Die Herren von Hermiston. Robert Louis Stevenson

Die Herren von Hermiston - Robert Louis Stevenson


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nur Atheisten, die sich gegen ihn auflehnen – französische Atheisten, Archie. Du willst dich doch nicht mit französischen Atheisten auf ein und dieselbe Stufe stellen? Es würde mir das Herz brechen, wenn ich das von dir glauben müßte. Ach Archie, Archie, bist du es denn nicht selber, der sich jetzt zu seinem Richter aufwirft? Hast du Gottes unmißverständliches Gebot – das erste mit einer Verheißung – schon so rasch vergessen? Denke an den Splitter des anderen und an den Balken im eigenen Auge!«

      Nachdem sie also den Krieg ins feindliche Lager getragen, vermochte die geängstigte Dame wieder zu atmen. Ohne Zweifel ist es auch leicht, ein Kind derart mit Schlagworten zu überfallen, aber es ist noch sehr die Frage, inwiefern es wirksam ist. Ein Instinkt in der Brust des Kindes entdeckt die Sophisterei und verdammt sie. Es wird sich zwar sogleich unterwerfen, insgeheim aber an seiner Ansicht festhalten. Denn selbst in der primitiven und uralten Beziehung zwischen Mutter und Kind gebiert eine scheinheilige Lüge die andere.

      Als in jenem Jahre die Gerichtsferien anbrachen und die Familie nach Hermiston übersiedelte, fiel es allgemein im Lande auf, daß die gnädige Frau arg kränkelte. Sie schien unversehens ihren Halt am Leben zu verlieren und dann wiederzugewinnen; mitunter saß sie teilnahmslos, ja in grenzenloser Verwirrung; dann wieder erwachte sie zu fieberhafter, schwächlicher Tätigkeit. Sie lungerte bei den Mägden und deren Hausarbeit herum und beobachtete sie mit stumpfen Blicken, schickte sich an, in alten Schränken und Kommoden zu kramen, wobei sie die Arbeit halb verrichtet wieder liegenließ, und pflegte allerlei Bemerkungen mit großer Lebhaftigkeit anzufangen, nur um sie widerstandslos wieder abzubrechen. Im allgemeinen gemahnte sie an jemand, der etwas vergessen hat und sich nun vergeblich daran erinnern möchte, und während sie so nacheinander die wertlosen und rührenden Andenken ihrer verlorenen Jugend durchstöberte, hätte man meinen können, daß sie in ihnen nach jenem vergessenen Gedanken suche. Etwa um dieselbe Zeit teilte sie zahlreiche Geschenke unter den Nachbarn und Hausdirnen aus, jedoch gleichsam mit einem Ausdruck des Bedauerns, der die Empfänger verlegen machte. An ihrem letzten Abend auf Erden war sie mit einer Handarbeit beschäftigt und lag ihr mit so unverhohlenem Eifer ob, daß selbst Mylord (der nicht oft neugierig war) sie fragte, was sie denn da mache.

      Sie errötete bis über die Ohren. »Ach, Adam, es ist für dich! Pantoffeln! Ich – ich habe dir niemals Pantoffeln gestickt.«

      »Du verrückte, alte Kruke!« war seiner Lordschaft Erwiderung, »'ne nette Figur würd' ich abgeben, wenn ich in Pampuschen herumschlurfte!«

      Am folgenden Tage zur Stunde des Spazierengehens mischte sich Kirstie ein. Kirstie nahm das Hinsiechen ihrer Herrin sehr schwer, verübelte es ihr, zankte sie aus und überhäufte sie mit Vorwürfen, die Besorgnisse echter Liebe unter der Maske der Übellaunigkeit verbergend. An diesem Tage von allen Tagen bestand sie äußerst unehrerbietig, ja mit einer Art bäurischer Wut darauf, daß Mrs. Weir zu Hause bleibe. Aber deren Antwort lautete nur: »Nein, nein, es ist Mylords Befehl«, und sie brach wie gewöhnlich zu ihrem Spaziergang auf. Archie spielte auf dem Sumpfacker irgendein kindliches Spiel, dessen Gegenstand Schlamm war; sie blieb stehen und sah zu ihm hinüber, als wolle sie ihn rufen. Dann überlegte sie es sich anders, seufzte, schüttelte den Kopf und setzte allein ihren Rundgang fort. Am Bach stieß sie auf die Hausmägde beim Waschen und ging mit ihrem schlenkernden, müden, nachlässigen Schritt vorüber.

      »'s ist doch 'n jämmerliches Geschöpf, die Frau«, sagte eine der Dirnen.

      »Unsinn«, meinte die andere, »das Weib ist krank.«

      »Pah, ich seh' keinen Unterschied«, entgegnete die erste. »Ein saftloses Frauenzimmer, ein elendes, altes Weibsbild.«

      Das so besprochene arme Wesen schlenderte währenddessen verloren durch das Grundstück. In ihrem Geiste wogten und verebbten die Strömungen und rissen sie wie Seetang hin und her. Sie schlug den einen Pfad ein, blieb stehen, kehrte um und versuchte es mit einem neuen, immer suchend, suchend und hatte doch schon im nächsten Augenblick ihr Vorhaben wieder vergessen, da das Wahlvermögen in ihrem Busen längst erloschen oder zum mindesten jeder Konsequenz beraubt war. Plötzlich jedoch war es ihr, als habe sie sich des Vergessenen erinnert oder einen Entschluß gefaßt; sie wandte sich eilig, hastete zurück und erschien im Speisezimmer, das Kirstie gerade aufräumte, wie jemand, der einen wichtigen Auftrag zu erledigen hat.

