Graf Petöfy. Theodor Fontane
rasch trennte, der alte Graf, um dem Fräulein, Graf Egon aber, um der Tante seinen Besuch zu machen. Alles, was er eben gehört hatte, ging ihm durch den Kopf, ohne daß es ihn geradezu verstimmt hätte, denn er liebte den Oheim wirklich und verzieh ihm gern und leicht seinen dann und wann etwas exzentrisch auftretenden Theaterenthusiasmus. Aber wenn dieser Enthusiasmus auch noch größer und seine Liebe zum Oheim geringer gewesen wäre – der Onkel war eben ein »Erbonkel« und mußte daraufhin um so vorsichtiger behandelt werden, als das durch die Tante repräsentierte Gundolskirchensche Vermögen ohnehin in einer steten Gefahr war, von der Familie fort – und irgendeinem kirchlichen Orden, sehr wahrscheinlich dem der Liguorianer, zuzufallen.
Drittes Kapitel
So verging der Vormittag.
Am Abend war das Fest, die junge Schauspielerin erschien und wurde der Gräfin Judith vorgestellt.
Aber ehe diese Vorstellung stattfinden konnte, hatte sich ein Zwischenfall ereignet, der, wenn nicht das Fest selbst, so doch die Stimmung desselben ernsthaft in Frage gestellt hatte.
Zu neun Uhr war geladen worden, und der alte Graf wartete schon der ersten Gäste, namentlich aber Judiths, als Egon in Begleitung zweier Freunde, der Grafen Pejevics und Coronini, erzherzogliche Adjutanten wie er, im Festsaal erschien und in sichtlicher Erregung auf den Oheim zuschritt. Dieser begrüßte die Herren mit der ihm eigenen Artigkeit, nahm aber an ihrer Haltung sehr bald wahr, daß etwas geschehen sein müsse.
»Was gibt es, Egon?«
»Gablenz...« Er stockte.
»Nur heraus. Ich ahne.«
»Hat sich erschossen. Eben hatten wir das Telegramm. Ich wollte nicht, daß dir unvorbereitet und inmitten deiner Gäste die Nachricht käme.«
Die beiden jungen Grafen bestätigten die Mitteilung.
Es war in einer kleinen, aus Lorbeer und Palmen arrangierten Nische, wo man das kurze Gespräch geführt hatte.
Der alte Graf antwortete nicht, stützte sich nur auf einen Marmortisch, der hier samt ein paar Stühlen stand, und machte dann eine Handbewegung, in der er die Herren aufforderte, sich zu setzen. Gleich darnach aber nahm er selber Platz und sah, während er an seinem weißen Bart drehte, stumm vor sich hin. Es war augenscheinlich, daß er mit seinen Gedanken abwesend war und momentan seiner Besucher vergaß.
»Er war dir lieb und wert«, nahm Egon, dem die Situation peinlich zu werden anfing, endlich das Wort.
Aber der Graf verharrte noch immer in seinem Schweigen. Erst nach einer Weile war es, als ob er erwache. »Lieb und wert, sagtest du, wohl, aber das sagt nicht genug. Er war mein Freund, das sagt mehr.« Und dabei flogen ihm die Lippen. »Ich weiß, es wird viel gegen ihn gesagt werden, und es ist viel gegen ihn zu sagen, oder doch manches. Aber gegen wen nicht? Er war ein vollkommener Kavalier und hielt es mit dem Wort: ›Ich marchandiere nicht.‹ Und an dem Festhalten an diesem Wort ist er zugrunde gegangen. Hätt er mit dem Ehrenpunkte marchandieren können, er lebe noch.«
»Unter allen Umständen ein beklagenswerter Aus gang«, antwortete Graf Coronini, dem die Verteidigung in ihrem Überschwang und zum Teil auch in einer Verkennung des Tatsächlichen offenbar mißfiel. »Ein beklagenswerter Ausgang, und um so beklagenswerter, als der Zweck, um dessentwillen so gehandelt wurde, nicht erreicht wird. In gewollter Wahrung seiner Ehre hat er sie nur aufs neue bloßgestellt.«
Ein scharfer Blick, der den jungen Grafen traf und in nicht geringe Verlegenheit brachte, schoß in diesem Augenblick aus dem von Natur schon etwas geröteten Auge des alten Petöfy. Zugleich aber nahm dieser wieder das Wort und sagte: »Graf Coronini, Pardon, aber dem Ernste solcher Fragen ist mit Alltagsbetrachtungen und einer landläufigen Moral nicht beizukommen. Ich bin mit Ihrem Vater, dem Grafen, jung gewesen, ein halb Jahrhundert liegt dazwischen, und so müssen Sie mir, einem alten Grognard, diese Sprache zugute halten. Es ist ein tiefes und schönes Wort, das Wort von der süßen Gewohnheit des Daseins; alles, was lebt, hängt auch am Leben, und nur der geht, der gehen muß. Unter den vielen