Nach Corona – Unsere Zukunft neu gestalten. Franz Alt

Nach Corona – Unsere Zukunft neu gestalten - Franz Alt


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ist das Glücksniveau der Deutschen trotz Corona- be­dingter Einschnitte kaum gesunken. 80 Prozent der Befragten gaben an, sie seien froh, während der Corona-Krise in einem Land wie Deutschland zu leben. Die meisten Deutschen vermuten, dass sie 2021 wieder genauso zufrieden sein werden wie vor der Pandemie.

       Die Wähler in den USA haben Donald Trump abgewählt. Der neue US-Präsident Joe Biden und seine Vize-Präsidentin Kamala Harris haben angekündigt, dass die stärkste Volkswirtschaft der Welt bis 2035 im Strombereich klimaneutral sein werde. Joe Biden ist der erste Klima-Präsident der USA. Biden und Harris haben mit dem Thema Klimaschutz die Wahl am 3. November 2020 gewonnen. Präsident Trump war ein Klimawandel-Leugner. Mit John Kerry ist nun erstmals ein »Sonderbeauftragter für das Klima« berufen, der als Außenminister unter Präsident Obama das Nuklear-Abkommen mit dem Iran, aber auch das Pariser Klimaschutz-Abkommen vorantrieb.

       Laut der Albert-Schweitzer-Stiftung verpflichten sich die Lebensmittel-Discounter Aldi-Süd und Aldi-Nord zu mehr Tierwohl für Hähnchen in ihrem Sortiment. Schon 350 Konzerne haben sich der Masthuhn-Initiative der Stiftung angeschlossen, darunter auch Nestlé. Die Stiftung hofft, dass sich weitere Konzerne anschließen. Sie setzt auf mehr Tierwohl und auf eine vegane Lebensweise.

       Im Dezember 2019 wählte das finnische Parlament die 34-jährige Sanna Marin zur jüngsten Regierungschefin der Welt. Ihre Koalition besteht aus fünf Parteien, die allesamt von Frauen geführt werden, welche um die 35 Jahre alt sind. Im finnischen Parlament sitzen etwa gleich viele Frauen und Männer. Eine größere Balance zwischen Männern und Frauen auf allen Ebenen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ist die zentrale Voraussetzung für eine bessere Welt. Wenn es uns gelingt, die feminine und die maskuline Schöpferkraft, die in beiden Geschlechtern schlummert, zu integrieren, schaffen wir die eigentliche Voraussetzung für eine bessere, ökologische und friedlichere Welt. 6000 Jahre Patriarchat hat unsere Welt dorthin gebracht, wo wir heute stehen: an den Abgrund! Die Natur sieht immer Ausgewogenheit, Vielfalt und Balance vor, nicht Einseitigkeit, Einfalt und Ungleichgewicht. Alle Umfragen zeigen: Vor allem Frauen und Jugendliche fordern von ihren Regierungen mehr Umwelt- und Klimaschutz.

       Keiner der 30 Dax-Vorstände in Deutschland wurde Ende 2020 von einer Frau geführt. Deutsche Chefetagen sind so einseitig männlich besetzt wie ein Männergesangsverein. Die Unterrepräsentation von Frauen in Politik und Wirtschaft wurde bisher als so selbstverständlich hingenommen wie ihre Überrepräsentation im Niedriglohnsektor, bei der Hausarbeit und bei der Armut. Doch 2020 hat die Große Koalition eine Frauenquote beschlossen. Für die 600 größten Konzerne heißt das: In Vorstände mit mehr als drei Mitgliedern müssen sie künftig mindestens eine Frau berufen. Noch lange keine Gleichberechtigung, aber immerhin ein Durchbruch zu diesem Ziel.

       In Belarus haben 2020 vor allem mutige Frauen den Diktator Lukaschenko ins Wanken gebracht; seine Wahlmanipulation war offenkundig. Die eigentliche Wahlsiegerin Swetlana Tichanowskaja sagt: »In unseren Köpfen hat eine Revolution stattgefunden … Uns sind förmlich Flügel gewachsen.« Sie ist überzeugt: »Die friedliche Revolution wird siegen.« Die gewaltfreie Revolution in Belarus hat ein Gesicht: Es ist weiblich, hat funkelnde Augen, ist mutig, freundlich und entschlossen zugleich. Es strahlt Kraft und Klugheit aus. Die Heldentaten der friedlich demonstrierenden Belarussinnen und Belarussen werden zu fortschrittlichen Ergebnissen führen. Hoffentlich auch bei den Helden des arabischen Frühlings, der auch nach zehn Jahren nicht vergessen ist. 2011 verdichtete sich der Abscheu gegenüber Repression und staatlicher Willkür von Tunis über Kairo bis nach Tripolis, von Damaskus bis nach Sanaa in dem Slogan: »Das Volk will den Sturz des Regimes.« Diese Freiheitsrufe wirken ansteckend. Solange die Rufe nach Brot, Freiheit und Gerechtigkeit nicht gehört werden, ist die Frage nicht, ob es zu neuen Aufständen kommt, sondern wann. Der nächste Aufstand kommt bestimmt.

       Zum Jahresende 2020 schrieb eine Frau in einem Leserbrief der Süddeutschen Zeitung: »Corona hat mir 2020 vor allem gezeigt, was wichtig im Leben ist: Freundschaft, Liebe und ein achtsamer Umgang miteinander. Und natürlich die Gesundheit.« Viele Menschen in unserer Umgebung erlebten auch eine lustvolle Renaissance des Spaziergangs. Gehen ist mehr als Bewegung, Zeitvertreib und Zerstreuung.

