Tatorte 3. Thomas Schade
Herausgeber Thomas Schade & Karsten Schlinzig
© SAXO’Phon GmbH
Layout & Satz: Tony Findeisen, Dresdner Verlagshaus Technik GmbH
Alle Rechte vorbehalten | Oktober 2012
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ISBN: 978-3-943444-29-2 epub
ISBN: 978-3-943444-30-8 mobipocket
Vorwort
Ein kleiner Tümpel in der Nähe des Spreebades bei Bautzen, der Hauptbahnhof von Dresden, ein ganz normales Mehrfamilienhaus im Erzgebirge, das Stadtmuseum von Meißen – es sind wieder die verschiedensten, ganz unterschiedlichen Tatorte, die im nunmehr dritten Band der gleichnamigen Buchreihe aufgesucht werden. Wie immer sind es Orte, die seinerzeit Ausgangspunkt für spektakuläre Kriminalfälle waren. Dreiste Diebe, Brandstifter, Erpresser, Mörder und auch Kinderschänder haben an diesen Orten ihre Spuren hinterlassen. Einige von ihnen stellten die Kriminalpolizei wochen- und monatelang vor Rätsel. Ulrich Vogel war so ein Mann, er stellte 2003 die Kofferbombe auf einem Bahnsteig des Dresdner Hauptbahnhofes ab. Warum er sich ausgerechnet diesen Bahnhof ausgesucht hatte, ist in dem Buch hier zu lesen.
Wie in den bereits erschienenen Bänden der Reihe Tatorte werden auch diesmal die oft mühevollen Ermittlungen beschrieben, ehe es dennoch gelingt, die Täter dingfest zu machen. Verwiesen sei auf die Sonderkommissionen „Heller“, die sich letztlich im Mai 2004 zur größten DNA-Reihenuntersuchung der bundesdeutschen Kriminalgeschichte entschloss, um einen Mann zu finden, der zwei Mädchen vergewaltigt hatte und danach wie vom Erdboden verschwunden war. Erwähnt sei auch die wohl einmalige Brandserie eines jungen Mannes aus der Gegend von Radeberg, den anfangs ein einzelner Kriminalist ausfindig machen sollte. Der Ermittler hatte zwar reichlich kriminalistische Erfahrung, aber der Brandstifter zündelte so schnell und intensiv, dass der Mann von der Kripo kaum die Schreibtischarbeit bewältigen konnte.
Für den dritten Band haben die Autoren diesmal nicht allzu tief in der sächsischen Kriminalgeschichte gegraben. Der älteste Fall reicht zurück ins Jahr 1973. Aber wer erinnert sich noch daran, dass in jenem Jahr aus dem ehrwürdigen Meißner Stadtmuseum das Richtschwert und eine äußerst wertvolle Bibel gestohlen wurden? Die Geschichte ist so skurril, dass sie den Stoff für eine Kriminalgroteske hat und sie führte direkt auf den grauen Kunstmarkt, den es auch in der DDR gab.
Ganz anders liegt der Fall der Entführung des Mädchens Stephanie aus Dresden, das einem vorbestraften Kinderschänder in die Hände fiel, der sie mit dem Tode bedrohte. Dennoch fand die 13-Jährige den Mut, der Polizei den entscheidenden Hinweis für ihre Befreiung zu geben. Erstmals schildert der Staatsanwalt, der den Fall von Beginn an begleitete, in diesem Buch nicht nur den Fortlauf der Ermittlungen, sondern auch die heftigen medialen Angriffe, denen er sich erwehren musste.
Fast alle Autoren haben persönliche Erfahrungen zu den Kriminalfällen einbringen können, über die sie schreiben. Die meisten sind bis heute in verschiedenen Dienststellen der Kriminalpolizei beziehungsweise der Justiz tätig, berichten quasi „aus erster Hand “ und haben sich nach Feierabend hingesetzt, um ihre Geschichten aufzuschreiben. Dafür möchten sich die Herausgeber herzlich bedanken bei Hubert Adler, Christian Avenarius, Raiko Märtins, Manfred Müller, Frank Nicolaus und Uwe Wankmüller. Unser Dank gilt auch dem Stadtmuseum Meißen und dem Sächsischen Hauptstaatsarchiv.
Der Kurgast mit dem Bombenkoffer von Karsten Schlinzig
Im Juni 2003 steht eine Kofferbombe im Dresdner Hauptbahnhof. Zur selben Zeit wird die Deutsche Bank erpresst. Ein Kriminalist findet auf der Spur der Steine zum Täter.