Bücherweisheitssätzen, die mir von Grund aus zuwider sind, steht der von der besonderen Feiglingschaft derer, die das Pistol in die Hand nehmen, obenan. Nach dem bißchen Lebensweisheit, das ich mir anzueignen in der Lage war, hört das Pistol auf, wo die Feigheit anfängt, und hört die Feigheit auf, wo das Pistol an fängt. Wer es in die Hand nimmt, ist durch schwere Kämpfe gegangen. Achtung vor dem Unglück! Und nun gar der Ehrenpunkt; die Ehre! Jeder, der überhaupt davon hat, weiß allein, wo sie für ihn liegt oder nicht liegt. Bitten wir Gott insgesamt, daß der Kelch der Erniedrigung, welchen Inhalts er auch sein möge, gnädiglich an uns vorübergehe; wenn er aber doch kommt und der, der ihn trinken soll, ihn nicht trinken mag und gewaltsam und für immer seine Lippen dagegen schließt, so denk ich, wir respektieren den Toten und sein Tun.«
Graf Coronini, den eine glückliche Leichtlebigkeit auszeichnete, sprach in gewinnendster Weise sein Bedauern über das ihm entschlüpfte Wort aus, und als wenige Minuten später unter einem raschen Zustrome der Saal sich zu füllen begann, zeigte sich's, daß der kleine Disput ein Glück für den Verlauf des Festes gewesen war. Der alte Graf, eine durchaus nervöse Natur, hatte sich in seiner Philippika gegen Graf Coronini nicht nur den aufsteigenden Groll, sondern vor allem auch die voraufgegangene schmerzliche Bewegung von der Seele heruntergeredet und ließ nun als Wirt bis zum letzten Geigenstriche nichts von seiner gewöhnlichen Liebenswürdigkeit vermissen.
Seit jener Soiree war eine volle Woche vergangen, und selbst die jungen Demoiselles in dem gegenüber gelegenen Konfektionsgeschäfte hatten den anfänglich unerschöpflich scheinenden Gesprächsgegenstand als erledigt außer Kurs gesetzt, um sich in ihrer Eigenschaft als Chorus des Hauses Petöfy neuen intrikaten Fragen zuzuwenden.
Es war Abend, nicht mehr ganz früh, und der Gaskronleuchter, der mit seinen Milchglasglocken über dem Arbeitstische hing, brannte schon seit Stunden.
»Ich weiß etwas«, sagte Resi, die heute wie gewöhnlich den Chorführer machte.
»Was?«
»Die Franz ist heute bei der alten Gräfin drüben. Ganz intim. Kleiner Zirkel. Bei dem Grafen in der Soiree neulich, nun, das war nicht viel. Aber bei der Gräfin, die so fromm ist, das bedeutet etwas. Was wohl Pater Feßler dazu sagen mag?«
»Ja, der«, unterbrach eine Kleine, nach innenhin Verwachsene, von der Resi mit Vorliebe zu sagen pflegte, der liebe Gott hab ihr eine Stufe ins Kleid genäht. »Ja, der, der Feßler! Ein schöner Mann, dem könnt ich alles beichten. Und es übergruselt mich ordentlich, wenn ich bloß daran denke.«
»Du?« lachten alle. »Du? Was beichtest du denn?«
Als aber die Heiterkeit sich wieder gelegt hatte, sagte eine dritte: »Ja, der Feßler! Sage, Resi, du hörst ja das Gras drüben wachsen, wie kommt der nur ins Petöfysche Haus? Er ist ja doch ein Steirer, und drüben ist alles ungarisch.«
»Oh, nicht doch«, antwortete die Gefragte. »Nicht alles; nur halb. Auf der linken Seite, wo der Graf wohnt, da freilich ist alles ungarisch, aber auf der rechten, wo die Gräfin wohnt, ist alles deutsch. Und der Graf und die Gräfin sind auch immer im Krieg.«
»Aber sie sind doch Geschwister, oder sind sie nicht?«
»Gewiß sind sie. Graf Adam und Gräfin Judith und die Gräfin Eveline, die die schönste war und nun tot ist, die waren Geschwister. Und waren alle drei rabiat ungarisch und die beiden jungen Gräfinnen am meisten. Ich weiß es von dem alten Koloman Czagy, des Grafen Kammerdiener, der jetzt krank auf Schloß Arpa liegt, weil er die Gelbsucht hat, er soll ganz abgemagert sein und aussehen wie eine Zitrone. Ja, von dem weiß ich es. Als dann aber die Gräfin Judith den alten Gundolskirchen und die Gräfin Eveline den schönen Asperg heiratete, den Vater von dem jungen Grafen, da war es mit dem Rabiatischen und dem Ungrischen vorbei. ›Nix mehr Magyar.‹ Und beide wurden gut steirisch. Und von daher schreibt sich auch der Feßler.«
Pater Feßler, als dies Gespräch geführt wurde, saß bereits drüben in dem kleinen Salon der Gräfin, in dem mehrere Lampen brannten, aber alle mit einem durch