DAS ERZ DER ENGEL. Группа авторов
der Meinung so manch selbst ernannten Religionsstifters hier oder auch auf anderen Planeten sind wir Engel ja nicht prüde – und unser Chef übrigens auch nicht. Aber noch immer gab es überhaupt keinen Anhaltspunkt, weshalb ich überhaupt hierher bestellt worden war. So kam ich nicht weiter!
Entschlossen hielt ich auf die große Tafel zu, auf der sich gerade Pharzuph lang ausgestreckt unter einem niedlichen Cherub wand, die auf ihm ritt und gleichzeitig hingebungsvoll und ambitioniert am Mittelstück eines Erdlings nuckelte. Ich tippte den Engel der Wollust heftig an, was ihn aber nur dazu brachte, seinen Arm um meinen Nacken zu schlingen und mich zu sich herunterzuziehen, um mich zu küssen. Ich gab ihm einen Brusthammer, dass der Tisch zusammenbrach. Als er sich aus den Trümmern aufrappelte, war mir zumindest seine Aufmerksamkeit sicher.
»Los, komm mit! Sofort!«, befahl ich ihm, drehte mich um und ging auf ein Separee zu.
»Aber Uriel, Schätzchen, dazu müssen wir uns doch nicht verstecken! Außerdem wusste ich gar nicht, dass du auf mich stehst.«
Ich drehte mich nur um und schaute ihn böse an. Wie gesagt, das war Auftrag Nummer sechs und ich war definitiv urlaubsreif. Jedenfalls schlich der Gute nun schnell an mir vorbei, zog den Vorhang zum Separee auf und scheuchte mit einer Handbewegung zwei sich dort vergnügende Erdlingsfrauen hinaus. Dann verbeugte er sich artig und ließ mich eintreten.
»Was kann ich für dich tun?«, fragte er in geschäftsmäßigem Ton, nachdem wir uns gesetzt hatten.
»Die Frage ist wohl eher, was hast du mir zu sagen? Ich bin schließlich dienstlich hier!«
»Ach, die Obrigkeit wird aufmerksam auf uns? Sehr fein, sehr fein! Du siehst ja, was wir hier aufgebaut haben. Wir leben in völliger Harmonie und Eintracht, Menschen wie Engel. Keine Eifersüchteleien mehr, von wegen keine Seele oder keine Unsterblichkeit, nur freie Liebe, ganz im Sinne vom Boss! Unsere kleine Gemeinschaft floriert und wird mit jedem Tag größer. So nähern wir uns beständig SEINEM Ziel: In jeder Hinsicht gottgleich zu werden! Was soll daran falsch sein?«
»Nein, nein, mein Freund, so brauchst du mir nicht zu kommen! Wegen ein paar Orgien, von mir aus auch mit Menschen, sendet mich der Alte nicht quer durch die Milchstraße. Also raus mit der Sprache: Was hast du ausgefressen?«
Pharzuph seufzte theatralisch, zupfte am Saum seiner Strümpfe, die durch das hoch geschlitzte Kleid hervorblitzten, und zog einen Lippenstift aus seinem Handtäschchen, um sich mit geübtem Strich die Lippen nachzuziehen.
»Ach Urilein, sei doch nicht gleich so böse! Genieße doch ein bisschen die Party! Ich verspreche dir, bald wirst du alles erfahren. Wir stehen nämlich kurz vor unserem großen Ziel und als Höhepunkt dieser kleinen Feier werde ich es präsentieren. Also Geduld, mein Süßer, du wirst begeistert sein!« Mit diesen Worten kniff er mich in die Wange, stand auf und stöckelte davon.
Manchmal denke ich, ich werde langsam zu alt für diesen Job. Sechstausend Jahre sind genug, sollte man meinen. Aber als Erzengel hat man keinen geregelten Pensionsanspruch, leider. Also machte ich zunächst das Beste daraus, sprich: Ich trank ein paar Biere. Bier ist wahrscheinlich das Genialste, was ihr auf diesem Planeten je erfunden habt. Nicht, dass ich davon betrunken werde, aber es schmeckt mir. Im Gegensatz zu dir, mein Freund, wird mich also morgen kein Brummschädel plagen und ich werde mich noch sehr genau an alles erinnern können. Auf dein Wohl! Was sagst du? Wie viele andere Planeten mit Menschen es noch gibt? Millionen, mein Freund, Millionen. Aber für euch gibt es keine Chance eines Besuchs. Haben wir uns fein ausgedacht, das mit der Lichtgeschwindigkeit, gell?
Aber wo war ich stehen geblieben? Ach ja, die große Präsentation …
Pünktlich um Mitternacht dimmte jemand das Licht im Saal, eine Trennwand bewegte sich wie von Geisterhand beiseite und offenbarte eine Bühne, die jedoch noch von einem Vorhang verhüllt wurde. Erwartungsvolles Schweigen senkte sich über die Partygäste. Als der Vorhang hochging, sah man zunächst nur die Silhouette eines großen quaderförmigen Kastens auf einem Podest gegen den spärlich beleuchteten Bühnenhintergrund. Davor, ebenfalls nur als Umriss zu erahnen, stand eine Gestalt, in der ich Pharzuph erkannte. In die Stille hinein konnte man die Anspannung geradezu knistern hören.
