Naturheilverfahren bei Borreliose - eBook. Werner Kühni

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Borreliose und der symptomidentischen Erkrankungen

      Die Borreliose ist scheinbar eine »neue« Erkrankung, die erst seit etwa zwanzig Jahren bekannt ist. Dies kommt aber nur daher, dass diese Erkrankung erst nach 1980 klinisch definiert wurde. Die Problematik besteht darin, dass die meisten »Infektionskrankheiten« auf einer modernen Definition beruhen und medizingeschichtlich betrachtet keine Erkrankung vor 1900 (bzw. keine Viruserkrankung vor 1940) sicher auf eine heutige Definition übertragen werden kann.

      1883 beschrieb der polnische Arzt Alfred Buchwald den Fall einer »diffusen, idiopathischen Hautatrophie«, die bei einem 36-jährigen Patienten bereits über 16 Jahre bestanden hatte. Aufgrund der Schilderung handelt es sich dabei um die erstmalige Beschreibung der chronisch progredienten Dermato-Borreliose; 1894 wurde diese von Dr. Platen in seinem Werk »Die Neue Heilmethode« als Typhus recurrens als »günstige«, also heilbare Krankheit dargestellt. 1902 beschrieben Herxheimer und Hartmann die Entwicklung dieser Hauterkrankung von einer frühen entzündlichen zu einer späten chronischen Phase und nannten das Krankheitsbild Acrodermatitis chronica atrophicans (ACA). In den folgenden Jahren wurde das gesamte Spektrum der Erscheinungen beschrieben, nämlich Haarverlust, makuläre Atrophie, sklerodermieartige Veränderungen, ulnare Bänder, fibroide Knoten und das typische Erscheinungsbild der chronisch atrophischen, »zerknülltem Zigarettenpapier« ähnlichen Haut. Später wurde beobachtet, dass einige Patienten an Gelenkschmerzen litten, bevor sich die ACA entwickelte, und dass bei mehr als 10 Prozent der Patienten Gelenkveränderungen vorlagen.

      Im Oktober 1909 berichtete der schwedische Arzt Arvid Afzelius von der Entwicklung eines Erythema migrans bei einer Patientin nach einem Zeckenbiss. Ebenso beschrieb W. Balban aus Wien detailliert die Entwicklung von annulären Erythemen bei drei Patienten. 1911 beschrieb J.L. Burckhardt erstmals ein solitäres Lymphozytom bei einer 60-jährigen Frau als erythematöse Plaque (2 x 6 cm), die über einige Wochen am Oberarm bestehen blieb.

      1913 beschrieb Lipschütz einen Fall von Erythema chronicum migrans, das sich über sieben Monate von der Kniekehle ausgehend ausbreitete. Das Erythem erstreckte sich schließlich über den Oberschenkel und den Rücken bis zum Nacken und schwand dann spontan; die histologischen Veränderungen waren völlig unspezifisch. Später berichtete Lipschütz von einem Patienten mit zwei gleichzeitig bestehenden Erythema-migrans-Läsionen.

      1922 veröffentlichten Ch. Garin und R. Bujadoux einen Bericht über einen 58-jährigen Patienten, der nach einem Zeckenbiss ein markantes Erythem entwickelte und etwa einen Monat später »von der Krankheit geradezu überfallen wurde, in einer raschen, schmerzhaften, beunruhigenden und in jeder Hinsicht ungewöhnlichen Art«. Er wurde mit »Schmerzen in den Beinen, am Rumpf und rechten Arm, begleitet von Lähmungen und Atrophie des rechten Deltamuskels« ins Krankenhaus eingewiesen. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich und nahm schließlich innerhalb von 21/2 Monaten einen Spontanverlauf mit einer Bewegungseinschränkung des rechten Armes als Restdefekt. Allerdings stellten die Autoren noch keinen Zusammenhang mit dem Erythem her.

      1930 berichtete S. Hellerström von einem Patienten, der drei Monate nach dem Auftreten eines Erythema migrans (wandernde Röte) eine Meningoenzephalitis entwickelte.

      1941 beschrieb A. Bannwarth ein Syndrom der »chronischen lymphozytären Meningitis mit dem klinischen Bild der Neuralgie oder Neuritis«. Er unterschied drei Gruppen: Patienten mit intensiven Nervenwurzelschmerzen, jüngere Patienten mit Fazialislähmung und Patienten mit chronisch lymphozytärer Meningitis mit zerebralen Symptomen wie starken Kopfschmerzen und Erbrechen. Gemeinsam war allen, dass sie einen entzündlichen Liquor hatten. Typisch war auch, dass die heftigen Nervenschmerzen in der Nacht besonders intensiv waren. Die Symptome dieser Meningoradikuloneuritis schwanden erst nach Wochen oder Monaten. Trotz dieser Einsicht in den Krankheitsverlauf übersah er den Zusammenhang zwischen Zeckenbiss, Erythema migrans und Meningitis.

      Bis in die Mitte der 1940er Jahre war das klinische Bild der typischen Erkrankungen von Haut und Nervensystem der heutigen symptomidentischen Lyme-Borreliose bekannt. Außerdem gab es vereinzelte Berichte über Gelenkerkrankungen, Myalgien, Müdigkeit und schwere Arthralgie, begleitet von Myokarditis. Die heute als charakteristisch geltenden Krankheitsbilder wurden jedoch nicht in einem ursächlichen Zusammenhang gesehen.

