Anders Wirtschaften - Gespräche mit Leuten, die es versuchen. Группа авторов

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in Gesprächen vorgestellten fünf Wirtschaftsformen grenzen sich mehr oder weniger stark von der herkömmlichen Geldwirtschaft ab. Die einen verstehen sich als komplementäre Institution zur bestehenden Wirtschaftsordnung, die allenfalls ihre Systemschwächen kompensiert. Andere verstehen sich als Alternative zum Kapitalismus.

       Der Talente-Tauschkreis in Vorarlberg hat mehrere zinslose Lokalwährungen eingeführt, die besser als das herkömmliche Geld den lokalen Austausch und die soziale Integration fördern sollen.

       Die Zeitgutschriften für Betreuungsarbeiten in Obwalden und St. Gallen sollen die gegenseitige Hilfe von Bürgerinnen und Bürgern stärken und den Gemeinden helfen, Betreuungsleistungen zu erbringen, die von den Gemeinden kaum mehr zu bezahlen sind.

       Das Carsharing-Unternehmen Mobility ist aus einem konsumkritischen und ökologischen Freundeskreis entstanden. Bis heute hat es die Organisationsform einer nicht gewinnorientierten Genossenschaft beibehalten.

       In der Kommune Niederkaufungen wird auf individuellen Geldbesitz verzichtet – die Einnahmen und Ausgaben werden innerhalb der Kommune sozialisiert.

       Auf dem Pappelhof wird auch in den Beziehungen nach aussen teilweise auf den äquivalenten Tausch verzichtet: Die produzierten Kartoffeln werden verschenkt.

       Durch wirtschaftlichen Austausch Gemeinschaft stiften

      So unterschiedlich weit die fünf Beispiele auch von der konventionellen Wirtschaft entfernt sind, teilen sie doch zwei Charakteristika. Zum einen sind die Projekte wie erwähnt nicht gewinnorientiert und zum anderen konstituieren sie Gemeinschaften, die von der Zweck- bis zur Lebensgemeinschaft reichen.

      Beinahe klösterlich in ihrer Konzentration auf das Gemeinschaftsleben und in ihrer Abgrenzung gegen aussen stellt die Kommune Niederkaufungen hier den einen Pol dar. Den anderen Pol bildet Mobility, eine Firma mit starker Markenidentität, die sich von einer konventionellen Autovermietung aber darin unterscheidet, dass ihre Nutzer auch ihre Eigentümer sind. Auf dem Pappelhof wird Gemeinschaft in unterschiedlicher Abstufung und zeitlich limitiert gelebt, je nachdem, wie stark die Mitglieder zum Experiment beitragen und wie sehr sie Gesinnung und Habitus der «Beitragsökonomie» teilen. Die Zeitvorsorgen St. Gallens und Obwaldens beziehen sich unterschiedlich stark auf bereits bestehendes Gemeinschaftsengagement und fördern die Solidarität unter den Beteiligten. Und schliesslich konstituieren die Talente-Alternativwährungen «Zahlungsgemeinschaften» im Sinne der chartalistischen Schule1: Sie inszenieren den wirtschaftlichen Austausch als gemeinschaftsstiftendes Ritual.

      Dass man die Gemeinschaftsbildung überhaupt als gemeinsames Element alternativer Wirtschaftsformen bestimmen kann, liegt daran, dass die Geldwirtschaft genau dies nicht leistet. In der Geldwirtschaft treten die wirtschaftlichen Akteure miteinander auf vertragliche Art in Austausch, was keinerlei soziale Beziehung voraussetzt oder zur Folge hat: Der marktwirtschaftliche, geldvermittelte Austausch ist liquidierend, d.h. die Tauschpartner sind nach dem vollständigen Vollzug der Transaktion quitt.2 Unsere Gesellschaft hat es mit der Einrichtung eines Marktes der liquidierenden Transaktionen geschafft, den wirtschaftlichen Austausch von allen sozialen Verpflichtungen zu entlasten. In den Worten Polanyis wurde er dabei von einem in die Gesellschaft eingebetteten Zustand in einen uneingebetteten übertragen.3 Das hat einerseits zu einer starken wirtschaftlichen Eigendynamik und andererseits zu Individualismus und zur Unterordnung der Gesellschaft unter den Markt geführt – wie Polanyi in seinem Werk «The Great Transformation» festgestellt und beklagt hat. Die marktwirtschaftliche Praxis hat somit den materiellen Austausch seiner ursprünglichen – und bei uns noch in Familien und unter Freunden fortlebenden – geselligen und gemeinschaftsstiftenden Funktion beraubt4 und setzt an die Stelle von sozialem Sinn den Geschäftssinn. Der Zweck des anonymen, geldvermittelten Austausches erfüllt sich in individuellem Konsum oder Gewinn.

