Erziehungskunst III. Rudolf Steiner

Erziehungskunst III - Rudolf Steiner


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aber ich würde nicht die Künste selbst verteilen. In Bezug auf die Musik ist das richtig. Wenn Sie zum Beispiel den Phlegmatiker haben, können Sie unter Umständen sehr gut durch etwas, was ihn im Tanz ergreift oder in der Malerei ergreift, auf ihn wirken. Da mochte ich nicht verzichten auf das, was in den verschiedenen Künsten auf ihn wirken kann. In der einzelnen Kunst wird es wieder möglich sein, die Richtungen und Betätigungsgebiete der Kunst auf die Temperamente zu verteilen. Es würde nicht gut sein, wenn man da den Temperamenten zu viel nachgibt, während es doch notwendig ist, alles so zuzubereiten, wie es für die einzelnen richtig ist.

      O. berichtet über das phlegmatische Temperament und sagt, dass das Kind mit offenem Munde dasitzt.

      Rudolf Steiner: Sie sind im Irrtum; das phlegmatische Kind wird nicht mit offenem Munde dasitzen, sondern mit zugemachtem Munde, aber mit hängenden Lippen. Man kann schon manchmal durch einen solchen Hinweis den Nagel auf den Kopf treffen. Dies zu berühren war sehr gut. Es wird in der Regel aber nicht der Fall sein; das phlegmatische Kind wird nicht mit offenem Munde dasitzen, sondern im Gegenteil. Das führt zurück auf die Frage: Wie kann man sich dem phlegmatischen Kinde gegenüber verhalten, wenn es uns zur Verzweiflung bringt? Das Idealste, das man tun könnte, das wäre, die Mutter des Kindes zu bitten, es immer wenigstens eine Stunde früher aufzuwecken, als es gewohnt ist zu erwachen, und in dieser Zeit, die man ihm eigentlich wegnimmt – man wird es nicht beeinträchtigen, weil es in der Regel immer viel länger schläft als nötig –, es mit allem möglichen zu beschäftigen. Von der Zeit an, wo man es aufgeweckt hat, bis zu der Zeit, wo es sonst aufzuwachen gewohnt war, wird man es beschäftigen; das würde ein ideales Kurieren sein. Auf diese Weise würde man viel von seinem Phlegma wegnehmen. Das wird man in der Regel nicht können, weil die Eltern sich nicht darauf einlassen werden, aber man würde sehr viel damit tun können. Man wird folgendes tun können, was ein Surrogat ist, was aber viel helfen kann: Wenn die Gruppe so dasitzt – mit offenem Munde wird sie nicht dasitzen – und Sie vorbeigehen, und Sie gehen öfter vorbei, könnten Sie so etwas machen (Dr. Steiner schlägt mit einem Schlüsselbund auf den Tisch), wodurch Sie einen Schock hervorrufen, um die Kinder aufzuwecken, wodurch die Kinder dann übergehen von dem zugemachten zu dem offenen Mund. In diesem Moment, wo Sie sie schockiert haben, versuchen Sie, sie während fünf Minuten zu beschäftigen. Man muss sie durch eine äußere Veranlassung aus ihrer Lethargie herausbringen, aufstampern. Man muss dadurch, dass man auf das Unbewusste wirkt, dieses unregelmäßige Verbundensein des Ätherleibes mit dem physischen Körper bekämpfen. Man wird immer wieder ein anderes Mittel finden müssen, das sie schockiert und sie dadurch von ihren hängenden Lippen zum offenen Munde bringt; das also gerade das hervorruft, was sie nicht gerne tun. So wäre diese Frage zu behandeln, wenn diese Kinder einen zur Verzweiflung bringen. Wenn man das mit Geduld fortsetzt und wirklich die phlegmatische Gruppe immerzu in dieser Weise aufrüttelt, dann wird man gerade da viel erreichen.

      T.: Wäre es nicht möglich, die phlegmatischen Kinder eine Stunde früher zur Schule kommen zu lassen?

      Rudolf Steiner: Ja, wenn man das machen würde und es dazu bringen könnte, dass die Kinder mit einem gewissen Geräusch aufgeweckt werden, das wäre natürlich sehr gut. Da wäre es auch gut, die phlegmatische Gruppe zu den am frühesten in die Schule Kommenden einzureihen. Wichtig ist beim Phlegmatiker, dass man aus einem veränderten Seelenzustand heraus seine Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt. Es wird die Frage der Ernährung für Kinder der verschiedenen Temperamente angeschnitten.

      Rudolf Steiner: Man wird überhaupt darauf zu sehen haben, dass nicht gerade die Hauptverdauungszeit zugleich die Schulzeit ist, aber kleinere Mahlzeiten werden keine zu große Bedeutung haben. Im Gegenteil, wenn die Kinder gefrühstückt haben, werden sie besser aufpassen können, als wenn sie mit hungrigem Magen kommen. Wenn man sie natürlich überfüttert, was bei den phlegmatischen Kindern sehr in Betracht kommen wird, dann wird man ihnen gar nichts beibringen können. Den sanguinischen Kindern wäre nicht allzu viel Fleisch, den phlegmatischen nicht zu viel Eier zu geben. Dagegen können die melancholischen Kinder immerhin eine gut gemischte Nahrung bekommen, aber nicht allzu viel Wurzelzeug und Kohl. Bei melancholischen Kindern ist die Nahrung sehr individuell, da muss man beobachten. Bei sanguinischen und phlegmatischen Kindern kann man schon generalisieren.

