Deutsches Märchenbuch + Neues Deutsches Märchenbuch. Ludwig Bechstein

Deutsches Märchenbuch + Neues Deutsches Märchenbuch - Ludwig Bechstein


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haben!« Und da erwiderte die Mutter: »Keinen andern

       Rat weiß ich, als daß du sie in den Wald führst je

       eher je lieber, gibst jedem noch ein Stücklein Brot,

       machst ihnen ein Feuer an, befiehlst sie dem lieben

       Gott, und gehst hinweg.«

       »O lieber Gott! wie soll ich das vollbringen an

       meinen eigenen Kindern, Frau?« fragte der Holzhauer

       bekümmert. »Nun wohl, so laß es bleiben!« fuhr die

       Frau böse heraus: »so kannst du eine Totenlade für

       uns alle viere zimmern, und die Kinder Hungers sterben

       sehen!«

       Die zwei Kinder, welche der Hunger in ihrem

       Moosbettchen noch wach erhielt, hörten mit an, was

       die Mutter und der Vater miteinander sprachen, und

       das Schwesterlein begann zu weinen, Hänsel aber tröstete

       es und sprach: »Weine nicht, Gretel, ich helfe

       uns schon«; wartete, bis die Alten schliefen, wischte

       aus der Hütte, suchte im Mondschein weiße Steinchen,

       verbarg sie wohl, und schlich wieder herein,

       worauf er und das Schwesterlein bald entschlummerten.

       Am Morgen geschah nun, was die Eltern vorher besprochen.

       Die Mutter reichte jedem Kind ein Stück

       Brot und sagte: »Das ist für heute alles; haltet's zu

       Rate.« Gretel trug das Brot, Hänsel trug heimlich

       seine Steinchen, der Vater hatte seine Holzaxt im

       Arm, die Mutter schloß das Haus zu und folgte mit

       einem Wasserkruge nach. Hänsel machte sich hinter

       die Mutter, so daß er der letzte war auf dem Wege,

       guckte oft zurück nach dem Häuschen, und wie er es

       nicht sah, ließ er gleich ein weißes Steinchen fallen,

       und nach ein paar Schritten wieder eins, und so immer

       fort.

       Nun waren alle mitten in dem tiefen Walde, und da

       machte der Vater ein Feuer an, wozu die Kinder des

       Reisigs viel herbeitrugen und die Mutter sagte zu den

       Kindern: »Ihr seid wohl müde, jetzt legt euch an das

       Feuer und schlaft, indes wir Holz fällen, nachher

       kommen wir wieder, und holen euch ab.«

       Die Kinder schlummerten ein wenig und als sie erwachten,

       stand die Sonne hoch im Mittag, das Feuer

       war abgebrannt, und da Hänsel und Gretel Hunger

       hatten, verzehrten sie ihr Stücklein Brot. Wer nicht

       kam, das waren die Eltern. Und nachher sind die Kinder

       wieder eingeschlafen, bis es dunkel wurde, da

       waren sie noch immer allein, und Gretel fing an zu

       weinen und sich zu fürchten. Hänsel tröstete sie aber

       und sagte: »Fürchte dich nicht, Schwester, der liebe

       Gott ist ja bei uns, und bald geht der Mond auf, da

       gehen wir heim.«

       Und wirklich ging bald darauf der Mond in voller

       Pracht auf und leuchtete den Kindern auf den Heimweg

       und beglänzte die silberweißen Kieselsteine.

       Hänsel faßte Gretel bei der Hand und so gingen die

       Kinder miteinander fort ohne Furcht und ohne Unfall,

       und wie der frühe Morgen graute, da sahen sie des

       Vaters Dach durch die Büsche schimmern, kamen an

       das Waldhäuslein und klopften an. Wie die Mutter

       die Tür öffnete, erschrak sie ordentlich, als sie die

       Kinder sah, wußte nicht, ob sie schelten oder sich

       freuen sollte, der Vater aber freute sich, und so wurden

       die beiden Kinder wieder mit Gottwillkommen in

       das Häuslein eingelassen.

       Es währte aber gar nicht lang, so wurde die Sorge

       aufs neue laut und jenes Gespräch und der Beschluß,

       die Kinder in den Wald zu führen und sie dort allein

       und in des Himmels Fürsorge zu lassen, wiederholten

       sich. Wieder hörten die Kinder das traurige Gespräch

       mit an, bekümmerten Herzens, und der kluge Hänsel

       machte sich vom Lager auf, wollte wieder blanke

       Steine suchen, aber da war die Türe des Waldhäusleins

       fest verschlossen, denn die Mutter hatte es gemerkt

       und darum die Türe zugemacht. Doch tröstete

       Hänsel abermals das weinende Schwesterlein und

       sagte: »Weine nicht, lieb Gretel, der liebe Gott weiß

       alle Wege, wird uns schon den rechten führen.«

       Am andern Morgen in der Frühe mußten alle aufstehen,

       wieder in den Wald zu wandern, und da empfingen

       die Kinder wieder Brot, noch kleinere Stücklein

       wie zuvor, und der Weg ging noch tiefer in den

       Wald hinein; Hänslein aber zerbröckelte heimlich

       sein Brot in der Tasche, und streute, statt jener Steine,

       Krümlein auf den Weg, meinte, danach sich mit dem

       Schwesterchen wohl zurückzufinden. Und nun geschah

       alles, wie zuvor auch; ein großes Feuer wurde

       entzündet, und die Kinder mußten wieder schlafen,

       und wie sie aufwachten, waren sie allein, und die Eltern

       kamen nimmer wieder. Und der Mittag kam, und

       Gretel teilte ihr Stückchen Brot mit Hänsel, weil der

       seines verstreut in lauter Bröselein auf dem Weg, und

       dann schliefen sie wieder ein und erwachten abends

       verlassen und einsam. Gretel weinte, Hänsel aber war

       gottgetrost, meinte den Weg durch die Brotbröselein

       wohl zu finden, wartete, bis der Mond aufgegangen

       war, nahm dann die Gretel bei der Hand und sprach

       zu ihr: »Komm, Schwester, nun gehen wir heim.«

       Aber wie Hänsel die Krümlein suchte, war ihrer

       keines mehr da, denn die Waldvögelein hatten alle,

       alle aufgepickt und sie sich wohl schmecken lassen.

       Und da wanderten die Kinder die ganze Nacht durch

       den Wald, kamen bald vom Wege ab, verirrten sich

       und waren sehr traurig. Endlich schliefen sie ein auf

       weichem Moos, und erwachten hungrig, wie der Morgen

       graute, denn sie hatten keinen Bissen Brot mehr,

       und mußten ihren Durst und Hunger nur mit den

       schönen Waldbeeren stillen, die da und dort standen.

       Und wie sie so im Walde herumirrten, ohne Weg und

       Steg zu finden, siehe, da kam ein schneeweißes


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