Love Rules - Geheimnisse. Tanja Neise
hätte sofort klein beigegeben. Aber ich war erwachsen geworden und traf mittlerweile meine eigenen Entscheidungen.
»Das ist mir vollkommen bewusst.« Meine Stimme triefte nur so vor Sarkasmus, während ich mit einem Kugelschreiber spielte.
»Schön! Aber wage es nicht, jammernd zu mir zurückzukriechen, wenn du kein Geld mehr hast.«
»Vater, erinnere dich. In den letzten Jahren habe ich versucht, den Kontakt zu dir zu meiden. Auch dieses Telefonat führen wir nur, weil du Sehnsucht nach mir hast.« Am anderen Ende hörte ich ein Schnauben. Anscheinend hatte ich erreicht, was ich bewirken wollte. Ein Grinsen legte sich auf mein Gesicht. Meinen alten Herren trieb man nicht so schnell dazu, die Contenance zu verlieren und ein Schnauben gehörte in seinen Augen eindeutig dazu. Er hatte sich gehen- und in die Karten schauen lassen. Wenn ich ihn nicht so gut gekannt hätte, wäre ich glatt bereit gewesen, nachzugeben. Aber ich wusste es besser, wusste, dass er immer und überall nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht war. Wärme und Mitgefühl hatte ich Zeit meines Lebens kein einziges Mal von ihm erfahren. Wenn er Angst hatte, dass ich mein Geld verspekulieren würde, dann nicht, weil ich nachher am Hungertuch nagen könnte. Nein, seine Angst bestand darin, sein Gesicht in der Öffentlichkeit zu verlieren, weil sein Sohn ein Loser war. Doch auch das war mir schlichtweg egal. Ich war schon lange mein eigener Herr und konnte mit meinem Geld machen, was ich wollte. Ob ihm das nun recht war oder nicht.
»Dann ist alles gesagt.« Mit diesen Worten beendete mein Vater das Gespräch abrupt und entledigte sich seines Sohnes. Mal wieder.
Ein missmutiges Lächeln legte sich auf mein Gesicht und ich nahm einen großen Schluck aus dem Kristallglas. Der edle Bourbon rann heiß meine Kehle hinab, aber es war genau das, was ich jetzt brauchte. Eine Flüssigkeit, die den bitteren Geschmack aus meinem Mund vertrieb. Was wäre dafür besser geeignet gewesen, als ein dreißig Jahre alter Whiskey?
Es tat schon lange nicht mehr weh, dass mein Vater nicht akzeptierte, was ich mit meinem Leben und meinem Geld anstellte.
Es war vielmehr die Erinnerung an die vielen Schmerzen, die ich hatte überstehen müssen, bis ich endlich so hart geworden war, dass es nicht mehr wehtat.
Zwei Stunden später klingelte das interne Telefon und ich nahm das Gespräch an.
»Mister Anderson? Hier David vom Empfang. Ihre Mutter möchte Sie gern besuchen.« Der Concierge klang verlegen. Kein Wunder, wahrscheinlich war ich der einzige Bewohner dieses Nobelapartmenthauses, der seine Mutter zuerst anmelden ließ, ehe er sie empfing. Mit Sicherheit wusste er auch, wer sie war oder besser gesagt, wer sie mal gewesen war. Doch was meine Eltern betraf, war ich sehr konsequent.
Im Grunde genommen war ich nicht in der Stimmung, jetzt von ihr besucht zu werden, das Telefonat mit meinem Vater hing mir noch in den Knochen und der Termin am heutigen Vormittag ebenfalls. Vermutlich basierte der Wunsch meiner Mutter mich zu sehen, ausschließlich darauf, dass mein Vater sie hergeschickt hatte. Aber ich wusste aus Erfahrung, dass sie nicht lockerlassen würde. Sie würde mich terrorisieren bis ich sie entweder in meine Wohnung ließ oder sie innerhalb der nächsten halben Stunde irgendwo traf.
»Schicken Sie sie hoch, danke David.« Ich machte mir nicht die Mühe, aufzuräumen. Stattdessen lehnte ich mich lässig in den Türrahmen und hielt provozierend das Glas mit dem Whiskey in der Hand. Sie hasste es, wenn eins ihrer Kinder Alkohol trank. Ständig befürchtete sie, dass ich abhängig werden könnte. Es war erst mein zweites Glas an diesem Abend, aber das brauchte sie nicht zu wissen.
Als der Aufzug sich öffnete, schwebte meine Mutter auf ihren High Heels aus dem Lift, als hätte sie einen Auftritt auf internationalem Parkett. »Guten Abend, Ethan«, begrüßte sie mich unterkühlt, hauchte mir auf jede Wange einen Luftkuss und rauschte an mir vorbei, ohne auf eine Einladung zu warten. Genervt folgte ich ihr in die Wohnung. Insgeheim hatte ich gehofft, dass wir das kurz zwischen Tür und Angel klären könnten.