      Es folgen Ausführungen von D. über das melancholische Temperament der Kinder.

      Rudolf Steiner: Ja, das war sehr schön. Für den Unterricht wird aber noch das in Betracht kommen, dass melancholische Kinder leicht zurückbleiben, dass sie nicht leicht mitkommen. Das bitte ich noch zu berücksichtigen.

      A. spricht über dasselbe Thema.

      Rudolf Steiner: Da ist die Bemerkung sehr gut, dass es sich bei melancholischen Kindern sehr darum handelt, wie man sich selbst zu ihnen stellt. Sie bleiben zurück auch mit dem Geborenwerden des Ätherleibes, der sonst mit dem Zahnwechsel frei wird. Daher sind diese Kinder viel zugänglicher für die Nachahmung. Was man ihnen vormacht, daran halten sie fest, wenn sie einen liebgewonnen haben. Das muss man bei ihnen benützen, dass sie das Imitationsprinzip länger haben.

      N. berichtet ebenfalls über das melancholische Temperament.

      Rudolf Steiner: Besonders bitte ich zu berücksichtigen, dass man das melancholische Temperament sehr schwer wird behandeln können, wenn man nicht eins betrachtet, was fast immer da ist: der Melancholiker ist in einer merkwürdigen Selbsttäuschung; er ist der Meinung, dass die Erlebnisse, die er hat, nur ihn selbst betreffen. In dem Augenblick, wo man ihm beibringt, dass andere Leute diese und ähnliche Erlebnisse auch haben, ist das immer eine Art Kur für ihn, weil er bemerkt, dass er nicht allein so eine interessante Individualität ist, wie er glaubt. In dieser Illusion ist er befangen, dass er ganz auserlesen ist, so wie er gerade ist. Lässt man ihn das stark merken: »Du bist kein solch außerordentlicher Kerl, solche Exemplare gibt es viele, die das oder jenes erleben«, dann ist das eine sehr starke Beeinträchtigung der Impulse, die gerade zur Melancholie führen. Deshalb ist es gut, ihn besonders mit Biographien großer Persönlichkeiten zu behandeln. Er wird sich weniger interessieren für die äußere Natur, aber mehr für die einzelnen Persönlichkeiten. Diese Biographien sollte man besonders gebrauchen, um ihn über seine Melancholie hinwegzubringen.

      Zwei Lehrer berichten über das cholerische Temperament.

      Rudolf Steiner zeichnet folgende Figuren an die Tafel:

      Was ist das? Das ist auch eine Charakterisierung der vier Temperamente. Die melancholischen Kinder sind in der Regel schlank und dünn; die sanguinischen sind die normalsten; die, welche die Schultern mehr heraus haben, sind die phlegmatischen Kinder; die den untersetzten Bau haben, so dass der Kopf beinah untersinkt im Körper, sind die cholerischen Kinder.

      Bei Michelangelo und Beethoven haben Sie eine Mischung von melancholischem und cholerischem Temperament.

      Nun bitte ich, durchaus zu berücksichtigen, dass wir, wenn es sich um das Temperament beim Kinde handelt, als Lehrer durchaus nicht berufen sind, die betreffenden Temperamente von vornherein als »Fehler« anzusehen und bekämpfen zu wollen. Wir müssen das Temperament erkennen und uns die Frage stellen: Wie haben wir es zu behandeln, um ein wünschbares Lebensziel mit ihm zu erreichen, so dass aus dem Temperament das Allerbeste wird und die Kinder mit Hilfe des Temperaments das Lebensziel erreichen? Gerade beim cholerischen Temperament würde es ja sehr wenig helfen, wenn wir es austreiben wollten und etwas anderes an seine Stelle setzten. In der Tat geht aus dem Leben und der Leidenschaft des Cholerikers sehr viel hervor, und insbesondere in der Weltgeschichte wäre vieles anders geworden, wenn es nicht die Choleriker gegeben hätte. Aber gerade beim Kind muss man sehen, dass man es trotz seines Temperaments zu entsprechenden Lebenszielen bringt. Beim Choleriker sind möglichst zu berücksichtigen erdichtete Situationen, künstlich gebildete Situationen, die man in die Aufmerksamkeitssphäre des Kindes bringt. Man sollte zum Beispiel bei einem tobenden Kind die Aufmerksamkeit auf erdichtete Situationen lenken und diese erdichteten Situationen selbst cholerisch behandeln, so dass ich dem jungen Choleriker zum Beispiel erzähle von einem wilden Kerl, dem ich begegnet bin, den ich ihm vormale wie eine Wirklichkeit. Dann würde ich in Ekstase kommen, würde schildern, wie ich ihn behandle, wie ich ihn beurteile, so dass er die Cholerik an anderem sieht, an Ausgeklügeltem, so dass


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