Haiders Schatten. Stefan Petzner

Haiders Schatten - Stefan Petzner


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stockdunkel. Ich stand mitten im Dezember in der Einöde, weit und breit kein Mensch, die Jacke im Auto, das Auto im Gebüsch. Wenigstens war ich relativ unversehrt, wie ich nach gründlichem Abtasten feststellte. Neben dem Handy hatte ich im Auto noch schnell meine Zigaretten zusammengesucht, und zündete mir eine an. Zwar war ich durch den Unfall in einem leichten Schock, mir war aber klar, dass ich noch nicht weit weg vom Anwesen der Haiders sein konnte. Also wählte ich die Festnetznummer im Bärental. Haider hob sofort ab. Ich redete bewusst beschwichtigend. »Ich habe ein kleines Problem«, sagte ich. »Ich habe gerade einen Unfall gebaut.«

      »Um Gottes Willen, wo bist du? Ist dir etwas passiert?«

      Ich beruhigte ihn. »Alles in Ordnung. Ich muss nur irgendwie das Auto aus der Böschung kriegen«, sagte ich.

      »Rühr dich nicht vom Fleck, ich bin gleich da«, sagte Haider, nachdem ich ihm die Stelle so genau wie möglich beschrieben hatte.

      Da stand ich also frierend mitten in diesem winterlichen Nirgendwo, wartete und starrte auf die leuchtenden Scheinwerfer meines Wagens. Nach kaum zehn Minuten hörte ich in der Ferne Sirenen aufheulen. Zuerst stellte ich keinen Zusammenhang zwischen ihnen und meinem Missgeschick her, schon gar nicht, als es anscheinend mehrere Sirenen wurden. Doch sie kamen näher, und wenige Minuten später war es, als würden aus allen Ecken des Tals Einsatzfahrzeuge auf mich zurasen.

      Eine Heerschar an Einsatzkräften rückte an. Offensichtlich hatte Haider sie persönlich verständigt. Es war mir peinlich und ich wäre am liebsten im Erdboden versunken. So ein Aufwand, bloß um mein Auto aus der Böschung zu ziehen, dachte ich und erklärte den Einsatzleuten fast entschuldigend, was geschehen war. Da brauste auch schon Haider in seinem schwarzen Phaeton daher, stellte ihn mitten im Geschehen ab und sprang heraus.

      Nachdem er sich kurz vergewissert hatte, dass es mir halbwegs gut ging, verschaffte er sich einen Überblick über die Lage. Während ich auf und ab lief, eine Zigarette nach der anderen rauchte und anfing, mir darüber Gedanken zu machen, wie mein Auto wieder halbwegs unbeschädigt aus der Böschung zu kriegen wäre, dirigierte Haider gemeinsam mit dem Feuerwehr-Kommandanten die Einsatzkräfte. Die befestigten an den Vorder- und Hinterrädern Seile und hoben den Nissan mit einem Kran hoch in die Luft und aus der Böschung heraus.

      Ein Polizist trat auf mich zu. Ich hatte noch gar nicht bemerkt, dass in der Zwischenzeit auch die Polizei eingetroffen war. »Haben Sie Alkohol getrunken?«, fragte er.

      Ich sah ihm in die Augen und schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte ich.

      Vielleicht glaubte er mir, vielleicht auch nicht, jedenfalls fragte er nicht weiter. »Die Kurve liegt tagsüber im Schatten. Da bilden sich bei etwas milderer Witterung regelmäßig Eisplatten«, sagte er stattdessen. Schon vor mir seien einige Fahrer hier weggerutscht. »Da sollte die Straßenmeisterei in Zukunft wohl Schotter streuen.« Damit ging er wieder.

      Sie stellten meinen Wagen behutsam auf die Straße und nach Aufforderung Haiders drehte ich am Zündschlüssel. Niemand rechnete damit, dass das leicht verbeulte Ding anspringen würde, aber einen Versuch war es wert. Nach kurzem Rattern lief der Motor tatsächlich.

      Am liebsten wäre ich gleich losgefahren, aber das ließ Haider nicht zu. »Du fährst sicher nicht selbst«, sagte er.

      Ein junger BZÖ-Parteifunktionär, Fred Reininger, sollte mich chauffieren. Er war zuvor bei der kleinen Runde im Anwesen der Haiders dabei gewesen. Doch wir konnten noch nicht aufbrechen. Denn mit großer Geste verkündete Haider, dass alle Anwesenden zum Dank für die schnelle und professionelle Aktion in das nächste Wirtshaus eingeladen seien.

      »Wir müssen das machen«, sagte er, als er bemerkte, wie müde und geknickt ich war. »Es dauert auch nicht lang.« Ich wollte nach der Unfall-Aufregung nur noch heim, fühlte mich aber in der Schuld der Feuerwehrleute und widersprach daher nicht.