       Am 1. Januar 2021 lebten 7.837.693.000 Menschen auf unserem Planeten. Viele Menschen fürchten, dass wir bald über zehn Milliarden sind, und sehen im Bevölkerungswachstum das größte Problem unserer Zeit. Zehn Milliarden sind nicht auszuschließen. Aber auch hier zeichnet sich in der Ferne eine Lösung ab: In den letzten 50 Jahren hat sich das Wachstum der Weltbevölkerung bereits halbiert. Die Ursachen: Die Verteilung moderner Verhütungsmittel und der Zugang zu Bildung für Frauen und Mädchen haben sich weltweit verbessert. Bevölkerungssoziologen gehen davon aus, dass ab etwa 2050 die Erdbevölkerung nicht weiter wächst und in vielleicht 50 Jahren zurückgeht, sodass wir in etwa 200 Jahren noch drei bis vier Milliarden Menschen sein werden.

      7. Nach Corona: Die großen Probleme bleiben

      Doch die großen globalen Probleme der Vor-Corona-Zeit bleiben auch nach Corona bestehen. Leider gehören Deutschland sowie alle neun Atombomben-Mächte (die USA, Russland, China, England, Frankreich, Israel, Indien, Pakistan und Nordkorea) nicht zu den Befürwortern einer atomwaffenfreien Welt. Aber Papst Franziskus, der Groß-Iman von Kairo und der Dalai Lama haben sich als Vertreter der großen Religionen der Forderung nach einer Welt ohne Atomwaffen angeschlossen. Der Dalai Lama sagt allerdings auch: »Ohne Menschen ginge es der Erde besser.«

      Hat er nicht recht? Wir Menschen sind schließlich die Ur­sache für das Artensterben. Wir Menschen haben die Massenvernichtungswaffen erfunden und entwickelt, wir bedrohen uns mit gegenseitiger Abschreckung und Vernichtung, und wir Menschen verursachen die Klimaerhitzung.

      Die Überzeugung dieses Buches: Alle notwendigen Technologien für einen Öko-Wumms nach der Corona-Krise sind vorhanden. Jetzt kommt es darauf an, diesen im Sinne von Konfuzius auch wirklich, wirklich gestalten zu wollen. Wir haben die Chance, nach Corona die Zukunft nicht nur neu zu denken, sondern auch, sie neu zu gestalten. Der derzeitige Prozess ist menschengemacht und deshalb auch veränderbar. Dafür wird die neue Jugendbewegung »Fridays for Future« – unterstützt von 28.000 Wissenschaftlern (»Scientists for Future«) aus der ganzen Welt – schon sorgen. Wir haben hier eine ganz neue und effektive Koalition. Schon in der Corona-Krise hat die Politik gelernt, auf die Wissenschaft zu hören. Wohl noch nie haben auf der ganzen Welt Wissenschaftler*innen eine öffentliche Debatte so dominiert wie während der Corona-Krise. Bill Clinton hat noch Wahlen gewonnen mit dem Slogan: »It’s the economy, stupid.« Künftige Wahlen werden gewonnen nach dem Motto: »It’s the ecology, stupid.« Voraussetzung für die nächste Transformation ist, dass die Politik jetzt bei der Klimaerhitzung so intensiv auf die Wissenschaft hört wie in der Corona-Krise.

      Politik, Wirtschaft und Gesellschaft müssen mehr Zukunft wagen, das heißt, bei unseren Handlungen mehr an die künftigen Generationen denken. Heute gilt noch zu sehr das Motto: »Nach uns die Sintflut.«

      Die Pandemie und die neue globale Jugend- und Kinder-Bewegung »Fridays for Future« sind die Trägerinnen und Treibe­r für die notwendige Politikwende. Weltweit sollte die Friedensbewegung wieder so aktiv werden, wie sie es eindrucksvoll und erfolgreich vor 40 Jahren gewesen ist. In einem Buch, das ich zusammen mit Michail Gorbatschow geschrieben habe (»Nie wieder Krieg – Kommt endlich zur Vernunft«), hat mir dieser Ausnahmepolitiker bestätigt, dass er seine Politik der atomaren Abrüstung gegenüber seinen Hardlinern nur mithilfe der weltweiten Friedensbewegung durchsetzen konnte. Heute, im Zeitalter der atomaren »Modernisierung«, brauchen wir wieder eine neue, starke Friedensbewegung. Die alten großen Parteien in Deutschland schaffen die Kurve nicht, es braucht eine neue Friedensbewegung. Die Friedensbewegung in den Achtzigern des letzten Jahrhunderts wurde von beinahe der Hälfte der Deutschen unterstützt.

      Was wäre ein Atomkrieg? Das habe ich Michail Gorbatschow gefragt. Seine eindeutige Antwort: »Ein Atomkrieg wäre der letzte Krieg in der Geschichte der Menschheit, weil es danach keine Menschen mehr gäbe, die noch einen Krieg führen könnten.« Entweder wir schaffen die Atombomben ab, oder diese schaffen eines Tages uns ab. Wir können realistischerweise nicht davon ausgehen, dass wir immer wieder nur Glück haben werden. Sowohl die Technik als auch ein Politiker kann versagen. Trump in den USA war so unberechenbar, wie Kim


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