Silvio Lange hatte den Koffer schon vor über einer Stunde gesehen. Anscheinend herrenlos steht das dunkelblaue Reisegepäck immer noch auf dem Bahnsteig am Gleis 14 im Dresdner Hauptbahnhof. Keiner hat ihn bisher mitgenommen. Silvio Lange, Bahnmitarbeiter und für die Reinigung von Zügen zuständig, meldet seine Beobachtung dem Sicherheitsdienst der Deutschen Bahn. Es ist 19.20 Uhr, am 6. Juni, dem Freitag vor Pfingsten im Jahr 2003.
Ein Mann vom Sicherheitsdienst geht zum Bahnsteig 14, schaut sich den Koffer aus gebührender Entfernung an und informiert umgehend den Bundesgrenzschutz, denn seit den Terroranschlägen vom 9. September 2001 gibt es auch bei der Bahn Vorschriften zum Umgang mit herrenlosen Koffern und Taschen. Der Bundesgrenzschutz lässt das Gleis 14 sowie die angrenzenden Gleise sperren. Polizisten finden außerdem in 50 Meter Entfernung, außerhalb der Bahnhofhalle, eine weitere herrenlose Reisetasche. Mit einem transportablen Röntgengerät beginnen Beamte einer BGS-Spezialeinheit für Unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen unter Leitung von Oliver Zieger die Tasche außerhalb der Halle zu durchleuchten. Sie finden keinen Hinweis auf einen Sprengsatz, die Tasche wird geöffnet – sie enthält Bekleidungsstücke.
Gegen 21.30 Uhr beginnt Stephan Krause (47) im Schutzanzug mit der Überprüfung des Koffers auf Bahnsteig 14 in der Halle. Der Bundespolizist ist Spezialist für das Entschärfen von Bomben. Der herrenlose Koffer steht nur einige Meter neben einem Süßwarenautomaten. Schon die ersten Röntgenbilder lassen dem Beamten den Atem stocken. Er erkennt Zünder, Kabel und vermutlich Sprengstoff. Stephan Krause entschließt sich, den Koffer mit einer Wasserkanone zu beschießen. Genau um 21.50 Uhr zerspringt der dunkelblaue Koffer, einzelne Teile der Zündvorrichtung fallen heraus. Krause tritt an den Koffer heran und sieht, dass er sich nicht geirrt hatte: Batterien, Drähte und Sprengstoff sowie einen Kochtopf, der mit Klebeband verschlossen ist. Mit einer Zange durchtrennt er die Kabel zwischen Batterie und Sprengstoff. Die Bombe ist entschärft – Krause gibt Entwarnung. Nun übernimmt die Landespolizei die weitere Arbeit am Tatort.
Der Bombenkoffer auf Bahnsteig 14 des Dresdner Hauptbahnhofes. Im Laufe der Ermittlungen rekonstruierte die Polizei die Situation am 6. Juni 2003.
Während der Bundespolizist seinen Einsatzbericht schreibt, beginnt die Tatortgruppe des Landeskriminalamtes Sachsen mit ihrer Arbeit auf dem Bahnsteig. Die Spurenspezialisten finden in dem Koffer Utensilien eines Sprengsatzes: Ein Kochtopf, gefüllt mit roter Sprengstoffschnur, dazu einzelne Brocken Sprengstoff; sechs zum Teil zerbrochene Schraubgläser; zwei elektrische Zündkapseln; ein Beutel, gefüllt mit Sprengstoff und Sprengschnur, einzelne Steine. In ihre Einzelteile zerschossen sind eine Pappe - die Grundplatte für die Zündvorrichtung und ein blauer Wecker. Nachdem die Tatortarbeit beendet ist, wird alles eingepackt und ins Landeskriminalamt gebracht. Parallel dazu beginnen Kriminalbeamte im Dresdner Hauptbahnhof mit der Befragung von Mitarbeitern der Deutschen Bahn. Wie zu erwarten, erhalten sie keine brauchbaren Hinweise, wer den Koffer auf dem Bahnsteig abgestellt haben könnte. Sie hoffen nun darauf, dass die Video-Überwachung des Bahnhofes ihnen etwas mehr verrät. Kann man sehen, wer den Koffer deponiert hat? Fehlanzeige – die Videoüberwachung des Dresdner Hauptbahnhofes fertigte ausgerechnet an diesem Tag keine Aufzeichnungen, sondern lieferte nur Live-Bilder in die Zentrale. Dort hätte die Speicherung manuell ausgelöst werden müssen. Aber das hatte an diesem Nachmittag niemand veranlasst – so gibt es keine Bilder vom Bahnsteig.
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