. Je mehr Menschen er begegnete, umso größer war seine Energie.
Noch dazu hatte er die erstaunliche Gabe, sich Menschen, die er nur ein einziges Mal gesehen hatte, über Jahre hinweg zu merken, meist samt ihren Geschichten. Oft genug verblüffte er einen Gesprächspartner, wenn der »kennst mich eh nimmer« sagte, und Haider Jahre nach der ersten und einzigen Begegnung mit dem Mann, antwortete: »Klar, du bist doch der Heinz aus dem Maltatal. Wie geht es deinen beiden Töchtern? Die müssen jetzt auch langsam groß sein.«
Er wisse auch nicht, woher er das habe, hatte Haider einmal zu mir gesagt, er benütze es einfach. Jedem einzelnen seiner Gesprächspartner gab er damit das Gefühl, ihm ganz nahe und verbunden zu sein. Als wären sie alle keine Wähler, sondern ein fixer Teil seines Lebens, an den er sich zu jeder Zeit an jedem Ort erinnerte. Sie liebten ihn dafür und er war damit für sie weniger die Respektperson eines Landeshauptmannes, sondern vielmehr ein Freund, ein Kumpel, sie fühlten sich als Teil seiner großen Familie, die er Kärnten nannte und als dessen Oberhaupt er sich ansah.
Als die Dämmerung hereinbrach, stiegen wir mit ein paar Anderen wieder ab und erreichten schließlich das Anwesen der Haiders. Haider hatte natürlich noch lange nicht genug und wollte die Feierei noch im Haus ausklingen lassen. Das renovierte alte Bauernhaus lag abgeschieden in dem Tal, das seinen Namen von den vielen Bären hat, die es dort einmal gab. Ringsum erstreckte sich dichter Nadelwald. Unweit des Anwesens, auf einer Waldlichtung, stand eine kleine Kapelle. Nähere Nachbarn gab es in dieser Abgeschiedenheit keine, und auch keinen Handyempfang.
Wir polterten in das längst verdunkelte Haus und unterhielten uns in der rustikalen Bauernstube mit einer kleinen Gruppe von Begleitern noch lautstark über das Erlebte und den hinter uns liegenden Tag. Nach gut einer Stunde verabschiedete ich mich, stieg in meinen silbergrauen Nissan und fuhr los.
Die Straße nach Klagenfurt, die durch das Rosentaler Idyll führt, ist bei Tageslicht für Urlauber eine echte Traumstraße. Bei der herrschenden Witterung konnte ich mich darauf allerdings nicht konzentrieren, zumal nach einer derart ausgelassenen Feier. Ich richtete meine ganze Aufmerksamkeit also auf die Fahrbahn, die in engen Serpentinen einen Berg hinab und dann wieder hinauf führte, und auf der eine dünne Schneedecke lag.
Ich fuhr langsam und vorsichtig und kam gut voran. Bis zu dem Moment als ich mit meinen Rädern auf eine spiegelglatte Eisfläche traf und die Kontrolle über den Wagen verlor. Das Auto ließ sich nicht mehr steuern, schleuderte und glitt geradewegs auf eine steile Böschung zu. Leitplanken gab es dort keine. Meine Tasche, mein Handy und ein paar andere Dinge, die am Beifahrersitz gelegen waren, flogen durcheinander, als der Wagen einen Erdwall am Straßenrand durchbrach und über die Böschung hinunterstürzte.
Mit aufgerissenen Augen sah ich mit Schnee bedeckte Fichten auf mich zukommen, während mein Wagen durch das Strauchwerk rutschte. Mit einem dumpfen Knall kam der Nissan zum Stillstand. Er hing jetzt, abgefangen von einem Baumstumpf umgekippt im Gebüsch, sodass von der Straße her die Bodenplatte und die Räder zu sehen gewesen wären.
Ich hing still im Gurt und sah mich um, bis mich ein Knarren aus der Starre riss. Ich bekam Angst. Was, wenn das Auto weiter die Böschung hinunter purzelt? Ich löste den Gurt, prallte gegen die Fahrertür und kletterte auf allen