Junger Herr ganz groß. Ханс Фаллада

Junger Herr ganz groß - Ханс Фаллада


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vergessen, ein böser Menschenfeind, in seinem Ückelitz gehaust. Dann war noch einmal ein großes Gerede gekommen, aber dieses Mal nicht über den Vater, sondern über den Sohn. Denn einen Sohn hatte der alte Herr von Lassenthin, wenn auch schon längst keine Frau mehr. Den Sohn, meinen Onkel also, aber keine zehn Jahre älter als ich, den Gregor von Lassenthin, kannte ich besser, und ich konnte ihn vielleicht noch weniger ausstehen als den Vater. Der Alte war doch wenigstens ein Kerl, wenn auch ein unangenehmer, der Sohn aber war so ein richtiger Schönling, ein Frauenmann, weibisch, künstlich. Er kam selten genug zu uns herauf nach Vorpommern, meist lebte er in Italien oder in München, und manche behaupteten auch, er sei ein richtiger Kunstmaler in Öl. Ich habe aber nie ein Bild von ihm zu sehen bekommen, und wenn er bei uns war, tat er nichts anderes als zwischen Weiberröcken herumzuhocken und Lieder zur Laute zu singen und allen Mädchen die Köpfe zu verdrehen. Einfach ein Horror, dieser Kerl!

      Daß es zwischen einem solchen Vater und einem solchen Sohn nie gut gehen konnte, war klar, und Gregor war im Jahr auch höchstens vier Wochen auf Ückelitz, wahrscheinlich gerade die Zeit, die not war, dem Vater das Geld für ein weiteres Jahr Lieder- und Luderleben abzujagen. In der letzten Zeit aber soll es zu einem völligen Bruch zwischen den beiden gekommen sein, denn Gregor war, wie das Gerede erzählte, ehrlos mit der jungen Frau eines andern durchgegangen. Der hatte ihn gestellt, aber Gregor war feige gekniffen und hatte sich bei seinem Vater verstecken wollen. Ehrlos war der Alte nie gewesen, er hatte den Sohn vor die Pistole des andern zwingen wollen, war dann aber schließlich für ihn eingetreten und hatte den Sohn für immer fortgejagt ...

      Was an all diesen Geschichten wahr und erfunden war, das wußte wohl außer den zunächst Beteiligten nur der alte Geheimrat da auf meinem Alex, und daß der mir nichts erzählen würde, stand fest. Im Grunde war es mir auch ganz egal, diese sogenannten Weibergeschichten sind mir immer ekelhaft gewesen, und ich habe den Gregor schon deswegen nie ausstehen können, weil er, der mit den Frauen so schmeichelte und galant tat, in Herrengesellschaft beim Wein stets die schmutzigsten Geschichten erzählte. Rein um unsern stillen Weg etwas zu beleben, fragte ich aus meinen Gedanken heraus plötzlich den alten Geheimrat: »Was macht eigentlich der Gregor? Ist er jetzt auf Ückelitz oder treibt er sich wieder in der Welt umher?«

      Meine unerwartete Frage warf den alten Rat fast aus dem Sattel. »O Gott!« rief er. »Nun fragst du mich auch noch nach dem Unglücksmenschen, Lutz, und ich grübelte die ganze Zeit darüber, wie ich zu ihm komme, ohne daß der Alte es merkt!«

      »So ist der Gregor also auf Ückelitz?« fragte ich weiter. »Die Leute erzählen doch –«

      »Glaube du den Leuten und ihren Erzählungen nie ein Wort«, sagte Herr Gumpel streng. »Es ist alles ganz, ganz anders.« Er schüttelte traurig den Kopf und sah mir prüfend von oben her ins Gesicht. »Du hast so ein gutes, offenes Gesicht, Lutz«, fuhr er fort, »und ich möchte dich um nichts in der Welt in diese schlimme Geschichte hineinziehen. Ich dürfte ja nie wieder deiner Frau Mama die Hand geben. Und doch grübele ich schon die ganze Zeit, ob ich dich nicht um einen kleinen Dienst bitten kann.«

      »Und was wäre das für ein Dienst?« fragte ich, etwas neugierig und etwas ungeduldig.

      »Sieh einmal, Lutz, mein Junge«, sagte der Geheimrat vorsichtig. »Ich habe es dir ja schon gesagt, ich muß den Sohn sprechen, ohne daß der Vater es merkt – in einer gerechten Sache, wohlverstanden. Würdest du es nun für möglich halten, daß du mir vorausrittest und dich bei dem alten Raubold – Gott sei's geklagt – melden ließest und ihn nur etwa eine Viertelstunde im Gespräch festhieltest? Schließlich bist du doch sein Neffe, sein Großneffe, will ich sagen.«

      »Ich kann verdammt schlecht lügen, Herr Geheimrat«, meinte ich bedenklich. »Was soll ich denn für einen Vorwand haben?«

      »Ach, irgendeinen. Daß dein Pferd lahmt oder daß dir schlecht geworden ist.«

      »Das würde er mir beides nicht glauben. Aber ich könnte ihn eigentlich wegen der Weizenlieferung an Ole Pedersen um Rat fragen. Nur, Herr Geheimrat, ich möchte wirklich nicht gern was für Gregor gegen den Alten tun. Ich kann den Gregor noch weniger ausstehen als den Alten.«

