Feuerblüte III. Катя Брандис
das zu gestehen.
Jorak verzog das Gesicht. „Das wird schwer. Beides wäre am besten, ich fühle mich ziemlich halb-halb. Lass mich darüber nachdenken, ja? Immerhin muss ich über meine Zukunft entscheiden. Morgen sage ich es dir.“ Er zögerte. „Übrigens ... es könnte sein, dass ich den Calonium-Armreif eine Weile ablegen muss. Das Ding verrät mich, jeder Mensch der Feuer-Gilde spürt es an mir.“
Ihre Armreife waren ein Symbol ihrer Liebe, sie hatten sie gemeinsam geschmiedet. Alena schmerzte es, dass Jorak den Armreif ablegen wollte, aber sie verstand seine Gründe. „Du kannst ihn abgeschirmt bei dir tragen“, erklärte sie ihm. Zum Glück fanden sie in Keldos Lager einige flache Dosen aus Nachtholz, in die der Armreif genau hineinpasste.
In dieser Nacht lagen sie lange wach. Alena starrte mit hinter dem Kopf verschränkten Armen in die Dunkelheit. Sie hatte eine bittere Ahnung davon bekommen, was es bedeutete, einen Ausgestoßenen als Gefährten zu haben. Wenn er gildenlos bleibt, dann werden wir ständig kämpfen müssen, dachte Alena. Wir werden nie einfach so in eine Schänke gehen, zusammen durch einen der Bezirke schlendern können. Zusammen leben? Können wir vergessen, die Gilde würde mich sofort ächten. Ich dürfte ja eigentlich nicht mal mit ihm reden. Ein kleiner Fehler und mein Leben ist genauso ruiniert wie seins.
Und was war mit ihrer eigenen Zukunft? Sie wusste noch immer nicht, was ihr Weg war, wie sie ihren Lebensunterhalt verdienen sollte – daran hatten ihre Erkundungen jenseits der Grenze nichts geändert. Alle anderen jungen Meister hatten längst ihren Platz im Leben gefunden, nur sie driftete noch herum und hatte nicht einmal eine vage Ahnung von dem, was sie machen konnte und wollte. Nicht mal die Schmiede ihres Vaters zu übernehmen ging jetzt. Natürlich, sie konnte ihre eigene Schmiede aufmachen, aber das reizte sie nicht wirklich.
Alena fühlte sich fast erdrückt von all diesen Problemen. Aber dann dachte sie trotzig: und wenn schon. Wir schaffen das – irgendwie. Und ich gebe Jorak nicht auf – komme, was wolle!
Totensee und Lebensbaum
Es war das erste Mal, dass Rena eine Todes-Zeremonie der Wasser-Gilde miterlebte. Still stand sie neben Tjeri, ihrem Gefährten, zwischen den anderen Leuten und wartete ab. Ihre bloßen Füße gruben sich in den feuchten Sand des Ufers und fühlten sich an, als würden sie bald abfrieren. Es war früher Morgen, noch schwebte Nebel über dem Heiligen See nahe Xanthu. Mit einem Schauder sah Rena, dass sich Hunderte von weißen Fischen im Flachwasser eingefunden hatten – sie wussten aus Erfahrung, was bald kommen würde.
Nur wenige Schritte von den Fischen entfernt, am Ufer, hatte sich eine dichte Menschenmenge versammelt. Der Große Udiko war ein berühmter Sucher gewesen, er hatte vielen Bewohnern Dareshs geholfen. Viele von ihnen waren heute gekommen, um Abschied zu nehmen. Rena bemühte sich mit ihnen gemeinsam das Ner´uljipa zu sprechen, die Abschiedsformel der Wasser-Gilde. Sie ärgerte sich darüber, dass sie sich im fünften Satz verhaspelte, und bewegte lieber nur noch die Lippen.
Sie spürte, wie Tjeri neben ihr mit den Tränen kämpfte, und nahm tröstend seine Hand. Als er von Udikos Tod erfahren hatte, hatte er seinen Suchauftrag in Alaak sofort abgebrochen, um hier sein zu können.
Udikos massiger Körper wurde in ein Kanu getragen und von zwei Hütern hinausgerudert. Rena wandte den Blick ab, als die Leiche in den See fiel – sie wollte nicht sehen, wie sich die Fische darüber hermachten. Tjeri hatte ihr das Ritual schon oft erklärt, aber so richtig hatte sich Rena nie an diese Art der Bestattung gewöhnen können. Sie war einfach zu verschieden von dem, was sie aus der Erd-Gilde gewohnt war. Wie der Grund des Gewässers wohl aussah – der Boden dicht bedeckt von weißgebleichten Knochen und Schädeln?
Die Hüter des Heiligen Sees hatten sich zurückgezogen, hielten sich im Hintergrund. Es war die Aufgabe der Gäste, die Totenreden zu halten. Jeder, der eine Erinnerung beitragen wollte, konnte es tun. Tjeri war der Erste, der vortrat.
