Energiesicherheit. Sascha Müller-Kraenner

Energiesicherheit - Sascha Müller-Kraenner


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      Kann der Peak Oil verschoben, kann das Ölzeitalter verlängert werden? Wenn man die ganzseitigen Anzeigen studiert, die Firmen wie Chevron und Shell zum Thema Peak Oil geschaltet haben, dann lautet die Antwort »Ja«. Die Frage aber ist: um welchen Preis?

      Ölsande – Kanadas Saudi-Arabien

      Illustrativ ist die jahrzehntelang vorgetragene Saga um das angeblich unerschöpfliche Potenzial der Ölsande Kanadas und Venezuelas. Schon Anfang der siebziger Jahre erschien in der deutschen Illustrierten »Stern« ein mit spektakulären Bildern aufgemachter Artikel über die kanadischen Ölsande. Dort, in der westkanadischen Provinz Alberta, machten die Reporter die Zukunft unserer Energieversorgung jenseits von OPEC und Ölembargo aus.

      Öl- oder Teersande bergen potenziell gigantische Reserven an noch unerschlossenen Rohölvorräten. Dabei handelt es sich um mit Öl durchtränkte Erd-, Schiefer- oder Sandschichten, die es in einer Vielzahl von Ländern gibt. Die größten Lagerstätten finden sich in der kanadischen Provinz Alberta, am Orinoko-Fluss in Venezuela und in den Weiten Russlands. Allein die kanadischen Reserven werden größer eingeschätzt als die konventionellen Ölreserven Saudi-Arabiens. Die Ölsand-Großmacht Kanada könnte theoretisch also den Saudis Konkurrenz auf dem Weltölmarkt machen und damit das geostrategische Gleichgewicht massiv verändern.

      Natürlich wäre genau das schon längst passiert, wenn es nicht auch ein paar Probleme bei der Sache gäbe. Denn nicht nur die Kosten liegen erheblich über denen der konventionellen Energieförderung, sondern auch der Aufwand an eingesetzter Energie, Wasser und Naturressourcen.

      Ölsande werden mit Schaufelbaggern im Tagebau gewonnen. Wer einmal die Braunkohletagebaugebiete von Garzweiler oder in der Lausitz gesehen hat, weiß, dass danach eine wenig romantische Mondlandschaft zurückbleibt. Anschließende Renaturierungsmaßnahmen, so sie denn überhaupt durchgeführt werden, können die verlorene Natur nicht wieder herstellen, sondern produzieren eine arten- und abwechslungsarme Ersatzlandschaft. Aber die ursprüngliche Natur, die es beispielsweise in Kanada noch gibt, kann nicht wieder zurückgeholt werden. Der Ölsandabbau im Westen Kanadas ist außerdem um Dimensionen größer angelegt als der Kohletagebau, wie wir ihn aus Deutschland kennen. Ganze Wälder werden heute dafür abgetragen, Flüsse umgeleitet und Menschen umgesiedelt. Bei Unfällen können Gewässer und Trinkwasser mit Öl verunreinigt werden.

      Ein Viertel des Energiegehalts des gewonnenen Rohöls muss für die aufwändige Förderung und Aufbereitung der Teersande sowie die anschließende Renaturierung aufgewendet werden. Das Öl wird durch Wasserdampf aus dem Sand herausgepresst, der durch die Verbrennung von Erdgas erhitzt wurde. Von der kanadischen Regierung wurde sogar schon erwogen, ein eigenes Atomkraftwerk zu errichten, um die notwendige thermische Energie zur Wasserdampferzeugung bereitzustellen. Neben dem hohen Energieverbrauch sind auch die benötigten Wassermengen ein Problem: Das Wasser muss anschließend aufwändig gereinigt und über eigens angelegte Kanäle in das denaturierte Flusssystem zurückgeleitet werden.

      In den abgelegenen Fördergebieten Sibiriens oder am tropischen Oriniko wäre die Gewinnung vermarktbaren Öls aus Schiefer und Sand keinesfalls kostengünstiger. Die Umweltauswirkungen des großflächigen Abbaus von Ölsand im Tagebau können dort nur geschätzt werden. Während jedoch in der Demokratie Kanada die Medien und Umweltverbände für ein Mindestmaß an Transparenz und Kontrolle sorgen, spielt sich die Ölexploration an den letzten Grenzen der Tropen oder der Arktis weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit ab.

      Die Ölsande Kanadas sind nur ein – wenn auch besonders illustratives – Beispiel dafür, dass die Erschließung neuer Öl- und Gasvorkommen immer teurer, immer schwieriger und auch immer gefährlicher für Mensch und Natur wird. Die ersten Ölquellen Nordamerikas und im Mittleren Osten wurden noch dadurch entdeckt, dass Öl natürlich an die Oberfläche trat. Viele dieser Quellen waren seit der Antike bekannt: In Mesopotamien wurden Teer und Öl zur Dichtung von Booten und als medizinische Wundersalbe genutzt. Im heutigen Aserbaidschan entstand der Feuerkult des Zarathustra dort, wo sich an der Erdoberfläche austretende Ölquellen selbst entzündeten. Solche leicht zugänglichen Quellen werden heute nicht mehr neu gefunden, und die meisten bekannten sind inzwischen erschöpft. Es muss immer tiefer gebohrt werden, durch härteren Stein, durch Eis oder unterm Meeresboden. Da die globale Ölindustrie auf der Suche nach den letzten Verstecken des Schwarzen Goldes mittlerweile in die letzten Wildnisse vordringt, steigt auch der Preis für die Natur.