      »Aber ich habe dir doch gesagt« – der Geheimrat war jetzt endgültig bei dem gewohnten »Du« angelangt, das er nur Mamas wegen immer wieder zu verbessern suchte –, »ich habe dir doch gesagt, daß du für einen Schwachen kämpfen sollst.«

      »Ach«, sagte ich in meinem Jugendstolz, »für dieses weggelaufene Frauenzimmer?«

      »Still! Still!« rief der Geheimrat fest, sah sich nach allen Seiten um und legte den Finger auf den Mund. »Du weißt nicht, was du redest. Du hast auf Geschwätz gehört, und das sollte ein Ehrenmann nie tun. Also willst du mir helfen oder willst du nicht?«

      Meine Heimat Vorpommern ist ein schönes Land, das ich über alles liebe. Aber es ist kein geheimnisvolles Land; so wie es offen und plan daliegt, entbehrt es der Überraschungen und Abenteuer. Ich war jung, hier winkten ein Abenteuer, eine verlästerte Frau, ein schwächlicher Verführer, ein kauziger Alter. Ich überlegte keine Minute, da sagte ich schon: »Ich will, Herr Geheimrat.«

      »Ich danke dir, Lutz, mein Junge«, sagte der alte Herr und schüttelte mir die Hand. »Du solltest mir auch nur in dieser einen kleinen Sache helfen. Der Himmel verhüte es, daß deine Mutter mir einmal Vorwürfe macht.«

      »Nun, Herr Geheimrat, eines müssen Sie mir schon außerdem noch erlauben, daß ich nämlich hinterher mit meinem Alex auf Sie warte und Sie wieder heil nach Stralsund bringe.«

      Man sieht, den Weizen und den Käptn Ole Pedersen, die Briefe der kleinen Madeleine und die zornige Bessy hatte ich schon vollkommen vergessen, so tief steckte ich bereits in meinem neuen Abenteuer. Ich war damals eben wirklich nicht mehr als dreiundzwanzig Jahre alt, nein, kaum so viel. Wir entwarfen nun noch unsern Schlachtplan, der einfach genug war: Ich sollte offen auf den Hof reiten und mich beim Alten melden lassen, während der Geheimrat Gumpel indes von der Gartenseite her ins Schloss und beim Gregor eindringen würde.

      Ich saß wieder auf, und wir schüttelten einander noch einmal die Hände. »Hals- und Beinbruch, Lutz«, sagte der alte Herr fast gerührt. »Und wenn etwas doch schiefgeht, denke zuerst an deine Frau Mama und an dich. Ich bin ein alter juristischer Fuchs und laviere mich auch aus den schwierigsten Lagen.«

      Ein wenig bänglich ritt ich nun doch auf den großen Hof, der selbst an diesem schönen Junitag finster und öde dalag. Die Hufe meines Alex klapperten über die Pflastersteine, zwischen denen Gras genug wuchs, aber kein Mensch ließ sich sehen, dem ich die Zügel des Gauls in die Hände hätte geben können. Öde und grau blickten die Fenster des Herrenhauses auf mich herab, als lebte kein Mensch hinter ihnen. So mußte ich schon mein eigener Stallbursche und Anmelder sein. Ich schlang des Alex Zügel um die gebrechlichen Reste eines Staketenzaunes und stieg die Stufen zur Haustür hinauf.

      Ich war aber noch nicht auf der letzten, da flog die Tür auf, als hätte ein Fußtritt sie gesprengt, und in der Öffnung stand mein Großonkel in eigener Person und schrie mich an: »Mach, daß du von meinem Hof kommst, du Bengel! Ich bin für niemanden hier, hüt bün ick mißkumpabel!«

      Dabei sah er mich unter seinen buschigen Brauen so zornig an, daß ich es ihm ohne weiteres glaubte, daß er »mißkumpabel« war, was wohl nach allgemeinem Sprachgebrauch schlechter Laune heißen sollte. Ich machte aber meine beste Verbeugung und sagte sehr höflich, wenn auch meine Stimme ein bißchen zitterte: »Ich bin der Ludwig von Strammin, Herr Großonkel, und hätte Sie gern um eine Auskunft gebeten.«

      »Strammin?« schrie er. »Strammin? Denkst du, Jüngling, das mußt du mir erst sagen? Ich kenne eure ekelhaften Stramminer Visagen schon seit hundert Jahren, und sie waren mir schon verhaßt, ehe du noch geboren warst!«

      »Nun, Herr Großonkel«, antwortete ich, und mein Herz pochte dabei wie ein Dampfhammer, denn der Herr von Lassenthin sah aus, als würde er mich jeden Augenblick die Treppe hinabwerfen, und das wäre ein unauslöschlicher Flecken auf meiner Ehre gewesen. »Wenn Ihnen der Name Strammin so gut bekannt ist, so werden Sie auch wissen, daß mein Vater fast der einzige Mann in Vorpommern ist, mit dem der Herr Großonkel noch keinen Streit gehabt haben.«

      Der alte


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