Das einfache Leben. Ernst Wiechert

Das einfache Leben - Ernst Wiechert


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zwischen denen der Wacholder dunkel stand, aber gleich schloß die graue Wand sich wieder zu und tat sich nur auseinander, um die Straße hineinzulassen, aufzunehmen und gleichsam sofort zu begraben.

      Hier war es natürlich, daß Thomas abstieg und von der hohen Böschung den Blick noch einmal zurückwendete. Er saß auf einem Baumstumpf, um den schon die blauen Sterne der Leberblümchen standen, stopfte langsam seine kurze Pfeife, und indes der Rauch mit dem leisen Wind in das Holz hinter ihm zog, nahm er die eben durchfahrene Landschaft noch einmal in sich auf, ruhiger nun, auch größer vielleicht, da der Weg sich langsam gehoben hatte und nun vieles nebeneinander lag, was vorher Stück für Stück aufeinandergefolgt war.

      Wieder kam ihm das Leere des großen Raumes beruhigend und beglückend ins Bewußtsein, die sanfte, lang ausholende und abklingende Schwingung der Linien, die Armut an Siedlungen, die Stille der Luft und das unendlich Gespannte des Horizontes. Er versuchte sich vorzustellen, wie der Wechsel der Jahreszeiten dies Bild verändern würde, wie er selbst in diesem Wechsel bestehen oder unsicher werden würde und ob die Frische des ersten Eindruckes auch erhalten bleiben würde, wenn er nun aus einem Wanderer zu einem Bewohner und aus einem Betrachtenden zu einem Tätigen würde.

      Doch erschien ihm, auch so angesehen, das vor ihm ausgebreitete Bild von immer gleicher Kraft und Tröstlichkeit erfüllt, und als er sich nun gar auf seinem Sitz wendete und der Blick durch die Vielheit der Stämme in das Innere des Waldes ging, wo die Sonne schmale Brücken auf Moos und Blaubeerkraut legte, wo rotbeschienene Stämme immer tiefer zurückwichen in eine bläuliche Dämmerung und nur das Klopfen des Spechtes das Schweigen nicht zerbrach, sondern tiefer machte: da glaubte er, auf der Höhe eines vielgeprüften Lebens noch einmal Frieden und Glück der Kindheit vor seinen Händen ausgebreitet zu sehen, als gelte es nur, vertrauend zurückzukehren, um mit der Ruhe der Landschaft auch alles wiederzugewinnen, was damals heiter, leicht und unveränderlich erschienen war. Und wiewohl er wußte, daß keine Rückkehr dieser Art dem Menschen vergönnt sei, daß vielmehr jedes Alter seinen eigenen Frieden zu gewinnen habe, so gab er sich doch willig für eine Weile jener träumerischen Rückschau hin, wohl wissend, daß die nächsten Tage schon ihm fordernd entgegenkommen würden.

      Noch einmal hielt er an diesem Tage inne, als er von einer der Waldhöhen aus zum erstenmal rechts und links der Straße zwei der großen Gewässer sich ausbreiten sah, auf denen an jenem vergangenen Abend bei der Drehung seines Globus seine Blicke anhaltend geruht hatten. Anders war nun das wirkliche Bild, aber noch tiefer als damals kam ihm das Gefühl zurück, hier an der Grenze nicht nur des Reiches zu stehen. Was sich hier in die Wälder hinein dehnte, blau, in den Buchten noch von grauem Eise bedeckt, von braunen Rohrflächen gesäumt, vom klagenden Ruf der Haubentaucher überhallt, schien ihm nach den brennenden und dann verfinsterten Jahren wie ein Land, das außer allem Geschehen geblieben war, als sei es von Eisbergen bedeckt gewesen und nun erst in makelloser und strenger Klarheit wieder ans Licht gestiegen. Es erschien ihm unähnlich allen anderen Ländern des Reiches, nicht wie ein Blatt, auf dem die Hand des Menschen geschrieben, gestrichen, gelöscht und wieder geschrieben hatte, sondern als ein Unberührtes, auf dem ein Anfang geschehen könnte, keine Wiederholung, Verbesserung oder Berichtigung, sondern eben ein Anfang, eine erste Furche, und die Vögel unter dem Himmel würden sich über ihr versammeln und zusehen, was nun hier unter der Hand des Menschen zum ersten Male geschehe.

      Er dachte an sein Kind und wie es dort aufwachsen mußte, behütet, aber inmitten der Bilder des Verfalls und des Rausches; wie er es für ein paar Jahre zurücklassen mußte, aber wie er hier mit ihm einmal stehen wollte, hier oder an ähnlicher Stelle, um ihm zu zeigen, wofür man leben müßte, überall auf der Erde, wo die Menschen sich noch Mühe gaben.

      Um die Dämmerung erst kehrte er ein, in einem Waldkrug, den er an der Straße fand und den auch seine Karte angezeigt hatte. Kaum in seinem Leben hatte er Armut und Verfall so nahe gesehen, doch schien ihm das erste eine gute und nützliche Einleitung zu dieser Reise zu sein, die ja, wie er hoffte, nicht nur eine Reise bleiben sollte. Und da er sein kleines Zimmer sauber fand, mit dem freien Blick auf abendliche Schonungen, war er es alles zufrieden und bat nur, bis zur Bereitung des Essens am Feuer in der Küche sitzen zu dürfen, was ihm nach einigem Widerstreben auch gewährt wurde.

