Energiesicherheit. Sascha Müller-Kraenner

Energiesicherheit - Sascha Müller-Kraenner


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der einflussreiche »New York Times«-Kolumnist Tom Friedman argumentiert, dass die energiepolitische Abhängigkeit inzwischen zur zentralen Sicherheitsfrage der USA geworden ist.

      Das Desaster im Irak hat in weiten Teilen des außenpolitischen Establishments der USA zu einem Umdenken geführt. Der Glaube an die zentrale Rolle militärischer Stärke ist verloren gegangen. Das Erklärungsmodell der Clinton-Administration für die Veränderungen in der Welt war die wirtschaftliche Globalisierung. Nach dem 11. September 2001 begann die Bush-Regierung, die Welt ausschließlich durch die Brille des Krieges gegen den Terrorismus zu betrachten. Heute schwingt das Pendel zurück. Langsam, aber sicher setzt sich auch in den USA die Einsicht durch, dass die großen Herausforderungen des globalen Wandels nur durch internationale Kooperation und eine Vielfalt politischer Instrumente bewältigt werden können. Die wichtigste Waffe gegen die Waffe Energie ist, folgt man den Argumenten von Amory Lovins, Tom Friedman oder des ehemaligen US-Vizepräsidenten Al Gore, eine nachhaltige Umgestaltung unserer Energiepolitik.

      Am nachdrücklichsten verfolgt das neue Russland unter Präsident Putin seine außenpolitischen Ziele unter Einsatz der Waffe Energie. Die Rote Armee hat sich aus Osteuropa und Zentralasien schon längst zurückgezogen. Stattdessen wird Russlands Einfluss in seinem alten Herrschaftsgebiet durch Investitionen der großen Ölkonzerne im benachbarten Ausland und durch das Pipelinenetz von Gazprom garantiert. Russlands Energiekonzerne versuchen, begleitet durch politische Abkommen und die Stationierung russischer Truppen, Einfluss und Marktanteile in Zentralasien und im Südkaukasus hinzuzugewinnen. In den westlichen Nachbarländern Weißrussland und Ukraine übt Russland Druck aus, um die Öl- und Gastransitleitungen zu erwerben, die durch diese Länder in Richtung Westen verlaufen. Russland möchte sich als größter Energielieferant für den Westen unverzichtbar machen und dadurch wieder zur Weltmacht aufsteigen.

      China ist inzwischen der zweitgrößte Energiekonsument nach den USA. Dem wachsenden Bedarf stehen jedoch nur beschränkte nationale Energieressourcen gegenüber. Die chinesische Führung selbst macht sich zunehmend Sorgen darüber, dass eine Unterbrechung der Energieversorgung zu einer Schwächung des Wirtschaftswachstums und – dadurch ausgelöst – zu sozialen Unruhen und einer Bedrohung des Regimes führen könnte, das sich vor allem durch die gute wirtschaftliche Entwicklung legitimiert. Auf diese Herausforderung reagiert China mit einer breit angelegten internationalen Energiestrategie. Kern dieser Strategie ist es, über eine direkte Kontrolle der Ölproduktion in wichtigen Exportländern durch staatliche chinesische Ölfirmen den Direktexport nach China zu sichern. Auf dem Weltölmarkt kollidieren die chinesischen Interessen schon heute mit denen der USA. Zwischen China und den USA hat inzwischen auch ein Wettlauf um geopolitische Einflusssphären und Lieferverträge begonnen. Die staatlichen chinesischen Energiekonzerne sind in der Frage, mit wem sie sich einlassen, nicht zimperlich: China kauft auch von Pariastaaten wie dem Sudan und hat langfristige Lieferverträge mit politischen Antagonisten der USA wie dem Iran und Venezuela geschlossen. Im Wettbewerb mit den USA dringen chinesische Ölfirmen nach Afrika und Lateinamerika vor. Begleitet wird der wachsende wirtschaftliche Einfluss Chinas durch diplomatische Initiativen, mit denen China sich als regionales Gegengewicht zu den USA positionieren möchte. Besondere sicherheitspolitische Brisanz entwickelt Chinas Energiehunger in seiner eigenen Nachbarschaft. Vor seinen Küsten möchte China Öl- und Gasvorkommen erschließen – und gerät so in territoriale Konflikte mit seinen Nachbarländern Japan, Vietnam oder den Philippinen. Über das Bündnis mit Russland soll die Lieferung über Land, über die Rückgewinnung Taiwans der Seeweg gesichert werden. Bei all diesen Bemühungen stößt China an amerikanische Einflusszonen.