»Schön, dass du Zeit hast.« Das Lächeln, das sie auf ihre akkurat geschminkten Lippen zauberte, war nicht gerade mütterlich. Es erinnerte mich an die gebleckten Zähne eines Tigerhais, ehe er die Beute verschlang. Langsam ließ sie ihren Blick durch das geräumige Wohnzimmer, das direkt an eine amerikanische Küche anschloss, gleiten. Was sie sah, gefiel ihr nicht. Der Fernseher lief und ich hatte mir eine Pizza bestellt. Der halbleere Karton stand noch auf dem Tisch vor der Couch, ein angebissenes Stück lag darin. Pikiert rümpfte sie ihre Nase.
»Setz dich doch, Mutter«, bot ich ihr an, ohne auf ihren Gesichtsausdruck einzugehen.
»Nein danke. Wir fliegen heute Nacht zurück nach Washington. Ich bin nur schnell vorbeigekommen, um dir den Unsinn, den du vorhast, auszureden. Dein Vater hat mir erzählt, dass du nicht mit dir reden lässt. Vielleicht kann ich dich umstimmen.«
Ihr roter, knielanger Rock schwang locker um ihre Beine, als sie sich zu mir umdrehte und die Arme vor der Brust verschränkte. Sie war gut auf öffentliche Auftritte trainiert und wusste sich in jeder Situation richtig zu verhalten. Meine Mutter sprach fünf Sprachen - fließend - und nur der Geier wusste, in wie vielen sie noch zusätzlich leichten Smalltalk führen konnte. Was ihre Körpersprache mir gegenüber betraf, hatte sie jedoch noch viel zu lernen. Wenn man jemanden von etwas überzeugen will, sollte man niemals die Arme vor der Brust verschränken und damit eine ablehnende Haltung der Meinung des anderen gegenüber signalisieren. Aber selbst wenn sie am heutigen Abend ausnahmsweise die liebende Mutter gespielt hätte und das perfekt, ich wäre nicht umzustimmen gewesen. Nicht von ihr und erst recht nicht von meinem Vater.
»Den Weg hättest du dir sparen können. Ich habe Vater meinen Standpunkt bereits klargemacht. Oder warte, besser gesagt, ich habe es versucht. Ihr beide seid meine Eltern, aber ihr solltet niemals vergessen, dass ich mit vierunddreißig Jahren eindeutig den Kinderschuhen entwachsen bin.« Ich ließ mich auf meine riesige Couch fallen und legte die Füße auf den Tisch, während ich in die mittlerweile kalte Pizza biss. Es war klar, dass ich mich kindisch benahm und bockig, aber es machte einen verdammten Spaß, die Frau, die nie auch nur einen Hauch von Liebe für mich übriggehabt hatte, zur Weißglut zu bringen. Im Grunde genommen waren das die einzigen Gefühlsregungen, die ich von meinen Eltern erhalten hatte – Ungeduld und Ärger – zumindest dann, wenn ich nicht so funktionierte, wie sie es gern gesehen hätten.
Mutters Blick glitt angewidert zwischen dem Pizzakarton und der Whiskeyflasche hin und her. »Du lässt dich gehen, Ethan!«
Natürlich provozierte ich sie weiterhin, schließlich wollte ich, dass sie so schnell wie möglich aus meinem Apartment verschwand. Also ließ ich meine Augenbrauen lächerlich auf und ab hüpfen und sagte: »Solltest du auch mal versuchen, dann würdest du nicht so verkrampft sein und diesen verbitterten Zug um den Mund haben.« Wieder traf ich ins Schwarze. Wahrscheinlich hatte sie sich erst vor Kurzem einer Botoxspritzenkur unterzogen. Das war wie eine Manie bei ihr. Ständig ließ sie sich wegen kaum wahrnehmbaren Fältchen Spritzen verpassen. Vermutlich würde sie eines Tages wie eine Karikatur ihrer selbst aussehen.
Die Augen meiner Mutter wurden zu Kristallen. Blau und eiskalt. Der erwähnte Zug um ihre Mundwinkel verhärtete sich noch ein Stückchen mehr. Mit erhobenem Kinn drehte sie sich um und kurz darauf hörte ich die Tür ins Schloss fallen. Nicht laut, was man ihr hoch anrechnen musste. An ihrer Stelle hätte ich meinen Abgang mit einem ohrenbetäubenden Lärm gekrönt.
Das erhoffte Hochgefühl, das sich einstellen sollte, nachdem ich das erreicht hatte, was ich wollte – das Verschwinden meiner Mutter – blieb aus. Stattdessen warf ich die Pizza angewidert in den Karton zurück. Der Appetit war mir vergangen.
Abigail
Meine kleine Zwei-Zimmer-Wohnung lag in einem der besseren Viertel von Chicago und die Miete war dementsprechend hoch. Dennoch liebte ich meine eigenen vier Wände und fühlte mich dort sehr wohl. Von zu Hause aus zu arbeiten war für mich ein extra Bonbon, das ich gern in Anspruch nehmen würde.
Wenn ich bis übermorgen den ersten Teil der Reportage abliefern wollte, musste ich mich jedoch ein wenig