       »Kirstie«, hub sie an und stockte; dann fuhr sie mit Überzeugung fort: »Mr. Weir ist nicht geistlich gesinnt, aber er ist mir ein guter Mann gewesen.«

      Es war vielleicht das erstemal seit ihres Mannes Aufstieg, daß sie das Vorwort zu seinem Namen, auf das die zärtliche, inkonsequente Frau nicht wenig stolz war, vergaß. Und als Kirstie der Sprechenden ins Gesicht blickte, erkannte sie, daß dort eine Veränderung vorgegangen war.

      »Gott steh uns bei, was fehlt Ihnen, Madame?« rief die Haushälterin und erhob sich hastig von dem Teppich.

      »Ich weiß nicht«, erwiderte kopfschüttelnd ihre Herrin. »Aber er ist nicht geistlich gesinnt, meine Liebe.«

      »Hier, setzen Sie sich! Um Gottes willen, was fehlt der Frau?« rief Kirstie, eilte, sie zu stützen, und drückte sie in Mylords eigenen Sessel neben dem Kamin.

      »Gott schütz uns, was ist das?« keuchte Mrs. Weir. »Kirstie, was ist es nur? Ich fürchte mich.«

      Das waren ihre letzten Worte.

      Es war um die Dämmerstunde, als Mylord heimkehrte. Der Sonnenuntergang, eine strahlende Wolkenmasse, stand ihm im Rücken, und vor ihm am Wegrande entdeckte er wartend Kirstie Elliott. Sie war in Tränen aufgelöst und redete ihn in den hohen, falschen Tönen barbarischer Trauer an, wie man sie heute noch, wenn auch gemildert, in der schottischen Heide findet.

      »Der Herr erbarme sich Eurer, Hermiston! Der Herr gebe Euch Kraft!« schrillte sie. »Weh über mich, daß ich es Euch verkünden muß!«

      Er parierte sein Pferd und blickte mit seinem Henkergesicht auf sie herab.

       »Sind die Franzosen gelandet?«

      »Mann, Mann«, rief sie, »ist das alles, woran Ihr zu denken vermögt? Der Herr gebe Euch Geduld: der Herr tröste und schütze Euch!«

      »Ist jemand gestorben?« fragte seine Lordschaft. »Doch nicht Archie?«

      »Gott sei Dank, nein!« rief das Weib, vor Schreck in einen natürlichen Ton fallend. »Nein, nein, so schlimm ist es nicht, 's ist die Frau, Mylord; vor meinen Augen ist sie verschieden. Einen einzigen Seufzer stieß sie aus und war hinüber. Ach, mein süßes Fräulein Hannchen; ich sehe sie noch vor mir!« Und wieder brach sie in eine Klageflut aus, von der Art, in der Frauen ihrer Klasse stets schwelgen und exzellieren.

      Lord Hermiston saß aufrecht im Sattel und musterte sie. Dann schien er seine Selbstbeherrschung zurückzugewinnen.

      »Nun, es ist etwas plötzlich gekommen«, meinte er. »Aber sie war immer schon ein schwächliches Frauenzimmer.«

      Und er ritt in eiligem Trabe heim, Kirstie an seinem Sattelknopf. In den Kleidern ihres letzten Ausganges hatten sie die tote Frau auf ihrem Bette aufgebahrt. Im Leben war sie niemals interessant gewesen; sie war auch nicht ergreifend im Tode; und als ihr Gatte jetzt vor ihr stand, die Hände hinter seinem mächtigen Rücken verschränkt, erschien ihm das, was er aus seiner Höhe dort betrachtete, als eine Verkörperung alles dessen, was in der Welt unbedeutend ist.

      »Sie und ich waren niemals füreinander zugeschnitten«, bemerkte er endlich. »Es war eine verdrehte Heirat.« Und er fügte mit ausnehmender Sanftheit hinzu: »Arme Krott, arme Krott!« Dann plötzlich: »Wo ist Archie?«

      Kirstie hatte ihn in ihr Zimmer gelockt und ihm eine Marmeladenschnitte gegeben.

      »Einen Funken von Verstand hast du ja«, bemerkte der Richter und betrachtete grimmig seine Haushälterin. »Alles in allem – es hätte können schlimmer kommen –, ich hätte auch eine keifende Jesabel wie dich heiraten können!«

      »Wer denkt jetzt an Euch, Hermiston!« rief die gekränkte Frau. »Wir denken nur an sie, die endlich ihren Leiden entrückt ist. Hätte sie es etwa schlechter treffen können, Hermiston – antwortet mir darauf, hier vor ihrer starren Leiche!«

      »Nun,


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