      Die in diesem Band vorgestellten Wirtschaftsformen knüpfen in ihrer Kapitalismuskritik explizit oder implizit an Polanyis Analyse an und setzen auf eine Veränderung der Form des Austausches. Damit unterscheiden sie sich von der Kapitalismuskritik des Sozialismus. Dieser hat interessanterweise die marktwirtschaftliche Form des Austausches nicht grundsätzlich infrage gestellt: Er will weder das Geld abschaffen noch die mit dem Geld verbundenen liquidierenden Transaktionen, die ja immerhin auch individuelle Ungebundenheit und Freiheit versprechen. Er kritisiert nicht die Form des Austausches, also seine Qualität, sondern die quantitative Ungleichheit im kapitalistischen Austausch. Gemeint ist die Ausbeutungsbeziehung in den Austauschprozessen zwischen den Angehörigen der arbeitenden und der besitzenden Klassen. Er verfolgt als gesellschaftspolitisches Ziel die Reduktion und letztliche Abschaffung der Ungleichheit im Austausch durch eine gerechte Verteilung von wirtschaftlichem Mehrwert zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern.

      Dagegen haben sich die hier vorgestellten Wirtschaftsformen ab den frühen 1970er-Jahren aus sozialen Bewegungen entwickelt, die sich sowohl vom zunehmend hegemonialen Kapitalismus als auch vom immer mehr diskreditierten Sozialismus distanzierten. Diese streben nichts weniger als die Wiedereinbettung der Wirtschaft oder zumindest des Austausches in soziale Beziehungen an. Der wirtschaftliche Austausch soll sich nicht in der Realisierung und Verteilung von Rendite erschöpfen, sondern zwischen den Austauschenden dauerhafte, von gegenseitiger Verpflichtung getragene Beziehungen schaffen.

      Alle hier vorgestellten Wirtschaftsformen sind erfolgreich, wenn sie sowohl an ihrer ökonomischen als auch an ihrer gemeinschaftsstiftenden Wirkung gemessen werden. Bei Mobility überwiegt der ökonomische Nutzen. Die Genossenschaft ist heute für die meisten Mitglieder wenig mehr als eine Zweckgemeinschaft – eine anonyme Plattform, über die sie ihre Mobilitätsbedürfnisse effizient befriedigen, wie Theo Wehner in seinem Kommentar feststellt. Im Vergleich dazu sind die Kommune Niederkaufungen und der Pappelhof erklärtermassen in erster Linie Experimente gesteigerten Zusammenlebens. Die Mitglieder nehmen dafür ein Leben mit geringem materiellem Wohlstand in Kauf. Die Reichweite und gesamtwirtschaftliche Bedeutung dieser beiden Institutionen, aber auch jene der Zeitbanken und der Alternativwährungen im Talente-System, sind begrenzt. Dies liegt daran, dass diese Gruppen Solidarität und Vertrauen nach innen mit einer Abgrenzung nach aussen verbinden müssen. Besonders deutlich wird dies am Beispiel der Kommune Niederkaufungen, wie Aldo Haesler in seinem Kommentar aufzeigt. Nicht zufällig tragen die meisten vorgestellten Organisationen das Lokale bereits im Namen: Pappelhof, Niederkaufungen, St. Gallen, Obwalden, Vorarlberg. Je stärker die gemeinschaftsbildende Funktion, desto lokaler die Organisation.

       Anders Wirtschaften in einer geschäftigen Welt

      Es ist wohl kein Zufall, dass die Wurzeln der hier vorgestellten Wirtschaftsformen in die frühen 1970er-Jahre zurückreichen, als die neoliberale Wirtschaftsordnung und die Globalisierung ihren hegemonialen Siegeszug antraten. Sie sind Reaktionen darauf. Es ist auch kein Zufall, dass sie, seit diese Wirtschaftsordnung mit der Finanzkrise in breiten Kreisen als problematisch wahrgenommen wird, als Alternative ernster genommen werden. Soziale Entrepreneure, engagierte Bürger und Gemeindepolitiker haben erkannt, dass Formen des Austausches, wie sie mit Lokalwährungen, Zeitbanken und Sharing-Systemen verbunden sind, Gemeinschaft stärken und noch dazu allenfalls Kosten für Private und die Öffentlichkeit senken können. Sie helfen deshalb strukturelle Schwächen der formellen Wirtschaft und des rückgebauten Sozialstaates zu kompensieren.

      Es ist eine Stärke der vorgestellten Formen des Anders-Wirtschaftens, dass sie zugleich individuellen und gesellschaftlichen Bedürfnissen entgegenkommen. Die Sehnsucht danach, den Austausch nicht entfremdet, sondern gemeinschaftsstiftend und möglichst egalitär zu erleben, ist für viele eine hinreichende Motivation, um bei Zeitbörsen und Lokalwährungen mitzumachen. Dass diese zugleich strukturelle Defizite des neoliberalen Regimes reduzieren helfen, motiviert die Beteiligten kaum, wie in den Gesprächen deutlich wird, macht sie aber auch für neoliberale Politik interessant. Dies ist ein Widerspruch, mit dem gerade die genannten beiden Tauschsysteme zu leben haben. Trotz dieser Nützlichkeit im neoliberalen Regime tragen sie wohl langfristig dazu bei, dass die herkömmliche Geldwirtschaft immer mehr hinterfragt wird. Indem ihre Mitglieder alternative wirtschaftliche Praktiken einüben, schärfen sie das, was Robert Musil den Möglichkeitssinn5 genannt hat. Auch wenn fast alle Beteiligten an den vorgestellten Modellen des Anders-Wirtschaftens ihr


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