»Ich bin Trainer, kein Diplomat!«. Frank Willmann
das wäre für niemanden gut ausgegangen.
In diesen Tagen sind wir in voller Montur rumgelaufen. Voll munitioniert, wir durften uns nicht ausziehen. Radioverbot, allgemeine Infos nur von Offizieren.
Ich lag auf dem Bett und schlummerte. Wenn ein Offizier reinkam, hieß es: „Achtung, auf!“ und neben dem Bett stehen. Ich war fertig, hab geschlafen. Hauptmann L. hat mich mit dem Stiefel getreten. Ich erschrak und brüllte ihn an, was das solle. Er ist raus, verschwunden.
Für mich hatte es ein Nachspiel. Als ich kurz darauf nach Hause wollte und L. Dienst hatte, sagte er: „Zeigen Sie mir mal Ihre Kragenbinde. Die ist nicht sauber.“ Obwohl die sauber war. „Tun’se mal ’ne andere rein. Dann kommse wieder.“ Als ich mit der gleichen Kragenbinde wiederkam, prüft er, ob ich lange Unterhosen anhatte. Zuletzt den Haarschnitt: „Die Haare sind zu lang.“ Er zeigte mir auf hundsgemeine Art, wer der Herr im Hause war.
Wenn du ein Jahr dabei bist, wirst du EK. Entlassungskandidat im NVA-Jargon. Und EKs können sich etwas mehr erlauben als Frischlinge. Hauptmann L. wohnte in der Nähe der Kaserne. Er ist mit anderen Offizieren manchmal abends in die Kneipe. Einmal hatten wir gemeinsam Ausgang. Ich schaute genau, wohin er seine Offiziersmütze hing. Hab mir die Mütze geholt. Die Mütze hatte so’n Drahtring, den hab ich rausgemacht. Nun sah die Mütze aus wie ’ne labberige Thälmann-Mütze. Nach einem abschließenden Bad draußen in einer Pfütze hab ich sie heimlich wieder an ihren Platz gehangen. Die Rache des kleinen Soldaten.
Alkohol gab’s innerhalb des Objekts nicht. Silvester und Weihnachten waren wir natürlich geschickt. Wir haben die Wache ausbaldowert, der Mensch ist ja findig.
Zum Glück hatten wir ein Kino in der Garnison. Und die haben ganz gute Filme gebracht. Wenn das Licht ausging, rief einer der EKs, der Entlassungskandidaten:
„EKs, wo seid ihr?!“
Dann schrie das ganze Kino: „Hiiiiieer!!“
Er: „EKs, was wollt ihr?!“
Die Korona antwortete: „Bier!“
Er: „Warum denn keine Brause?!“
Wir voll Inbrunst: „Wir wollen nach Hause!!“
Das war laut, das kannst du dir nicht vorstellen. Der Offizier vom Dienst brüllte: „Licht an! Alles raus!“ Das durfte eben nicht sein. Strammstehen, warten. Wieder rein.
Als das Licht ausging, rief abermals ein EK: „EKs, wo seid ihr?!“
Das ging manchmal bis zu drei Mal. Und dann immer wieder:
„EKs, wo seid ihr?!“
„Hiiiiieer!“
Wir haben uns jeden Scheißfilm dort angeguckt, weil wir nichts anderes hatten. Wir sind durch den Fußball rausgekommen oder zum Trainieren, aber innerhalb der Kaserne bot nur das Kino Abwechslung.
Vorwärts spielte in der Bezirksliga, dritte Spielklasse. Die Zuschauer waren zumeist Soldaten, Soldatenfrauen, Soldatenkinder. Stahnsdorf war Armeegebiet. Später hat mich wieder einer liebgewonnen, der Herr lebte in Babelsberg, er war unser Betreuer bei Vorwärts Potsdam. Er hatte von Fußball keine Ahnung, war von Hause aus Offizier. Nun Offizier a. D. Er hat mich das eine oder andere Wochenende mit in seine Wohnung nach Babelsberg genommen. Ich liebäugelte kurz nach der Armee damit, eventuell bei Motor Babelsberg zu spielen, die war’n damals ’ne ganz gute Mannschaft in der 2. Liga.
Ein Soldat aus meiner Kompanie kam nicht gut mit den Zuständen in der Kaserne klar. Er ist nach seinem Urlaub nicht in der Kaserne erschienen. Das nannte man beim Militär unerlaubte Entfernung. Und wenn drei Mal unerlaubte Entfernung passierte, kam man vor das Militärgericht. Als er verurteilt wurde, mussten wir zur allgemeinen Abschreckung der Verhandlung beiwohnen. Er wurde zu mehreren Monaten Militärhaft verurteilt. Ich habe seine Rückkehr erlebt, er wurde gezwungen, in irgendeiner Tongrube seine Strafe abarbeiten. Diese Zeit musste er zu allem Übel auch noch nachdienen.
An machen Nachmittagen hatten wir Politunterricht. In unserer Kompanie gab’s zwei mit Abitur, den Opernsänger und mich. Damit will ich nicht sagen, dass wir nu klüger waren als die anderen.