      Gegen zehn Uhr abends kamen wir in einem netten, aber mit seinem Stil der Siebzigerjahre schon etwas verkommenen Wirtshaus an. Die Tischtücher waren aus Plastik, die hölzernen Stühle mit Schaumgummi gepolstert und die bunten Tapeten an der Wand verblasst. Der Wirt staunte nicht schlecht, als rund zwanzig Gäste zur Tür herein strömten, die noch dazu der Landeshauptmann anführte. Schließlich war das Gasthaus eher als Treffpunkt der slowenischsprachigen Volksgruppe bekannt. Nachdem Haider dem verdutzten Wirt mit einem lauten »servas« die Hand entgegengestreckt hatte, wandte er sich an mich und senkte die Stimme. »Es ist gut, dass wir hier auch einmal vorbei schauen«, sagte er.

      Haider hatte halb Kärnten schon einmal die Hand geschüttelt und sprach ohnedies die meisten Kärntner per du an. Allen Sicherheits-Warnungen seiner Mitarbeiter und der Exekutive zum Trotz hatte er nicht die geringste Schwellenangst und ging überall hinein, selbst in die windigsten Spelunken, aus denen angesichts der dunklen Gestalten darin der Großteil der bürgerlichen Gesellschaft Kärntens gleich wieder geflüchtet wäre.

      Wir saßen also dort, zwei Feuerwehrautos, einen Phaeton und einen verbeulten Nissan vor dem Gasthaus geparkt, und Haider schwang sich vor der versammelten Truppe zu einer Dankesrede auf. Er war verzückt. Der Abend bot ihm unversehens schon wieder eine Bühne, was ihm schon immer mehr Freude bereitet hatte, als einmal einen stillen Dezemberabend zurückgezogen mit sich selbst zu verbringen.

      Er redete über Verlässlichkeit und andere Werte, und zwischendurch drang wieder entspanntes Gelächter, untermalt vom Klirren der Gläser, zu mir. Ich war leicht benommen, doch als Mann der zweiten Reihe, in jener Rolle, die ich mir für mein Leben ausgesucht hatte, wollte ich Haider nicht allein lassen und schon gar nicht ihm die Show stehlen.

      Ziemlich einsilbig wartete ich darauf, endlich heimfahren zu können, doch es sah nach einer Stunde noch immer nicht gut für mich aus. Die Rede war zwar vorbei, aber die zweite Runde bereits bestellt. »Entschuldige, könnten wir dann bald aufbrechen?«, sagte ich nach fast zwei Stunden zu ihm. »Irgendwie geht es mir nicht so gut.«

      Haider klopfte mir auf die Schultern. »Gleich«, sagte er.

      Während die Gruppe immer ausgelassener wurde, verfiel ich zusehends. Schließlich wurde mir übel. Mit der Hand vor dem Mund riss ich gerade noch die Klotür auf und übergab mich im nächsten Augenblick. Obwohl ich nach wie vor halb ohnmächtig war, putzte ich das Klo mit Papier, um es halbwegs zivilisiert zu hinterlassen. In meiner Funktion brauchte ich keine Reden zu halten, aber ich durfte auch keinen schlechten Eindruck machen. Als ich zum Tisch zurückkam, sah mich Haider aufmerksam an. »Dir geht es wirklich nicht gut«, sagte er.

      Ich wusste, dass ich käsebleich war. »Ich habe gerade gekotzt. Aber ich glaube, das war nur vom Schock«, sagte ich.

      Er stand auf. »Wir fahren ins Krankenhaus«, sagte er.

      Ich schüttelte müde den Kopf. »Ich brauche nur etwas Schlaf.«

      »Wir fahren jetzt sofort.«

      Ich hasste Krankenhausaufenthalte und wollte tatsächlich nur ausschlafen, aber Haider machte sich nun offensichtlich wirklich Sorgen und duldete daher keinen Widerspruch. Also nahm ich am Beifahrersitz seines Phaeton Platz und er fuhr mich ins Landeskrankenhaus Klagenfurt, während Fred Reininger meinen demolierten Nissan zu meiner Wohnung brachte.

      Eine Menge Schwestern liefen zusammen, als der Landeshauptmann persönlich einen Patienten in die Notaufnahme brachte. Er schüttelte allen die Hand. Einige kannte er auch hier, die sprach er mit ihrem Vornamen an. »Schaut ihn euch bitte genau an, Monika. Er hatte einen Unfall mit dem Auto. Wer weiß, was da passiert ist.«

      »Mir geht es eh ganz gut. Alles halb so wild«, sagte ich, doch niemand hörte mir zu. Was mich nicht kränkte. Ich wusste, dass mir die Sonderbehandlung nicht zuteil wurde, weil ich Stefan Petzner war, sondern weil ich Haiders rechte Hand war. Meine Rolle privilegierte mich in Kärnten und das war reizvoll, aber ich war mir des Unterschiedes immer bewusst: Ohne Haider wäre ich nichts in Kärnten.

      Ich konnte in Krankenhäusern nie gut schlafen, doch Haider bestand darauf, dass ich blieb. Ich kannte ihn als hilfsbereiten Menschen, der da war, wenn ihn jemand brauchte. Das zeichnete ihn aus. Andererseits war er nicht in der Lage, einer Bühne zu widerstehen, die sich ihm bot. Deshalb hielt ich mich nach meinem ungehörten Einwand auch hier im Hintergrund.


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