Marder ahoi! Eine mörderische Kreuzfahrt. Kirsten Klein
es aus, wenn sie sich in „Misties Wald“ begegnen würden, in einer echten Welt, nicht in so einer billigen Imitation.
Wohlweislich behält der Marder derartige Gedanken für sich.„Woher kennst du meinen Namen, Mistvieh?“, spricht der Kater ihn endlich an.
Mistie ist höchst irritiert. „Woher kennst du meinen?“, fragt er zurück und fügt hinzu: „Wenn ich dich untertänigst berichtigen darf – Mistie. Mistie heiße ich.“
„Sag' ich doch, Mistvieh.“
Der Marder überlegt. Will der ihn nun provozieren oder was?Wie ein aufgeblasener Gockel stolziert er vor ihm hin und her. Jetzt könnte Mistie einen vielleicht erfolgreichen Fluchtversuch wagen, aber... Seltsam, plötzlich ist ihm nicht mehr danach. Sein Instinkt sagt ihm zwar, der Kater sei sein Feind, er solle aber trotzdem versuchen, sich gut mit ihm zu stellen. Denn anscheinend kennt der sich hier aus und kann ihm wertvolle Hinweise geben sowie Tipps, wie Kater oder Marder sich in kniffligen Situationen am besten verhält.
Also überwindet sich Mistie und packt den Kater an dessen offensichtlicher Eitelkeit. „Ein beeindruckender Name – Captain Nemo.“
Es funktioniert. Er beißt an, fühlt sich geschmeichelt. „Ja, nicht wahr? Er wurde mir von einem Menschen verliehen.“
„Ich habe meinen Namen auch von Menschen erhalten“, platzt Mistie unüberlegt heraus und beißt sich vor Ärger darüber selbst auf die Zunge. Doch Nemo scheint ihm diesen stolzen Vorstoß nicht zu verübeln, im Gegenteil. Er schmunzelt amüsiert. „Ja, das kann ich mir denken. Auf meinen Landgängen erlebe ich so einiges, habe auch schon mitbekommen, wie sehr sich die Zweibeiner über eure Vorliebe für ihre Autos 'freuen'“.
Mistie versteht nicht ganz, wie das gemeint ist, will sich aber nicht als Depp hinstellen. Also nickt er vielsagend und wechselt das Thema. „Wie lange lebst du schon hier, wenn ich fragen darf?“
„Du darfst“, gestattet Captain Nemo gnädig. „Schon immer, ich bin hier an Bord geboren. Meine Mutter, eine schneeweiße Maine-Coon-Schönheit, hat sich auf einem Landgang in einen silbergrauen British-shorthair-Kater verliebt. Von ihr habe ich meine imposante Statur, von ihm meine exquisiten Colour-points.“ Aufreizend stolziert er hin und her.
Was der sich einbildet, denkt Mistie. Erstens ist er keine Muschi und zweitens nicht schwul. „Ist der andere Kater auch hier geboren?“, fragt er.
„Welcher andere Kater? Hier ist nur Platz für mich! Es gibt keinen anderen Kater!“
„Schon gut, schon gut“, beschwichtigt ihn Mistie und unterdrückt seinen Unmut. Von diesem weltfremden, in sich selbst verliebten Trottel wird er wohl wenig Nützliches erfahren.„Unglücklicherweise starb meine Mutter bei meiner Geburt“, fährt Captain Nemo theatralisch fort, „und Charles, mein Butler, den ich von ihr geerbt habe, zog mich auf.“
Mistie schaut ihn groß an. „Charles, dein wer?“
„Mein Butler, das ist ein ganz besonderer englischer Dosenöffner“, belehrt ihn der Kater von oben herab. „Schließlich bin ich väterlicherseits Brite.“
Mistie zermartert sich den Kopf darüber, was er solch einer noblen Herkunft entgegensetzen könnte, aber das ist wohl für die Katz. Captain Nemo will es auch gar nicht wissen, redet unentwegt weiter von sich, was er schon alles gesehen hat auf seinen tausend Weltreisen und und und... „Sag' mal“, wagt Mistie ihn endlich zu unterbrechen, „demnach musst du ja schon einige Jährchen auf deinem Katzenbuckel haben.“
Captain Nemo stutzt, ist es wohl nicht gewohnt, dass man ihn unterbricht. Wahrscheinlich, so hält Mistie ihm zugute, hat er selten Gelegenheit zum Plaudern.
„Ich werde am achten August drei – am Weltkatzentag“, antwortet Captain Nemo.
Mistie fragt sich insgeheim, ob es auch einen Weltmardertag gibt. Wäre ja sonst äußerst ungerecht!
„Ich bin Löwe“, reißt Captain Nemo ihn aus seinen Gedanken. Hä??? Also jetzt wird er eindeutig größenwahnsinnig.