Eine Sache, worüber wir uns echt Gedanken machten, war das Problem des ersten Schusses. Wenn es ernst wird, und du musst ins Unbekannte ausrücken. Am Ende ist es ein ernstes Problem für denjenigen, der drüben in West-Berlin liegt, und den, der bei Potsdam liegt. Wer schießt nun zuerst? Vielleicht hast du einen Freund, mit dem du richtig gut zurechtkommst. Wartest du, bis sie den abgeknallt haben, und schießt dann? Oder schießt du als Erster und tust dem auf der anderen Seite etwas an? Das waren ernsthafte Fragen, natürlich wollten unsere Offiziere, dass wir als Erste schossen, obwohl die NVA doch eine Verteidigungsarmee sein wollte. Diese Diskussion hat mich tief berührt. Ich meine, wer will schon Menschen erschießen?
Wir haben in der Anfangszeit häufig Schießübungen absolviert, ich war sogar Scharfschütze. Später war ich SMGSchütze auf so ’nem Panzerspähwagen der Mot-Schützen. Die anderen Soldaten saßen im Fahrzeug, ich hockte oben am MG.
Wacheschieben musste ich hin und wieder, bis der Platzwartjob rief. Man durfte den Gurt des Stahlhelms beim Wacheschieben nicht schließen. Der Feind hätte uns andernfalls am Helm gepackt und den Hals umgedreht. Uns wurde erzählt, dass bei der Bewachung eines Munitionslagers zwei Soldaten so getötet worden sind.
Als die NVA-Zeit endete, hab’ ich mir beim FSV Lok Dresden zwei Studientage genommen. Nach der Armee bekam ich einen Lernschub und vergaß meine angeborene Faulheit. Ich habe in den nächsten zwei Jahren alles aufgeholt und das Studium 1969 abgeschlossen.
Man ist mir seitens der DHfK entgegengekommen. Ich musste zum Beispiel Diskuswerfen. Oder Stabhochspringen. Damit ich was von der Technik kapierte. Im Internat war eine Diskuswerferin, die hat mir das gezeigt. Hab daraufhin die Note 1,5 bekommen. Die Technik hab ich sehr gut beherrscht. Die DHfK war sehr kooperativ, mir wurde auch mal eine Trainingseinheit individuell abgenommen: „Passen Sie auf, Herr Thomale, bis nächste Woche möchten wir das und das abschließen. Dann üben Sie und lesen ein paar Texte.“
Man kann nicht alles beherrschen. Aber du musst wissen, wie es methodisch geht, worauf’s ankommt. Wir haben Biomechanik gehabt, wir waren im Winterlager. Ich bin sechsundzwanzig Meter weit von einer Sprungschanze gesprungen. Ein vorgegriffener Witz: 1990 wollte der DFB mir die westdeutschen Fußballlehrer gleichstellen. Sie waren zumeist sogenannte verdiente Profis, die ein halbes Jahr in Köln studierten, wohlwollend formuliert.
Ernährungslehre war seinerzeit nicht vorhanden. Vorne im Steyer-Stadion gab’s ein Restaurant. Dort konnten wir frühs, mittags und abends essen. Fleisch, Kartoffeln, verkochtes Gemüse. Wir sind auch mal auf den Bahnhof Dresden-Neustadt und haben in der Mitropa gegessen. Ernährungsvorgaben gab’s für die Spieler nicht.
Bücher hab ich im Lauf meines Lebens wenige gelesen, nur gewisse Fachliteratur. Ich war ein visueller Typ, der viel geschaut und dabei gelernt hat. Als ich in Leipzig Trainer wurde, gab’s den Herbert J., der ist mit der DDR-Volleyball-Mannschaft Weltmeister geworden. Er war am Wissenschaftlichen Zentrum in Leipzig. Der las und besaß Weltliteratur. Von ihm hab ich mir ein paar Sprüche zu eigen gemacht.
Eric Heiden war ein amerikanischer Eisschnellläufer, der alles in Grund und Boden lief. Von ihm stammen die Sätze: „Laufe, bis du nicht mehr laufen kannst. Und dann lauf weiter.“
Es geht unheimlich viel über den Willen. Ich hab später oft Endkampf-Eigenschaften trainieren lassen.
Meine Frau Regine kenn ich seit der Berufsschule. Ich war mit der Klasse im Winterlager. Und sie war mit ihrer Abiturklasse dort. Sie war sechzehn und ich neunzehn. Wir haben uns kennengelernt, und so hat sich das entwickelt. Ist lange gegangen, ehe wir richtig zugeschlagen haben. Ich ging nach Dresden, und sie ging nach Nossen, um Pädagogik zu studieren. Eine Art Fernbeziehung, erst mal Geplänkel. Ich wusste glücklicherweise, wo sie in Meißen wohnte, wo sich ihr Zimmerchen befand. Und ich konnte ganz gut pfeifen, ohne dass ich die Finger brauchte. Dann hab ich gepfiffen, und Regine wusste Bescheid: Aha! Unten steht Ulli. So haben wir uns verabredet. Die Mutter hat es irgendwann mitbekommen, der Vater nicht.
Geheiratet