Wüste als Mahal. Ute-Maria Graupner

Wüste als Mahal - Ute-Maria Graupner


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und Vertrautheit ziehen sich gleichermaßen durch. Dabei fungieren die Reiseteilnehmerinnen als Prototypen der ahnungslosen Leser; durch ihre Fragen und Verhaltensweisen wird die Fremdheit, die man wohl beim ersten Kontakt mit einer so andersartigen Kultur empfindet, auch im Buch dargestellt...“

      Tillmann Haberer, Autor und evangelischer Pfarrer.

      Die Autorin

      Von Ute-Maria Graupner erschienen in italienischer Sprache im April 2011 die Anthologie „Storie impertinenti“, Edizioni Duca della Corgna, Castiglione del Lago, und der Kurzgeschichtenband „Wie immer“. Die Autorin bereist die Sahara seit vielen Jahren und konnte dort Land und Leute studieren.

      PROLOG

      Der Ort des Geschehens ist die Wüste. Sie ist ein Ort der Freiheit, der Mystik und der Sinnlichkeit. Sie scheint zu verzaubern. Da das Leben dort in einer ursprünglichen und einfachen Weise erfahren wird, fördert sie Erkenntnisse, die in der Zivilisation nicht möglich wären. Gegensätze werden überwunden und bilden neue Einheiten.

      So finden die zwei Protagonisten zueinander, trotz völlig konträren Lebensweisen, unterschiedlichen Gewohnheiten und ihren für den anderen fremden Religionen. Ihre erotischen Erlebnisse sind ebenfalls durch gegenläufige Traditionen geprägt und repräsentieren die Vereinigung der Gegensätze von Weib und Mann.

      Die Namen der Hauptfiguren weisen auf charakterliche Merkmale hin. Der arabische Name Omar bedeutet Vertrauter, der Höchste oder auch der Erstgeborene. Esthes leitet sich von dem Namen Isis ab, der ägyptischen Schutzgöttin der Mütter, Frauen und Toten, sowie für das Gelingen einer Geburt.

      Die ursprüngliche Bedeutung des deutschen Wortes, Vermählung, bezieht sich auf den Einigungsprozess zweier Sippen, deren Kinder eine Ehe schließen wollten. Er findet seinen Abschluss in einem gemeinsamen Treffen der beteiligten Familien. Das geschlossene Bündnis und den Ort dieses Treffens nennt man Mahal. Der Begriff Vermählung ist nicht als das Happy End einer Liebesgeschichte zu verstehen, sondern als das Ergebnis eines Prozesses. Es symbolisiert das Glück und die Freiheit eines Menschen, dem eine Verbindung von Gegensätzen gelingt.

      Die Traditionen der Beduinen, ihre Lebensweise in der Wüste, ihre Mentalität und ihre Weltsicht werden aus der Sicht einer Fremden beschrieben, die sich dort zu Hause fühlt.

      Der Leser wird in einer einfachen Sprache mit Gefühlen konfrontiert, die er auch in sich wiederfinden kann. Er setzt sich einer Faszination für das Wesentliche aus, das in einem bescheidenen Dasein zutage kommt. Durch philosophische Gedanken, Betrachtungen zu Sexualität und durch Einblicke in Lebenseinstellungen eines anderen Kulturkreises wird er zum Nachdenken angeregt. Er nimmt teil an der Sinnlichkeit des Seins und taucht ein in das Leben der Wüste.

      DAS ERSTE MAL

      Der drahtige Bursche bleibt zwischen Sandhügeln stehen. Bevor die Dunkelheit der Nacht alles in sich verschlingt, erscheinen sie wie gezackte Rücken von Dinosauriern. Ibrahim reckt sein Ohr in die Richtung, aus der er die grunzenden Laute der Dromedarstuten hört, so wie sie es schon seit Tausenden von Jahren Chameliers getan haben. Eindeutig - die Urlaute klingen nach brunftigen Kühen.

      Einen halben Mond lang schon starrt der Sohn des alten Nadirs allein in die züngelnden Flammen seines nächtlichen Lagerfeuers, und da draußen fällt nur sein letzter Blick des Tages auf das Gewimmel der Sterne. Bereits seit zwei Wochen hat er den Brotteig allein geknetet, bloß für sich Holz zu Glut werden lassen und einsam den Fladen im heißen Sand gebacken. Außer zu den wenigen Gesprächen über Handy hatte er mit keinem Menschen ein Wort gewechselt. Vierzehn Tage schon hält der Tierhüter Ausschau nach Spuren im Sand, die sich immer wieder im gelben Gekräusel verlieren und lauscht auf das, was er endlich vernehmen kann.

      Diese kleine Gruppe Kamelweibchen - zusammen mit den Jungtieren mögen es vielleicht sechs oder sieben Tiere sein - war in der Zeit seiner Suche einfach nicht auszumachen. Dabei ist er verantwortlich für die wild lebenden Dromedare von Ali, Omar und Brahim. In guten Zeiten sind das bis zu 25 Tiere.