„Vom Sternzeichen“, ergänzt der Kater. Bevor er weiter von sich selbst erzählen kann, spricht Mistie ihn auf die Passagiere an und nutzt dabei die Gelegenheit, wenigstens ein bisschen aufzuschneiden. „Übrigens“, beginnt er lässig, um es recht beiläufig klingen zu lassen, „ich komme gerade vom Frühstücken. Sind ja eine Menge Leute hier und die Ansprache des Kapitäns...“
„Du warst im Speisesaal“, entfährt es Captain Nemo.
„Na klar, wo nimmt man denn sonst sein Frühstück ein?“ Ätsch, ätsch, jetzt ist er der Depp, freut sich Mistie und kann es kaum verbergen. Das verschlägt dem Aufschneider die Sprache!
„Es war köstlich“, fährt der Marder schnell fort. Ich wurde zuerst bedient und erhielt die größte Portion von allen, den exclusivsten Sitzplatz...“
Mit jedem Wort verdüstert sich Captain Nemos Miene mehr. Halte ein, warnt Misties innere Stimme, doch er hört nicht auf sie, quasselt einfach weiter. Zu schön ist es, diesem Großkotz Paroli zu bieten. „Dann kannst du mir bestimmt auch sagen, was für Leute im Speisesaal saßen“, faucht der ihn überraschend an. Erschrocken weicht Mistie zurück und stößt sich den Hintern an der Wand. „Jaaa, na klar. Es waren sehr viele... sehr sehr viele, also wirklich ganz ausnehmend viele. Wie und warum hätte ich mir die alle merken sollen?“
„Warum?“ Captain Nemo vergisst vor Erstaunen seine Wut.„Weil es interessant ist, sich Menschen zu merken, sie zu beobachten. Ja, ihre Spezies ist höchst merkwürdig. Viele von ihnen schimpfen über andere, nur weil die anders sind oder anders aussehen als sie selbst, zum Beispiel dicker, dünner oder sonst was. Und fast jeder von denen glaubt, so, wie er ist, wäre es das einzig Richtige, und zwar für alle. Dabei müssen andere ja allein schon deshalb anders sein, weil sie die 'Anderen' sind. Ist doch logisch, nicht wahr?“
Mistie kann ihm nicht ganz folgen. Wahrscheinlich, so vermutet er, fehlen ihm dazu die nötigen Erfahrungen.
„Uns“, fährt der Kater fort, „sprechen sie die Fähigkeit ab, logisch denken zu können. Aber schau sie dir bloß an. Handeln sie etwa logisch? Doch was soll's, ich schweife ab“, beendet Captain Nemo seine Rede. „Eins muss dir auf jeden Fall aufgefallen sein, wenn du im Speisesaal warst, nämlich ein ausnehmend außergewöhnlicher Passagier.“
Außergewöhnlich, außergewöhnlich – wen kann er bloß meinen?, fragt sich Mistie. Endlich glaubt er es zu wissen, wartet aber noch, bis sein erregtes Herz wieder ruhiger schlägt und genießt währenddessen Captain Nemos siegessichere Miene. „Ach so, du meinst das Schwein aus dem Meer, das wie ein Hund riecht.“ Im nächsten Augenblick hätte er seine Worte am liebsten wieder verschluckt, denn – was ist plötzlich mit dem Kater los? Der reißt sein Maul auf, kriegt es nicht mehr zu, verdreht die Augen und hechelt vor Aufregung. „Da... das kann nicht sein... unmöglich... ausgeschlossen. Ein derartiges Individuum wäre mir nicht entgangen. An mir muss jeder vorbei, der an Bord will. Ich bin bei jeder Abfahrt mit an Deck.“
„Es ist nicht gefährlich – glaube ich“, versucht Mistie ihn zu beruhigen und merkt dabei, dass seine eigene Stimme zittert. Doch der Kater ist noch immer aufgebracht. „Ein Schwein – auf meinem Luxusliner... Das kann nicht sein, das kann einfach nicht sein!“ Dann fährt er Mistie unerwartet an. „Mein Butler muss die Passagierliste durchgehen. Wie heißt es? Los, raus mit der Sprache!“
„Das weiß ich nicht.“ Der Marder ist total verdattert. Oder weiß er es vielleicht doch? Wurde im Speisesaal nicht ein paar Mal ein Name genannt? „Lady, Lady heißt es!“, platzt er erleichtert heraus.
Keine Sekunde später versteht der junge Marder die Welt überhaupt nicht mehr. Was ist denn nun verkehrt? Der Kater ist ja aufgebrachter denn je. „Lady vom Adlerhorst ist kein Schwein! Entschuldige dich gefälligst sofort!“, brüllt er aus Leibeskräften.
Mistie gehorcht, wenn er auch nicht weiß, wofür und warum er sich entschuldigen soll. Schließlich werden Schweine im Wald von allen anderen Tieren geachtet und respektiert.
Immerhin scheint