      Eine schweigsame Frau schaffte am Herde, zwei Kinder, ein Knabe und ein Mädchen, in Joachims Alter etwa, sahen mit großen Augen von der Holzbank aus ihm zu, indes der Mann hinter dem Tisch stehenblieb, den Rücken gegen das Fenster gewendet, und erst auf besonderen Zuspruch hin seine Arbeit an einem kleinen Netz wiederaufnahm, durch das er mit einer hölzernen Nadel neue Maschen zog. Er war gekleidet wie die Menschen, die Thomas unterwegs gesehen hatte, in hohe Stiefel und hartgewebtes graues Zeug, und auch in der Wärme des Raumes hatte er sein Halstuch nicht abgenommen, das in zwei Zipfeln ihm über den Kragen hing. Die Gesichter schienen Thomas schwer, müde und gleichsam schon von den großen Ebenen mitgeformt, die sich hinter diesen Wäldern und Seen nach Asien hin erstreckten.

      Ja, er sei zur See gefahren, sagte Thomas auf die erste ungeschickte Frage hin, sein ganzes Leben lang, als Steuermann auf einem großen Dampfer. Aber da es nun damit zu Ende sei, es ihm auch in den engen Städten nicht gefiele, wo der Wind nur Staub und Papierfetzen vor sich hertreibe statt des salzigen Schaumes der See, so habe er beschlossen, sich in dieser Landschaft umzutun, ob er nicht etwas wie eine Fischereipacht fände, von der man bei harter Arbeit doch sein Brot habe und zum mindesten sein Essen, wenn das bedruckte Geld schon immer schneller in den Rauchfang stiege.

      Das könne wohl möglich sein, meinte der Mann langsam, und wenn er auch hier in der Gegend nichts wisse, vielmehr alles in festen Händen sei, so könne er ihm doch hier und da einen Namen an den Seen sagen, wo er Bescheid und wohl auch Rat finden werde. Denn es sei viel Unruhe in der Landschaft, nicht nur wegen der Angst vor den Polen, sondern es sei überall auch wie bei ihnen selbst, daß die jungen Leute den Dienst aufsagten, nicht nur, weil es ihnen zu einsam sei, sondern auch weil sie meinten, die Arbeit werde nun abgeschafft oder mindestens denen aufgelegt, die bisher nach ihrer Meinung nicht gearbeitet hätten. So seien auch sie allein geblieben, und Knecht und Magd seien des Weges gegangen, in die Hauptstadt der Provinz, wo sie nun wahrscheinlich schon auf einem goldenen Throne säßen.

      Nur eines scheine ihm bedenklich, daß der Herr bei aller schweren Arbeit auf See doch so zarte Hände behalten habe und daß es ihm vielleicht nicht leichtfallen könnte, bei allem guten Willen, an dem er nicht zweifle, dies harte Handwerk zu ergreifen.

      Darüber beruhigte ihn Thomas nun, schrieb sich auch die Namen in sein Taschenbuch, die der Mann ihm nannte, und bat schließlich, daß er zusammen mit ihnen hier in der Küche essen dürfte, wo es warm sei, er ihnen Mühe erspare und er sich schließlich auch gleich zu Beginn an die Welt gewöhne, in der er doch nun sich einrichten wolle.

      Beim Essen, vor dem die Frau ein Gebet gesprochen hatte, erfuhr er, daß sie einer religiösen Gemeinschaft angehörten, die in der Gegend weit verbreitet sei, daß sie mit Sorgen auf den Gang der Zeit blickten und einige von ihnen sogar der Meinung seien, daß die Gesichte des heiligen Johannes sich nun bald erfüllen würden.

      Dem widersprach nun Thomas, meinte, daß das deutsche Volk auch aus diesen Zeiten der Wirrnis sich wiederaufrichten werde, und berichtete auch von seinem Besuch bei dem Pfarrer, der ihn recht eigentlich auf diesen Weg gebracht habe und bei dem er wieder gelernt habe, wie gefährlich es sei, ganze Klassen oder Stände oder Berufe leichthin abzuurteilen, da wir ja doch nie mehr als einzelne Menschen unter ihnen kennten.

      Dann ging das Gespräch auf seine Fahrten und die Seeschlachten des Krieges und wieder zurück zu Schicksalen und Gebräuchen dieser Landschaft, indes sie ihre kurzen Pfeifen rauchten, die Frau ihr Strickzeug in den Händen hielt und die Kinder atemlos auf seine Reden lauschten, als sei Sindbad der Seefahrer aus den vertrauten Kiefernwäldern aufgestanden, um seinen Glanz über ihr Leben zu legen.

      Und als Thomas ihnen gute Nacht bot und die schmale Treppe zu seinem Schlafraum hinaufstieg, ein Licht in der Hand, schien das Ganze ihm als ein schönes Tor zu seiner neuen Welt, voll guter Vorbedeutung und von allem Gewohnten und Vergangenen wie durch Jahrzehnte geschieden.

      Immer tiefer nahm das Land ihn nun auf. Tag für Tag fuhr er an den Seen entlang und von Dorf zu Dorf, mitunter verweilend, wenn ihn etwas zu halten schien. Die Witterung


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