      Ein neues »Great Game«

      Im ausgehenden 19. Jahrhundert verglich Lord Curzon, der britische Vizekönig in Indien, Zentralasien mit einem Schachbrett. Auf diesem Brett finde ein großes Spiel, das »Great Game« um Macht und Einflusszonen statt. Die Spieler im 19. Jahrhundert hießen Russland und Großbritannien. Russland wollte nach der Eroberung der zentralasiatischen Khanate immer weiter nach Süden, bis nach Afghanistan und Persien, vordringen. Großbritannien wollte seine Besitzungen in Indien und die Seewege dorthin sichern sowie den russischen Vormarsch stoppen. Nachdem in Persien Öl gefunden wurde, ging es aber auch darum, diesen neuen Rohstoff für die britische Flotte zu sichern. Russland und Großbritannien einigten sich schließlich darauf, das Persische Reich in Einflusszonen zu teilen. Die koloniale Erfahrung aus dieser Zeit ist bis heute eine wichtige Quelle des iranischen Nationalismus sowie Wunsches, Atommacht zu werden.

      Auch heute stoßen die Großmachtinteressen in Zentralasien zusammen. An der Neuvermessung der Region, bei der es vor allem um die dort befindlichen Energieressourcen geht, beteiligen sich diesmal Indien, China und Russland, aber auch der Iran und die USA. Russland und die USA versuchen, ihren regionalen Einfluss durch Militärbasen abzusichern. China und Indien investieren massiv in die Öl- und Gasförderung sowie in den Pipelinebau. Der Iran versucht, sich als Kooperationspartner für die energiehungrigen asiatischen Wachstumsökonomien aus seiner politischen Isolation zu befreien. Der Europäischen Union fehlt bisher eine Strategie für die Region, auch wenn europäische Unternehmen in ganz Asien investieren und sich aktiv an der Erschließung von Energieressourcen beteiligen. Dabei könnte die Europäische Union mit ihrer Erfahrung regionaler wirtschaftlicher und politischer Integration ein Modell für die asiatischen Nationalstaaten in ihrem Ringen um Einflusssphären darstellen.

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       Die wichtigsten Gaspipelines im Westen Russlands

      Um die Startaufstellung des Großen Spiels zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf die Karte der großen Öl- und Gaspipelines, die den eurasischen Doppelkontinent wie ein Spinnennetz überziehen. Die tragenden Fäden dieses Netzes gehen von Russland aus und befinden sich unter der Kontrolle der Pipelinemonopolisten Gazprom (Erdgas) und Transneft (Öl). Europa bezieht schon heute den Großteil seiner Erdgasimporte und einen wachsenden Anteil seines Öls über das russische Netz. China und die anderen Länder Ostasiens wollen demnächst ebenfalls von Russlands Reserven profitieren. Beide Seiten, sowohl Europäer als Asiaten, befürchten, dass ihre Abhängigkeit vom russischen Transportmonopol in Zukunft weiter wächst. Deswegen sind sie dabei, alternative Pipelinerouten zu errichten. Die USA importieren zwar bisher kaum Öl und Gas aus Russland, sehen aber den wachsenden regionalen Einfluss Moskaus mit Unbehagen. Außerdem möchte Washington den Zugang amerikanischer Firmen zu den Energiereserven Zentralasiens und des kaspischen Raums sichern. Die Amerikaner unterstützen deswegen den Wunsch der zentralasiatischen Staaten, sich aus der energiepolitischen Umklammerung Russlands zu befreien. Gleichzeitig versuchen die USA, dem wachsenden chinesischen Einfluss entgegenzutreten. Außerdem möchten die USA den Iran isolieren. Ein Blick auf die Landkarte zeigt allerdings, dass die Zahl der Landrouten für neue Pipelines, die sowohl um Russland und seine Verbündeten als auch um den Iran herumführen, begrenzt ist. Deswegen sind die USA bei der Auswahl ihrer Bündnispartner auch nicht wählerisch und lassen sich mit zweifelhaften Regimes wie der Regierung Alijev in Aserbaidschan oder dem autokratisch geführten Kasachstan ein.

      Die beiden zentralen Projekte der amerikanischen Zentralasienpolitik sind die schon erwähnte Baku-Tiflis-Ceyhan (BTC)-Pipeline und das Bündnis mit Kasachstan. Schon fertig gestellt ist die BTC-Pipeline, die Öl aus dem kaspischen Raum per Schiff in die aserbaidschanische Hauptstadt Baku und von dort über das georgische Tiflis zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan transportiert. Eine weitere transkontinentale Gasleitung soll vom Osten Kasachstans über Usbekistan und Turkmenistan, unter dem Kaspischen Meer durch den südlichen Kaukasus und von dort in den Westen führen. Kasachstan hält sich allerdings auch die Bündnisoption mit Russland offen. So unterzeichnete der nationale Pipelinebetreiber am gleichen Tag, als US-Vizepräsident Cheney im Mai 2006 das Land besuchte, ein Abkommen mit Russland und China, um Öl von Westsibirien nach China zu exportieren. Auch Indien will den Ölimport aus Kasachstan und dem benachbarten Turkmenistan verstärken. Der Transport liefe über das bis heute von US- und NATO-Truppen politisch kontrollierte Afghanistan.

      Die energie- und sicherheitspolitischen Interessen der USA in der Region vermischen sich. Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 haben die USA ein Netz von Militärbasen in den zentralasiatischen Staaten ausgebaut. Der Kaukasusstaat Georgien


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