      Alternative Erdgas

      Gleichzeitig wird deutlich, dass auch die lange gefeierte Alternative Erdgas nicht unbegrenzt und billig zur Verfügung steht. Das Peak Gas, also der Scheitelpunkt der weltweiten Gasförderung, liegt allerdings weiter in der Zukunft als der Höhepunkt der Ölförderung. Viele Länder sind gerade erst dabei, Kraftwerke und Wärmeerzeugung von Öl oder Kohle auf Erdgas umzustellen. Erdgas hat eine Reihe von Vorteilen. Es verbrennt schadstoffarm und hat einen geringeren CO2-Gehalt pro Energieeinheit als Kohle und Öl. Viele Umweltpolitiker, die dafür eintreten, langfristig komplett auf erneuerbare Energien umzustellen, akzeptieren Erdgas als Übergangslösung. Für diese umweltpolitische Strategie stellen die neuerdings stark ansteigenden Gaspreise ein massives Problem dar.

      Oftmals tritt Erdgas auf schon erschlossenen Ölfeldern auf, wurde bisher jedoch unzureichend genutzt. Vielerorts wird das austretende Erdgas weiterhin abgefackelt und erzeugt damit keine Energie, wohl aber das Treibhausgas CO2. Das Potenzial der Erdgasnutzung aus vorhandenen Quellen ist also erheblich. Seitdem die systematische Erkundung begonnen hat, werden außerdem jährlich mehrere große neue Erdgasfelder entdeckt.

      Der Transport von Erdgas zum Kunden erfolgt in der Regel über Pipelines. Da es über längere Strecken immer aufwändiger wird, den Gasdruck in solchen Rohrleitungen aufrechtzuerhalten, gilt als Faustregel, dass Gaspipelines eine maximale Reichweite von 4.000 km haben. Deswegen gibt es bisher keinen globalen Gasmarkt, sondern nur regionale Netzwerke.

      Das könnte sich mit dem zunehmenden Trend zur Verwendung von Flüssiggas (Liquid Natural Gas, LNG) ändern. Erdgas kann unter Druck und niedrigen Temperaturen verflüssigt werden. Der Vorteil liegt einerseits darin, dass so das Volumen des Erdgases reduziert wird. Außerdem kann es wie Öl mit Tankern zu seinem Zielort transportiert werden. Die größte Flüssiggasanlage der Welt wird momentan für den ostasiatischen Markt auf der russischen Pazifikinsel Sachalin errichtet. Von der arktischen Jamal-Halbinsel aus soll LNG mit Tankschiffen nach Nordamerika exportiert werden. Neben Europa und den ostasiatischen Staaten hätte Russland damit einen dritten Abnehmermarkt für seine Gasexporte. Auch Nigeria und Algerien setzen auf Flüssiggasexporte nach Europa. Japan und China interessieren sich besonders für den von Pipelines unabhängigen Zugang zum sauberen Erdgas.

      Durch die unbegrenzte Transportfähigkeit von Flüssiggas per Tanker wird der Markt für Erdgas zum Weltmarkt. An den Küsten Nordamerikas und Ostasiens werden derzeit überall Flüssiggas-Terminals errichtet. Auf den Werften herrscht ein Auftragsboom für neue Tankschiffe.

      Bisher bildet sich der Erdgaspreis nicht am Markt. Die meisten Lieferverträge sehen eine langfristige Preisbindung vor. Nur so waren die immensen Investitionen in das gigantische Pipelinenetz möglich, das beispielsweise Ost- mit Westeuropa verbindet. Enge Bündnispartner Russlands, beispielsweise das diktatorisch regierte Weißrussland, erhalten Preisnachlässe. Der Gaspreis für die Ukraine soll zwar stufenweise erhöht werden, wird aber weiterhin durch die Beimischung billigeren turkmenischen Erdgases niedrig gehalten. Ansonsten ist der an den weltweiten Spotmärkten gehandelte Gaspreis an den Ölpreis gekoppelt. Diese Koppelung wird, wenn beide Produkte zukünftig unabhängig voneinander gefördert und gehandelt werden, über kurz oder lang aufgehoben werden.

      Erdgas ist wahrscheinlich der für politische Krisen anfälligste Rohstoff, der auf dem Weltmarkt gehandelt wird. Die festen Pipelines sind teuer, haben lange Bauzeiten und sind danach nicht mehr zu verlegen und umzuleiten wie ein Öltanker. Wer auf Gas setzt, setzt deswegen auf zweierlei: auf die wechselseitige Abhängigkeit von Produzent und Verbraucher sowie auf die Diversifizierung der Quellen. Europa hat das Glück, von erdgasexportierenden Ländern umgeben zu sein. Auch wenn einige osteuropäische Länder ihr Gas fast ausschließlich von Russland beziehen,


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