      Das Terrain, auf dem er nach den Kamelen der Leute aus seinem Dorf Ausschau hält, reicht von Ain Kaspar, der Wasserstelle mit den letzten Schilfpflanzen, die er je in der Wüste gesehen hat, bis zu den hohen Dünen im Westen, den Vorläufern des Grand Erg. Sein Arbeitsbereich ist nicht größer als das von Selim, Hamed und Nasser, seinen Freunden, die ihre Regionen ebenso nach frei lebenden Stuten und Jungtieren absuchen.

      Dreimal hat er schon sein graues Handy, das mit einer Plastikhaube gegen den feinen Sand geschützt ist, benutzt. Er hat Rajid gefragt, ob Selim, Hamed oder Nasser die fehlenden Dromedarstuten gesehen hat. Rajid, der am alten Brunnen, dem vereinbarten Treffpunkt der Chameliers 1) auf erlösende Antwort wartet, erklärte jedes Mal, bei Allah, ich habe noch nichts gehört.

      1) Chamelier frz. Kameltreiber, Kamelführer, Dromedarhüter,

      Als Ibrahim Ben Nadir vor einem Monat kontrollierte, ob alle weiblichen und jungen Tiere gesund sind, ist die kleine Herde etwa fünf Tage Fußmarsch von hier entfernt gewesen. Ihren

      üblichen Marschtempo nach zu schließen, hätte er sie jetzt weiter westlich von seinem damaligen Standpunkt aus treffen müssen. Doch da sind weder sie noch Spuren von ihnen. In diesem Jahr ist der Regen ausgeblieben und somit gibt es weniger Grün in der gelben Landschaft. Die Route der Tiere in freier Wildbahn lässt sich schlechter einschätzen als gewöhnlich.

      Der Hirte bleibt stehen. Er presst seine Augen zusammen, nimmt die Silhouette großer Körper am Horizont wahr. Langsam schreitet er auf die dunklen Flecken zu. Köpfe an langen gebogenen Hälse recken sich in seine Richtung. Chrrr! Der Nomade öffnet den Reißverschluss der Jacke. In dem Anorak mit der abgeblätterten Werbung für eine Skischule in den französischen Alpen kramt er nach Zigaretten. Wieder bleibt er stehen. Diesmal, um sich eine anzuzünden. Den linken Fuß legt er auf den rechten Oberschenkel ab. Einbeinig lehnt er sich gegen seinen selbst geschnitzten Stock. Er beobachtet, wie die Stuten ihre Köpfe wieder senken. Außer für erfahrene Tierhüter, wie Ibrahim, ist für niemanden die Silhouette der Herde von den Dinosaurier-Dünenketten zu unterscheiden. Der Beduine steht noch immer auf einen Bein, betrachtet die Konstellation der Sterne und den Stand des schmalen Mondes, um den Standort der Tiere zu bestimmen.

      Zügig, richtig schnell läuft der drahtige Mann zurück, als wäre die riesige Sandfläche wie eine Landebahn bei Nacht markiert. Wieder zieht er die Plastikhülle aus der Tasche, in der sein Handy verpackt ist, starrt auf das hellgrün erleuchtete kleine Fenster, drückt auf der transparenten Folie herum. Das Piepsen ist in der Stille der Nacht meilenweit zu hören.

      "Selim? Ja, gut! Sie sind an dem Platz, wo wir das Junge an den Schakal verloren haben!" knurrt Ben Nadir ohne den Rhythmus seiner Schritte zu verändern.

      "Ja, treib sie mit zu Rajid! Mach's gut!" Die dunkle Gestalt nimmt den noch dunkleren Gegenstand vom Ohr, schiebt ihn in die Anoraktasche. Chrrrr surrt der Reißverschluss von Ibrahims Jacke. Der Tierhüter geht wie so oft in den letzten Tagen schweigend durch Schweigen, still durch Stille. Nur seine Schritte im Sand sind zu hören. Zeit und Raum sind von ihm nicht messbar. Ihr Ausmaß wird durch die immerwährende Ruhe verwischt.

      In der blauschwarzen Nacht bewegt sich Ibrahim auf einen kaum wahrnehmbaren hellen Bereich in der Ferne zu. Lange bevor er Rajid zu sehen bekommt, riecht er den Rauch des Feuers. Dieser Geruch bedeutet für ihn, wie für jeden Beduinen, der draußen in der Wüste arbeitet, Freundschaft, Geborgenheit, Wärme und die Sicherheit auf einen Gesprächspartner zu treffen. Schweiß gebadet erreicht er die Feuerstelle. Die Nächte Ende Oktober sind noch warm, und ein Beduine öffnet den Reißverschluss seiner Jacke nur einmal am Tag. Außer den kleinen an der Tasche, dann wenn er sein Handy oder Zigaretten herausfummelt.

      "Salemaleikum“, ertönt Ben Nadirs Stimme.

      "Maleikumsalem!" antwortet Rajid, als ob er bis an sein Lebensende Zeit hätte, diese Worte auszusprechen. Er richtet sich


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