Da! Gleißende Scheinwerfer flammten zugleich mit einem grellen Fanfarenstoß auf, ließen den Engel in dunklem Glanz erstrahlen. Hoch aufgerichtet stand er da und badete in der dramatischen Musik, sein schwarzes Kleid floss geradezu an ihm herab. In absoluter Verzückung reckte er seine Arme hoch gegen den Himmel, den Kopf weit in den Nacken gelegt. Er hatte schon immer ein Faible für bombastische Auftritte gehabt, aber das stellte alles Bisherige in den Schatten. Die Musik drängte empor, steigerte sich zu einem orgiastischen Höhepunkt – und verstummte. Und Pharzuph sprach zu seinem Volk.
»Meine lieben Freunde, Mitengel und Sterbliche! Ihr wisst, was dieser Tag für unsere Gemeinschaft bedeutet: Der Preis, das lang ersehnte Ziel unserer Wünsche, ist zum Greifen nah. Ihr alle habt hart gearbeitet, um dieses Ziel zu erreichen, und manchmal schien das Scheitern nah. Doch nun sollt ihr belohnt werden. In wenigen Augenblicken werden wir uns endlich zu dem erheben, was unsere Bestimmung ist! Freunde, es ist so weit: Lasst uns beginnen!«
Er ließ seine Arme sinken und in diesem Moment begann der Kasten hinter ihm in elektrischem Blau zu pulsieren, zunächst nur schwach, doch mit jedem Herzschlag verstärkte sich das Glühen, die Konturen verzerrten sich, Dimensionen schienen zu zerfließen, Umrisse waberten in irrwitzigen Farben, kleine Blitze wisperten entlang verschwimmender Körperlichkeit. Dann: eine donnernde Entladung, die die Zeit selbst gleißend entzweizureißen schien. Dunkelheit. Stille …
Ein einzelner Scheinwerfer blendete verhalten auf und beleuchtete das Podest. Statt des Kastens lag nun dort eine Gestalt auf dem Rücken, zugedeckt mit einem weißen Laken. Pharzuph trat gemessen heran. Er griff unter das Tuch und zog einen leblosen muskulösen Arm darunter hervor. Zärtlich zeichnete er mit dem Finger die zarten Linien der Venen auf diesem nach. Als sich keine Reaktion einstellte, begann er, den Arm zu streicheln, zunächst sanft, dann immer stärker, bis er ihn regelrecht knetete. Das Publikum begann zu tuscheln und Pharzuphs Gesichtsausdruck hatte sich indessen von Verzückung zu Verzweiflung gewandelt.
Doch da! Ein Finger der Gestalt zuckte kurz auf! Pharzuph schrie auf und intensivierte seine Massage. Ein kollektives Stöhnen ging durch die Menge, als der Arm tastend um sich zu greifen begann. Pharzuph sprang auf und riss das Laken von dem Körper. Ein wunderschöner Jüngling lag da und blinzelte mit Babyaugen in das Licht.
Da fiel es mir wie Schuppen von den Engelshaaren! Vor zweihundert Jahren ereignete sich auf der Erde ein dubioser Vorfall, bei uns intern nur als ›Shelley-Zwischenfall‹ bekannt. Darin verwickelt: Pharzuph … Damals konnte er sich irgendwie aus der Sache herausreden und im Endeffekt war auch nicht wirklich etwas passiert, außer dass eine Schriftstellerin plötzlich eine schier unglaubliche Vision zu Papier brachte.
Hier entwickelte sich aber eine völlig andere Sache! Jetzt wusste ich auch, was es bedeutete, als er sagte, er wolle gottgleich werden: Pharzuph wollte Leben erschaffen!
Und anscheinend war ihm das auch gelungen. Nur leider enthielt die Sache einen gewaltigen Haken: Das durfte außer dem Boss niemand!
Die Menge wich erschrocken zurück, als ich mit einem einzigen Schwung meiner Flügel auf die Bühne neben Pharzuph und sein Geschöpf glitt und mich zu dreifacher Menschengröße aufrichtete, silbern glänzend, bewehrt mit dem Schwert aus Licht. Es geht nichts über ein gediegenes Imponiergehabe, sage ich immer. Ich hatte aber ansonsten echt keinen Bock mehr auf Konversation und beförderte das Arschloch daher mit einem einzigen Streich meines Schwertarms Richtung Schöpfer.
Dann wandte ich mich dem Homunkulus zu, der mich mit großen unschuldigen Augen angsterfüllt ansah. Meine erste Vermutung wurde nach einer kurzen Inspektion seiner Aura nun zur Gewissheit: Pharzuph hatte ihm keine Seele geben können! Woher auch, könnte man natürlich sagen. Somit konnte ich den armen Tropf getrost sich selbst überlassen. Auf einen mehr oder weniger ohne Seele kam es auf diesem Planeten sowieso nicht an.
Nun noch zu den Partygästen. Gewiss hatten einige aktive Mitstreiter dabei geholfen, diesen Schlamassel anzurichten, aber ich war sicher, nach dem gerade statuierten Exempel (Pharzuphs Reste glimmten noch