Rena ließ die Augen nicht von ihm. Er sah gut aus in seiner förmlichen dunkelblau-silbernen Tunika. Sein kurzes dunkles Haar glänzte wie poliertes Nachtholz. Zwei Libellen umschwirrten ihn, und aus dem Gestrüpp an den anderen Seiten des Sees lugten viele Augen; auch seine nichtmenschlichen Freunde spürten seine Trauer und blieben in seiner Nähe.
„Dass Udiko mich damals als seinen letzten Lehrling annahm, hat mein Leben bestimmt“, sagte Tjeri. Er hatte sich wieder gefangen, und nur wer ihn gut kannte, konnte hören, dass seine Stimme leicht zitterte. „Der Alte konnte ein echter Bastard sein, grob und respektlos. Besucher, die ihm nicht gepasst haben, hat er einfach aus der Kuppel geworfen. Aber wer ihn besser kennengelernt hat, der merkte schnell, dass er ein wunderbarer Mensch war, einer, dem man bedenkenlos vertrauen konnte.“ Tjeri erzählte ein paar Anekdoten aus seiner Zeit mit Udiko. Dann sagte er schlicht: „Er hat mir mehr bedeutet als mein wirklicher Vater“, senkte kurz den Kopf und überließ dann seinen Platz einer Frau, die berichtete, wie Udiko ihrem Kind das Leben gerettet hatte.
Es dämmerte schon, als endlich der letzte Besucher seine Erinnerung an Udiko vorgetragen hatte. Renas Füße schmerzten und fühlten sich gleichzeitig an wie Eisklumpen; am liebsten hätte sie sich vor einem Lagerfeuer aufgetaut. Doch als Tjeri vorschlug „Lass uns in einem See übernachten, unter freiem Himmel“, nickte sie. Sie wusste, dass er das jetzt brauchte.
Langsam wanderten sie Richtung Norden und ließen sich in das ruhige silberne Wasser des Vanatu-Sees gleiten, der sich Hunderte von Baumlängen weit erstreckte, bis fast vor ihre Haustür. Im Wasser war Tjeri in seinem Element, er schwamm kraftvoll und geschmeidig. Aber nach fünfzehn Wintern mit ihm in Vanamee war auch Rena eine gute Schwimmerin, und sie schaffte es, mitzuhalten.
Als sie ein gutes Stück vom Festland entfernt waren, gaben sie etwas Luft in die Schwimmhaut, ließen sich auf dem Rücken treiben und blickten in den sternbesetzten Himmel. Nur die Rufe der Gelbspötter und das leise Sirren einzelner Mücken begleiteten sie. Sie begannen zu reden – über das Leben, über das Sterben, über Freunde, die sie an den Tod verloren hatten. Schon seltsam, wie man nach einer Bestattung auf einmal über so was spricht, dachte Rena. Dabei zähle ich erst fünfundreißig Winter und Tjeri ist nicht viel älter.
„Ich muss unbedingt mal wieder meinen Baum besuchen“, sagte Rena.
„Ja, mach das“, meinte Tjeri. „Möchtest du, dass ich mitkomme?“
„Das wäre schön. Du musst dir ganz genau einprägen, wo er steht. Du weißt ja, was du zu tun hast, falls ich vor dir sterbe ...“
Er grinste. „Ich habe mir längst gemerkt, wo er steht. Du hast mal wieder vergessen, dass du den Bund mit einem Sucher geschlossen hast.“
„Gib bloß nicht so an“, gab Rena lächelnd zurück, rollte die Kapuze ihrer Schwimmhaut aus und legte den Kopf hinein, um zu schlafen. Sie war froh, dass es Tjeri schon etwas besser ging.
Sie hatte ihren Baum im Alter von zehn Wintern gefunden, als ihr Onkel sie mal wieder zum Holzsammeln in den Weißen Wald ausgeschickt hatte. Erschöpft und hungrig war sie auf eine Lichtung gehinkt – und hatte die Luft angehalten beim Anblick einer großen, freistehenden Viveca, die ihre Äste majestätisch über die Lichtung wölbte. Ihre Blätter waren silberweiß und glänzten, als der Wind in die Baumkrone fuhr, wie Tausende von kleinen Spiegeln im Sonnenlicht. Wie alle Menschen der Erd-Gilde konnte auch Rena Bäume im Wind sprechen hören, und das Gedicht, das die Viveca flüsterte, verzauberte sie mit seiner schlichten Schönheit.
Sofort entschied sich Rena, bei diesem Baum zu rasten. Um ihn herum wuchs dichtes weiches Wintergras, und Rena machte es sich darin gemütlich und lehnte sich gegen den Baumstamm. Von hier aus hatte man einen herrlichen Blick über die Lichtung. Es war ein kalter Tag, doch der Stamm schien Wärme auszustrahlen. Zwischen den Blättern hingen noch ein paar kleine dunkle Früchte, ein wenig verschrumpelt, aber süß von der Herbstsonne. Rena brauchte nur die Hand auszustrecken, um sie zu pflücken. Sie fühlte sich geborgen wie selten zuvor.
Seit diesem Tag kehrte sie immer wieder zu der Viveca zurück, zu ihrem Lieblingsplatz. Im Frühling und Sommer blühte der Baum in prachtvollem Rot, im Herbst war er überladen mit schmackhaften Früchten,