      Selbst heute noch sind verschiedene Definitionen verbreitet. So spricht das Praxisnetz Kiel in Bezug auf das Zeckenrückfallfieber von Borreliose recurrens, die Universität Magdeburg bezeichnet die Lyme-Borreliose als Typhus recurrens, während das Bundesgesundheitsministerium das symptomidentische Rückfallfieber der Zecke als Typhuserkrankung bezeichnet, welches die Universitätsklinik Frankfurt in ihrem Archiv wiederum als Typhus recurrens beschreibt.

      Ein großes Problem der modernen Medizin ist ihre Spezifizierung, die sich natürlich auch in der Benennung von Krankheiten, Erkrankungen, Syndromen und Symptomen niederschlägt. Vergleicht man die Ausgaben des »Klinischen Wörterbuchs Pschyrembel« der letzten vierzig Jahre, so schwoll deren Umfang und die Anzahl der Stichworte von Jahr zu Jahr an – Folge einer Benennungswut, vor der Hahnemann bereits vor zweihundert Jahren warnte. Heute geht man von über 20 000 Erkrankungen und Syndromen aus, und jedes Jahr kommen neue dazu. Aber das Wissen um deren Linderung oder gar Heilung nimmt stetig ab.

      Auf meine Frage nach ihrem Leiden zählen meine Patienten immer eine Liste von klinischen Erkrankungen auf und verstehen oft nicht, warum ich nachfrage: »Was haben Sie denn wirklich?« Da heute der Borreliose hunderte von Symptomen zugeordnet werden, ist es zunächst wichtig, die Erkrankungssymptome unabhängig von der klinischen Krankheitsbezeichnung zu verstehen.

      Da viele Krankheiten mit weitgehend ähnlichen oder den gleichen Symptomen ablaufen, ist es nicht wichtig, welchen Namen man der Erkrankung gibt, sondern welche Störungen wirklich vorliegen. Es ist für mich immer noch unverständlich, warum die Schulmedizin mit einer ausgefeilten Diagnostik arbeitet, wenn dann doch fast alle Erkrankungen mit nur wenigen Mitteln therapiert werden: meist mit Antibiotika, Kortison und Schmerzmitteln.

      Symptomidentische Erkrankungen werden, vollkommen unabhängig von der vorliegenden »Diagnose«, sehr ähnlich oder sogar gleich behandelt.

      Der Erreger der Borreliose erhielt seinen Namen Borrelia burgdorferi nach seinem Schweizer Entdecker Willy Burgdorfer, der das Bakterium 1981 in den USA entdeckte. Borrelien sind dem Erreger der Syphilis ähnliche, spiralförmige Bakterien, die etwa 10 bis 30 Mikrometer (µm, Tausendstel Millimeter) lang und etwa 0,2 Mikrometer dick sind und wenige, relativ große Windungen aufweisen; im Unterschied zu anderen Spirochäten lassen sie sich mit üblichen Färbemitteln gut darstellen.

      Der Aufbau der Borrelien ist komplexer als jener der Syphilis-, Pinta- oder Frambösie-Spirochäten. Sie haben drei Hüllen, wobei die äußere Zellwand, ähnlich wie bei anderen Bakterienarten, aus einer schleimigen Schicht von Oberflächenproteinen (bakterielle Lipoproteine BLP) besteht. Diese schützt sie vor den T-Zellen des Immunsystems und wirkt wie eine Tarnkappe, die verhindert, dass Antikörper und Fresszellen sie als fremd erkennen. Bei gewöhnlichen gramnegativen Bakterien sind diese Oberflächenproteine nur in drei Genen verschlüsselt, bei Borrelien dagegen sind 150 Gene beteiligt, die es ihnen erlauben, ihre Erkennungsmerkmale fortwährend und augenblicklich zu verändern.

      Borrelien sind in der Lage, ihre normale längliche Gestalt in eine Kugel umzuwandeln. Zudem zeigen Studien, dass sie in weiteren Formvarianten vorkommen können, die unter dem Oberbegriff Sphäroblasten zusammengefasst werden. Diese besitzen eine defizitäre Zellwand oder sind zellwandlos. In Studien wurde nachgewiesen, dass diese Formen sowohl intrazellulär als auch extrazellulär vorkommen können und in der Lage sind, sich trotz ihrer zellwandlosen Form zu teilen und sich auch wieder in komplette Formen zurückzuentwickeln. In dieser Form können Borrelien auch in Knorpelgewebe eindringen und sind damit für Antibiotika unerreichbar. In verkapselter Form bleiben sie mindestens zehn Monate lebensfähig.

      Borrelien können an Körperzellen wie auch an Abwehrzellen andocken, sie können mit Hilfe von Enzymen ein Loch in deren Zellwand bohren, deren Kern abtöten und dann die Zellhülle als »Maske« benutzen. Auf diese Weise gelingt es ihnen, von Immunzellen unerkannt zu bleiben. Sie kopieren Teile ihrer Gene, bauen diese dann in ihre Zellwand ein, zwicken diesen Zellwandteil


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